02.07.2021

Gott sagt Ja zu seiner Schöpfung

Foto: pixabay

In den vergangenen Wochen wurde Deutschland bunt: Zum Zeichen der Solidarität mit homosexuellen Menschen wurden vielerorts Regenbogenflaggen aufgehängt. Zunächst an Kirchen und kirchlichen Gebäuden als Reaktion auf das römische „Reponsum ad Dubium“, (Antwort auf einen Zweifel), nach dem homosexuelle Partnerschaften nicht gesegnet werden dürfen. Und als nun die UEFA verbot, das Münchner Stadion wegen eines ungarischen Gesetzes entsprechend zu illuminieren, wiederholte sich dieses Szenario. Ein Gespräch mit dem Paderborner Alttestamentler Michael Konkel.

Herr Prof. Konkel, überall Regenbogenfarben, an Kirchen und Fußballstadien. Geht Ihnen da als Alttestamentler das Herz auf oder sind Sie irritiert?

Warum sollte ich irritiert sein?

Weil hier ein biblisches Symbol in einem ganz anderen Zusammenhang genutzt wird.

Der Regenbogen aus dem Buch Genesis ist ja ein Zeichen dafür, dass Gott zu seiner Schöpfung steht. Die Sintflut kommt, weil sich die Schöpfung nicht so entwickelt hat, wie Gott sich das vorgestellt hat. Er glaubt, alles wieder vernichten zu müssen. Dann macht er in sich selbst einen Herzensumsturz durch, der ihn dazu bringt, doch nicht alles vernichten zu können. Die Geschichte endet damit, dass Gott zu seiner Schöpfung in ihrer Freiheit steht. Er sagt Ja zu dieser Schöpfung und dazu, wie sie sich entwickelt. Dafür steht der Regenbogen. In dieser Schöpfung haben auch verschiedene sexuelle Orientierungen ihren Platz.

Nun gibt es aber Stimmen, die sagen, dass Homosexualität widernatürlich, also gegen den Plan Gottes sei und sie finden dazu Belege in der Bibel.

Gott steht zu seiner Schöpfung, zur Freiheit des Menschen. Sexuelle Orientierungen sind Teil dieser Schöpfung. Homosexualität ist ja nun nicht das Ergebnis einer Beschlussfassung, man kann sie auch nicht wegtherapieren. Es gibt sie schon so lange, wie es Menschen gibt.

Aber es gibt eindeutige Bibelstellen, Levitikus 18,22 zum Beispiel: „Du darfst nicht mit einem Mann schlafen wie man mit einer Frau schläft; das wäre ein Gräuel.“

Ja, solche Bibelstellen gibt es, aber die muss man in ihrem historischen Kontext sehen. Dabei stellt man fest: Homosexualität kommt in der Antike als ein Konzept personeller Identität gar nicht vor. Deswegen kann es in der Bibel gar nicht verurteilt werden. Was verurteilt wird, ist homosexuelle Praxis und zwar ausschließlich die unter Männern, konkret die anale Penetration. Die war in der Antike ein Unterwerfungsgestus. Als solche wird sie in der Tora verurteilt. Die Erzählung von Sodom und Gomorra ist die Basis dafür. Das Buch Levitikus, also das 3. Buch Mose, geht noch einen Schritt weiter. Dort wird homosexuelle Praxis durchaus als ein Verstoß gegen die Schöpfungsordnung gewertet. Nach Vorstellung dieser biblischen Autoren ist Schöpfung Bewahrung des Kosmos und die Schöpfung vollzieht sich dadurch, dass Dinge, die nicht zusammengehören, voneinander getrennt werden. Am Anfang trennt Gott das Licht von der Finsternis, das Wasser vom Land. Aus dem Chaos, dem Tohuwabohu, macht Gott einen Kosmos, er ordnet die Dinge, in dem er trennt, was nicht zusammengehört. In diesem Sinne sind sexuelle Praktiken unter Männern durchaus wider die Schöpfungsordnung. Es findet sich aber in dem Passus noch einiges anderes, was aus Sicht der Autoren des Buches Levitikus wider die Schöpfungsordnung ist, etwa Tätowierungen oder das Tragen von Mischgewebe. Da wird heute nicht mehr differenziert. Wenn man also konsequent wäre, dürfte man heute keine Mischgewebe mehr tragen oder müsste gegen Tattoostudios vorgehen.  

Aber das Verbot der Homosexualität greift ja auch der Apostel Paulus im Römerbrief ausdrücklich auf.

