Professor Martin Winands: „Gewaltverzicht muss man lernen“

Kerzen und Blumen liegen in einem Wald im südlichen Nordrhein-Westfalen. An der Schule des getöteten zwölfjährigen Mädchens Luise sollen die Schülerinnen und Schüler nach ausführlichen Gesprächen allmählich wieder nach Stundenplan unterrichtet werden. Luise war am 11. März 2023 mit zahlreichen Messerstichen getötet worden.

Zwei Mädchen töten eine Gleichaltrige: Was in Freudenberg passiert ist, wirft viele Fragen auf – gerade weil die Täterinnen so jung waren.

Paderborn/Freudenberg. Grundsätzlich trage jeder die Fähigkeit zur Gewalt in sich, sagt Professor Martin Winands. Deshalb könne theoretisch auch jeder Mensch zum Mörder werden, macht der Wissenschaftler der Katholischen Hochschule Paderborn, der sich schwerpunktmäßig mit Gewalt und Konflikten befasst, deutlich: „Die Anlage zur Gewalt hat jeder Mensch in sich. Sie ist immer verfügbar und kann von jedem ausgeübt werden.“ Die meisten nutzten dieses Mittel jedoch nicht und gesellschaftlich akzeptiert sei Gewalt schon lange nicht mehr. Unter Jugendlichen gehe sie sogar zurück. „Das Gewaltniveau ist gerade in westlichen Ländern sehr niedrig“, sagt Winands. Schwere Einzelfälle verstellten oftmals den Blick auf die Gesamtsituation.

Auf Gewalt zu verzichten, so der Forscher, hängt mit Erziehungs- und Sozialisationsprozessen zusammen. Dieser Verzicht müsse erst erlernt werden, erklärt Winands: „Blickt man auf Gesellschaften im Mittelalter oder heute auf Länder beispielsweise in Lateinamerika, dann ist die Gewaltbereitschaft dort viel höher. Gewalt ist dort viel etablierter und selbstverständlicher. Zudem sind mehr Waffen im Umlauf.“ 

Die Fähigkeit, einen Konflikt ohne Gewalt zu lösen, ist Teil der Sozialisation und nicht im Menschen per se angelegt, sagt Professor Winands.

Kinder müssen lernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen

Gerade Kinder müssten erst lernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen und Kompromisse einzugehen. Das merke man bereits bei Kleinkindern. „Wenn man ihnen etwas verwehrt, dann beißen sie unter Umständen und schlagen möglicherweise um sich. Erst im Laufe der weiteren Sozialisation in der späteren Kindheit und der Jugend lernen sie, auch anders mit solchen Konflikten umzugehen“, sagt der Paderborner Experte. 

Die Forschung zeige zudem, dass erwachsene Täter oft schon frühzeitig mit Gewalt in Verbindung gekommen sind. „­Gerade Kinder sind oftmals Opfer der Verhältnisse, in denen sie ­aufwachsen“, sagt Winands. Eine Resozialisierung der Täter hält er für wichtig: „Ohne Gewalttaten bagatellisieren zu wollen, muss man jetzt schauen: Was kann man tun, damit die Menschen irgendwann wieder einen Weg in die Gesellschaft zurückfinden?“

Helena Mälck

Schauen Sie doch mal in die aktuelle DOM-Ausgabe rein. Dort finden Sie eine Vielzahl an Berichten zur katholischen Kirche im Erzbistum Paderborn, deutschlandweit und auch weltweit. Es lohnt sich bestimmt.

0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen