Chaim Lavi überschrieb seinen Vortrag mit einem Buchtitel von Ralph Giordano „Israel, um Himmels Willen, Israel“.
Foto / Quelle: Wolfgang Maas

Unglückliche Zeiten

Chaim Lavi arbeitet als Fremdenführer in Israel. Bei seiner jüngsten Reise durch Deutschland nahm er die Einladung des Gebetshauses Dortmund e. V. an und berichtete nicht nur über die aktuelle Situation.

Dortmund

„Wieso sind wir jetzt zu Tätern geworden? Wie konnte ein so gut gesichertes Land wie Israel überhaupt angegriffen werden?“ Chaim Lavi nennt das gute Fragen, die Antwort macht ihn aber ebenso ratlos wie die rund 100 Personen im Publikum. „Die Ultraorthodoxen sagen, weil wir zu wenig gebetet haben. Wir haben uns zu sehr von Gott abgewandt.“ Der Fremdenführer aus Israel, der Familienangehörige durch die Angriffe der Hamas verloren hat, sagt das ohne erkennbare Emotionen. Aber: „Es gibt tausende Erklärungen. Ich lasse mich nicht auf diese Diskussionen ein.“

Wenn Lavi (Jahrgang 1961) von seiner Heimat spricht, erscheinen historische Orte voller spiritueller Anziehungskraft vor dem geistigen Auge des Publikums. Dazu zeigt er Fotos von seinen Touren. Man sieht die Gegensätze des Landes – karge Wüste und an anderer Stelle viel Grün. Doch „wir leben in unglücklichen Zeiten“. Das war in der Geschichte immer wieder der Fall, wie er an einem historischen Abriss erklärte – auch wenn die Bibel „kein genaues Geschichtsbuch“ sei.

Verfahrene Situation

Heute sei die Situation verfahren. „Wir suchen den Frieden, aber es geht etwas schief in der Regierung.“ Die Hälfte der Bevölkerung sei enttäuscht von der Politik Benjamin ­Netanjahus, Proteste und Demonstrationen nehmen zu. Doch ohne Frieden gebe es keine Möglichkeit, „neue Wege zu suchen, die passen“ im Zusammenleben etwa von Juden und Muslimen.

Allerdings fehlen auch die Verhandlungspartner in der arabischen Welt für einen dauerhaften Frieden. Wer die Existenz eines souveränen Staates Israel kategorisch ablehne, sei eben kein verlässlicher Partner.

Eine Frage kam dann mehrfach aus dem Publikum: Kann das überhaupt funktionieren, ein Zusammenleben trotz all dem Hass? Chaim Lavi ist optimistisch. „Wenn ihr in Israel seid, sprecht mit den Arabern. Fragt sie, ob sie woanders leben wollen.“ Der Referent ließ die Antwort zwar offen, suggerierte dennoch: Israel ist kein schlechter Ort zum Leben. Es gebe Arbeit und die Gesellschaft sei offener als man sich das in Deutschland vielleicht vorstellt.

Im Alltag ist es zudem selbstverständlich, dass Muslime und Juden zusammenarbeiten. Chaim Lavi sagt: „Ja, das funktioniert.“ Alleine in der Hotelbranche sowie in der Gastronomie gehe es gar nicht anders.

Ein weiteres Beispiel sei die muslimisch geprägte Volksgruppe der Tscherkessen. Sie stammen aus dem Kaukasus, rund 5 000 Nachfahren leben heute in Israel. „Sie dürfen hier ihre Sprache sprechen“, betonte Lavi. Dies sei ihnen in anderen Ländern nicht gestattet. Den Vorwurf, in seiner Heimat herrsche Apartheid, wies der Referent deshalb vehement von sich.

Eine Bereicherung

Es gebe dort auch Araber, die etwa Chef­ärzte sind. „Muslime können eine Bereicherung auch für euer Land sein.“ Zumal die überwiegende Mehrheit schlicht in Frieden leben wolle und fleißig sei. Der Fremdenführer, der in Hamburg studierte und in Berlin gearbeitet hat, sieht es pragmatisch. Man müsse schlicht miteinander klarkommen. Aber: „Können sie mich auch leiden? Egal!“ Eine solche Handlung könne er sich – auch wenn Lavi den Deutschen ausdrücklich nichts vorschreiben wollte – hier vorstellen.

Und was, so wollte eine Zuhörerin wissen, würde er sich wünschen, wenn er alle Macht der Welt hätte? „Ich würde alle Grenzen abschaffen. Wozu brauchen wir Grenzen?“

Wolfgang Maas

Zur Sache

Der Verein Gebetshaus Dortmund hat sich in den vergangenen zwei Jahren weiterentwickelt. Es gibt eine feste Vereinsstruktur sowie regelmäßige Gebetstreffen in verschiedenen Dortmunder Gemeinden. Seit Anfang des Jahres trifft sich eine Israelgebetsgruppe, durch die der Kontakt zu Chaim Lavi zustande kam. Die Gründerin Marianne Hackmann hat zuletzt eine Gebetstaskforce ins Leben gerufen. „Hier handelt es sich um eine Gebetseinsatzgruppe. Bei Bedarf oder besonderen Anlässen treffen wir uns am entsprechenden Ort zum Gebet“, so Hackmann. Eine eigene Immobilie gibt es aber noch nicht.

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