Ja, das ist richtig. Wir müssen uns daher mal grundsätzlich darüber unterhalten, wie wir mit der Bibel umgehen. Die Lösung kann nicht sein: Die alttestamentlichen Normen, die im Neuen Testament bekräftigt werden, gelten noch, die anderen nicht. Im Neuen Testament, in der sogenannten Jerusalemer Versammlung (Apg 15), wird für alle Christen die koschere Schächtung vorgeschrieben. Diese Praxis aus dem AT wird im NT bekräftigt, hat sich aber im Christentum nicht durchgesetzt. Umgekehrt gibt es eine Reihe von Normen, die im NT nicht explizit bekräftigt werden, die wir aber weiterhin für gültig halten, die Zehn Gebote etwa, von denen im NT nur einige zitiert werden. Im Buch Levitikus gibt es im 18. Kapitel auch Inzestgesetze, die bis heute sogar im Zivilrecht gelten, obwohl sie im NT nicht genannt sind. Also: Ein christlicher Zugang zur Bibel kann nur so funktionieren, dass biblische Normen vor der Vernunft geprüft werden und dann ist es auch nicht relevant, ob sie im AT oder nur im NT oder in beiden genannt sind. Wenn sie einer Beurteilung nach den Kriterien der Vernunft nicht standhalten, dann müssen wir uns von diesen Normen für die Gegenwart verabschieden können. 

Relativieren Sie gerade die Bibel?

Nein, überhaupt nicht! Die Bibel ist Gottes Wort – aber in Menschenwort. Das ist klassische Fundamentaltheologie. Die biblischen Autoren haben mit den Ausdrucksmitteln ihrer Zeit geschrieben. Deshalb müssen die biblischen Texte immer wieder neu in die Gegenwart ausgelegt werden und sich der gegenwärtigen Vernunft stellen, ob sie vor ihr verantwortet werden können. Ein gut katholischer Leitsatz besagt: Es kann zwar Dogmen geben, die über die Vernunft hinausgehen, aber sie dürfen nie wider die Vernunft sein. Wenn man also etwa feststellt, dass das Konzept von Homosexualität, von dem das Buch Levitikus und auch Paulus noch ausgehen, nicht mehr dem entspricht, was wir heute darüber erkennen können, dann müssen wir sagen dürfen, dass eine solche Norm überkommen ist.

Aber woran kann man sich dann noch halten?

Für einen Christen sollte die Bibel immer der erste Bezugspunkt sein, wenn es um ethische Fragen geht. Aber dann muss man eben auch den größeren Zusammenhang sehen und von dort aus ethische Urteile treffen. Zum Thema Homosexualität sollte man sich übrigens nicht nur auf die Stellen stützen, die homosexuelle Praktiken ausdrücklich verbieten. Man sollte auch schauen, welche Anstöße für gelungene Beziehungen, für gelungene Sexualität von der Bibel, auch vom AT, ausgehen können. Man könnte auch mal eine biblisch fundierte Segenstheologie erarbeiten. Diese könnte nämlich sehr wohl ermöglichen, auch gleichgeschlechtlichen Paaren den Segen zu spenden.

Ist denn das alles, was Sie bisher gesagt haben, in Rom nicht bekannt?

Dass die aktuellen Positionen des Lehramtes in dieser Frage nicht mehr haltbar sind, ist in der Theologie breiter Konsens, wobei es natürlich auch Gegenstimmen gibt. Nun hat das Lehramt bestimmte Aufgaben und in dieser Antwort, dem Responsum, wird gesagt, was aktuell Stand des Lehramtes ist. Jeder, der eine andere Antwort aus Rom erwartet hat, weiß nicht, wie Rom funktioniert. Interessant ist dennoch, dass Rom in einer solch strittigen Frage überhaupt antwortet. Man hätte ja auch gar nicht antworten können.

Wie interpretieren Sie das?

Wohlmeinend könnte man denken: Es ist der Versuch, die Diskussion eskalieren zu lassen, um sie so voranzubringen. Das hat jedenfalls funktioniert, eine ganze Reihe von Bischöfen haben sich für eine Weiterentwicklung der Sexualmoral ausgesprochen. Weil das aber ein so grundlegendes Thema ist, wäre dazu wohl ein Konzil nötig.  

Sie meinen, der Papst spielt gewissermaßen über Bande?

So könnte man es lesen. Hoffen wir, dass es so ist.

Mit Prof. Konkel sprach Claudia Auffenberg

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