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05.07.2025
Die Häuser mit den Werkstätten stammen aus unterschiedlichen Orten und Regionen.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Wo Sensen, Brote und Zigarren gemacht werden

Das „LWL-Freilichtmuseum Hagen – Westfälisches Landesmuseum für Handwerk und Technik“ präsentiert 200 Jahre Handwerks- und Technikgeschichte aus Westfalen und Lippe – vom Schmiedehammer bis zum Friseursalon.

von Wolfgang Maas und Andreas Wiedenhaus
Hagen

Es ist eine wertvolle Ware, die Ulrike Heinrichs da verarbeitet. Und am Ende kommt ein Produkt dabei heraus, das man in einem Freilichtmuseum des LWL gar nicht erwartet: eine perfekt gearbeitete Zigarre. Doch wer Heinrichs zusieht, hat keine Zweifel mehr: Auch das ist klassisches Handwerk, ebenso wie die Arbeit in der Druckerei oder der Schmiede.

Zudem: Jeder kennt wohl Geschichten, dass der eigene Vater oder Großvater während des Zweiten Weltkrieges selbst irgendwo heimlich Tabak angebaut hat. Ja, das funktioniere auch in unseren Breiten, weiß Ulrike Heinrichs. „Eine Besucherin hat mir selbst gezogenen Tabak mitgebracht.“ Der sei durchaus genießbar gewesen.

Dann greift sie wieder nach den braunen Tabakblättern. Verschwendet wird hier nichts, am Ende bleiben nur noch die Gerippe der Blätter übrig. Die Expertin verarbeitet nur ganze Blätter einer Sorte aus Indonesien. Die werden gerollt und dann mit anderen Blättern umwickelt, die feucht sein müssen. Dabei geht Ulrike Heinrichs behutsam vor, denn Löcher – und seien sie noch so klein – dürfen sich nicht bilden. Das störe den Rauchgenuss. Zum Schluss wird das Deckblatt verklebt und die Zigarre ist fertig. Verkaufen darf das LWL-­Museum diese allerdings nicht – noch nicht. Denn es muss als Hersteller von der EU gelistet und lizenziert sein. Daran arbeite man.

Und auch, wenn Rauchen natürlich schwere Gesundheitsschäden verursacht – eine Zigarre ruft oft Erinnerungen an die eigene Kindheit hervor. Als das Rauchen noch gesellschaftlich akzeptierter war, hat sich der Opa auch gerne mal eine angesteckt. Und so ein bisschen Chefsessel strahlen die Zigarren ja doch aus. Schließlich galten sie einst als Symbol für Wohlstand und Erfolg. Solche Geschichten hört Ulrike Heinrichs oft. Und mitunter wird auch gefachsimpelt. Darf man eine Zigarre mit dem Feuerzeug anzünden oder nur mit dem Streichholz? „Bloß nicht mit einem Benzinfeuerzeug“, warnt sie. Der Geschmack des Benzins komme immer durch.

Ulrike Heinrichs zeigt, wie Zigarren in Handarbeit hergestellt werden.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Ein älterer Herr hat die Vorführung interessiert verfolgt. Mit dem blauen Dunst habe er schon vor 30 Jahren aufgehört. Dennoch könne er dem Geruch einer Zigarre etwas abgewinnen. „Die riechen eben besser, als sie schmecken“, ist er überzeugt. Gestanden hat die Tabakfabrik ursprünglich in Glandorf bei Osnabrück. Heute gehört sie zum Museums­ensemble aus insgesamt 59 Werkstätten – von der Bäckerei über zahlreiche metallverarbeitende Betriebe bis hin zur Seilerei.

Vor 52 Jahren, am 30. April 1973, wurde das „LWL-­Freilichtmuseum Hagen – Westfälisches Museum für Handwerk und Technik“, wie es korrekt heißt, eröffnet. Die Gründung lag damals schon 13 Jahre zurück. Die Zeit dazwischen wurde gebraucht, um Gebäude aufzubauen, Werkstätten einzurichten und ein Konzept zu erstellen. „Die ersten Ideen für ein Museum technischer Kulturdenkmale reichen noch weiter zurück“, erläutert die stellvertretende Museumsleiterin Dr. Anke Hufschmidt. Bereits in den 1930er-­Jahren habe sich der Hagener Architekt, Heimatforscher und Fotograf Wilhelm Claas für ein „Freilichtmuseum technischer Kulturdenkmale“ in seinem Heimatort eingesetzt. Erste Planungen konnten aber wegen des Zweiten Weltkrieges nicht mehr umgesetzt werden. Anke Hufschmidt: „Das Mäckingerbachtal als Standort bot sich an, weil hier Wind, Wasser und Wald als natürliche Standortfaktoren gegeben waren.“

So wie Ulrike Heinrichs die Zigarren rollt, finden an rund 15 Stationen täglich Vorführungen statt. Nicht für alle Werkstätten gibt es heute noch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einer entsprechenden Ausbildung. Der Fachkräftemangel sei auch im Museumsbereich angekommen, sagt die stellvertretende Direktorin. Hinzu kommt, dass die Betriebe früher viel spezialisierter gewesen seien, es habe zum Beispiel eine Feilenhauerei oder Bohrer-, Beil- und Sensenschmieden gegeben. Berufsbilder, die schon lange „ausgestorben“ sind: „Entscheidend ist für uns, dass die entsprechenden Techniken beherrscht und erklärt werden.“

