Interesse – Editorial von Claudia Auffenberg

„Wir brauchen einander, nicht erst, wenn es die Dachpfannen heruntergefegt hat, sondern – Achtung, Pathos! – um die Freiheit, die Demokratie in diesem Land zu erhalten.“

Tornado in Paderborn. (Foto: Patrick Kleibold)
Tornado in Paderborn. (Foto: Patrick Kleibold)
veröffentlicht am 29.05.2022
Lesezeit: ungefähr 3 Minuten

Das Beeindruckende und zugleich Irritierende an so einem Tornado ist seine präzise Randschärfe. Während die einen am Freitag vergangener Woche das Inferno erlebten, gingen wenige Straßen weiter Leute unbehelligt und ahnungslos ihren Geschäften nach. Hier Panik, dort Einstimmen aufs Wochenende. Wer nicht gerade in der Bahn des Tornados wohnte, hat wohl erst durch besorgte Nachfragen von auswärts mitbekommen, was da in der eigenen Stadt passiert war.

Ungleichzeitigkeit

Ungleichzeitigkeit nennt man so was, wobei man hier von Gleichörtlichkeit oder so sprechen könnte. Jedenfalls ist man geneigt, den oft gehörten Kohelet umzudichten: Alles hat seinen Ort. Es gibt einen Ort der Zerstörung und einen Ort des Heilbleibens, einen Ort der Aufruhr und einen Ort der Gelassenheit. Es gibt einen Ort der Getroffenen und einen Ort der Bewahrten.

Leider kann man sich nicht aussuchen, an welchem Ort man ist, wenn es passiert. Niemand ist sicher. Und das gilt nicht nur für spektakuläre Katastrophen wie einen Tornado – es gilt im Prinzip für alles, was einen im Leben so heimsuchen kann. Manches hat man in der Hand, das meiste nicht. Vielleicht ist der Mensch dereinst deswegen zur Religion gekommen, weil er um diese Gefahren wusste und Trost brauchte. Denn so konnte er seiner Sehnsucht nach Trost, die doch in Wahrheit eine Sehnsucht nach Gott ist, eine Art Geländer geben, also etwas, das Halt und Richtung gibt.

Trost und Hilfsbereitschaft

Trost ist wohl eines der fundamentalen Bedürfnisse des Menschen, den sie jederzeit und an jedem Ort brauchen. In den vom Tornado betroffenen Gebieten hat sehr konkret die große Hilfsbereitschaft Trost gespendet. Und dass Leute mit offenen Ohren da waren. Diese Art von Trost ist oft auf viel kleinerer Flamme möglich: Man nennt es Interesse. Irgendwie ist uns das in Teilen abhandengekommen, das echte Interesse an dem, was einen nicht unmittelbar betrifft. Sonst gäbe es nicht so viel Einsamkeit oder eine nun wirklich indiskutable Wahlbeteiligung von 54 Prozent am 15. Mai!

Für Interesse am anderen braucht es nicht unbedingt Naturkata­strophen, man kann das lernen. Am Tag nach dem Tornado feierte der ­BDKJ bei uns im Erzbistum sein 75-­jähriges Bestehen. Zehn Jugendverbände sind darin zusammengeschlossen, die in ihren Ortsgruppen die Sternsingeraktion oder die Aktion Minibrot durchführen. Zwei Beispiele für ein gemeinsames und zugleich solidarisches Handeln sind das und dafür, Interesse am anderen und an der Gesellschaft zu lernen. Wir brauchen einander, nicht erst, wenn es die Dachpfannen heruntergefegt hat, sondern – Achtung, Pathos! – um die Freiheit, die Demokratie in diesem Land zu erhalten. Das ist vielleicht das Aufrüttelnde an so einem Tornado.

Ihre
Claudia Auffenberg

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