Aus Stahl wird ein Zierblatt

Das gilt für Stefan Austermann in beeindruckender Weise: Wie der Kunstschmied aus einem Stück Stahl ein Zierblatt formt und dabei jeden Arbeitsschritt schildert, hat ebenso viel Informations- wie Unterhaltungswert. In der Esse wird das Werkstück auf die richtige Temperatur erhitzt, um dann unter dem Federhammer in Form gebracht zu werden. Virtuos, wie Austermann das Eisen mit den Händen führt und gleichzeitig per Fußbedienung die Frequenz steuert, mit der der schwere Hammer auf das Werkstück hinabfällt und es Schlag für Schlag seiner Fertigstellung näherbringt. „Je einfacher es aussieht, desto schwieriger ist es“, meint ein Zuschauer. Trotz des mechanischen Hammers ist das richtig schwere Arbeit. Das sieht man, riecht und fühlt man: Es ist dunkel, heiß und rußig hier.

Kunstschmied Stefan Austermann bedient virtuos den Federhammer.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Genau verfolgen zu können, wie etwas unter geschickten Händen entsteht, macht den besonderen Reiz des Museums aus. In Zeiten von „Smart-­Bedienung“ und „Black Box“ reiht sich bei einem Rundgang ein „Aha“-­Erlebnis an das nächste. Wer weiß schon, wie eine Sense geschmiedet wird oder kann genau erklären, was „dengeln“ eigentlich bedeutet? Denn mit dem Verschwinden von alten Handwerkstechniken haben sich auch viele Wörter und Begriffe aus unserem Sprachgebrauch verabschiedet.

Doch verklärt wird im Museum trotz Fachwerkidylle und romantisch wirkendem Umfeld nichts: Wenn sich Arbeitsschutz auf zwei Holzblöcke reduziert, die man sich beim Sensenschmieden vor die Schienbeine schnürte, dann zeigt sich, dass die „gute alte Arbeitswelt“ eben zwei Seiten hatte: diejenige faszinierender Fähigkeiten, aber eben auch die von Unfallgefahr, Staub, Rauch und Lärm. Ob da die Schutzpatrone, deren Bilder oder Statuen sich in der ein oder anderen Werkstatt finden, geholfen haben?

Deutlich ruhiger geht es in der Besen- und Bürstenmacherei des Museums zu. Hier kann man nicht nur die einzelnen Arbeitsschritte verfolgen, es ist auch erstaunlich, was es alles gab und gibt, um Staub und Schmutz zu beseitigen. Bei Haarbürsten oder Tischhandfegern ist klar, wofür man sie braucht; genauso beim Rosshaarbesen. Aber was zeichnet den Wienerwandbesen aus? Der blinde Mitarbeiter Arif Özen kann es genau erklären: „Er ist rundherum besonders eingefasst und eignet sich speziell zum Abstauben von Stuck, weil er ihn nicht beschädigt.“

Die Besen- und Bürstenbinderei ist der Arbeitsplatz von Arif Özen.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Dass auch Metallverarbeitung filigran und detailliert sein kann, zeigt Marcus Grothusmann in seiner Werkstatt, wo mittels Matrizen aus dünnem Messingblech Zierteile wie etwa stilisierte Löwenköpfe entstehen. Faszinierend auch hier wieder, wie durch die freiliegende Mechanik das Zusammenspiel von Mensch und Maschine bei der Produktion exakt nachvollziehbar wird.

Diese Messing-­Verzierungen und vieles von dem, was in den Werkstätten hergestellt wird, kann in den Museumsläden auf dem Gelände oder im Museumsshop am Eingang gekauft werden. Vielleicht macht das Abstauben mit einer handgefertigten Bürste zu Hause direkt Freude? Andere Produkte sind eher zum sofortigen „Gebrauch“ bestimmt: etwa die Mettwürste aus der Metzgerei oder der schon legendäre „Museumsstuten“, ein echter Bestseller der Bäckerei.

Hintergrund

Das „LWL-Freilichtmuseum Hagen – Westfälisches Landesmuseum für Handwerk und Technik“ am Mäckingerbach in 58091 Hagen hat vom 1. April bis zum 31. Oktober geöffnet (Dienstag bis Samstag: 9.00 bis 17.30 Uhr, Sonntag: 9.00 bis 18.00 Uhr sowie an Feiertagen zwischen 9.00 und 17.30 Uhr. Montag ist es geschlossen). Erwachsene zahlen 12 Euro Eintritt, bei dem die Fahrt mit der neuen Museumsbahn inbegriffen ist. Kinder und Jugendliche bis einschließlich 17 Jahre dürfen die Anlage kostenlos besuchen. In dieser Saison ist zudem die Ausstellung „Mission machen – neue Perspektiven auf das westfälische Handwerk“ der Fotografin Tuula Kainulainen während der Öffnungszeiten zu sehen. Kontakt: freilichtmuseum-­hagen@lwl.org

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