09.06.2021

Maria in Jeans

Für viel Aufsehen hat das dreiteilige Altargemälde gesorgt, das Thomas Jessen für die Kirche St.Clemens in Drolshagen geschaffen hat.
Fotos: Meinolf Lüttecke

von Meinolf Lüttecke/jon

Drolshagen. Die Frankfurter Allgemeine, die Bild-Zeitung, der Fernsehsender „Russia Today“: Dass sie alle und noch mehr deutsche und internationale Medien über das neue Altarbild in der Kirche St.Clemens in Drolshagen berichten würden, hätte sich Pfarrer Markus Leber vorher wohl nicht träumen lassen. Zu einem veritablen bundesweiten Aufreger ist das von Thomas Jessen aus Eslohe gemalte Triptychon geworden, das die Muttergottes in Jeans auf einer Haushaltsleiter zeigt, wie sie– gemäß einer alten Legende– dem Apostel Thomas ihren Gürtel als Beweis ihrer Himmelfahrt reicht.

Dass das neue Altarbild nicht ohne Widerspruch bleiben würde, hatte Pfarrer Markus Leber, Leiter des Pastoralverbundes Kirchspiel Drolshagen, zwar geahnt. „Es wird wohl Diskussionen geben“, hatte er zuvor gegenüber dem Dom gemutmaßt. Das Ausmaß auch der Kritik in den sozialen Medien im Internet überraschte ihn dennoch und bescherte ihm schlaflose Nächte. Doch wenn Medien ihn auf der Suche nach Krawall erwartungsfroh fragen, wann das Bild denn nun abgenommen werde, macht er klar: Das Bild bleibt hängen. Immerhin: Dass ein Altarbild in der heutigen Zeit noch so großes Interesse erzeugt, sei doch auch etwas, so Leber. Nach all den Skandalen in der katholischen Kirche sei es schön, einmal wieder einen Anstoß zu haben, über den Glauben zu diskutieren.

Am Pfingstmontag war Weihbischof Matthias König in der frisch renovierten St.-Clemens-Kirche zu Gast gewesen, um den neuen Altar zu weihen und außerdem Tabernakel und Ambo zu segnen. 130 Gläubige hatten in der Basilika und im neuen Teil der Pfarrkirche unter Corona-Bedingungen Platz genommen. Die Mehrzahl der Gläubigen des Drolshagener Landes verfolgte per Livestream von zu Hause aus die Feierlichkeiten, bei denen erstmals auch das neue Altarbild von Thomas Jessen zu sehen war. Im Altar setzte der Weihbischof Reliquien des Apostels Thomas und des Pfarrpatrons St.Clemens bei.

Seinesgleichen sucht das neu geschaffene monumentale Retabel, das der Esloher Maler Thomas Jessen erstellte. Es zeigt die Himmelfahrt Mariens in einer modernen fotorealistischen Interpretation. Zu sehen ist die Gottesmutter Maria mit Rollkragenpullover und Jeans. Auch die heilige Veronika, die als einzige Figur den Betrachter ansieht, trägt, ebenso wie der Apostel Thomas, heutige Alltagskleidung. In seinem Namenspatron hat sich der Künstler Thomas Jessen als ungläubiger Thomas selbst porträtiert– gemäß einer alten Künstlertradition, sich selbst ins Bild zu bringen. Dass das zeitgenössische Altarbild nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen würde und deshalb der Erklärung bedarf, war Pfarrer Markus Leber klar. Er hatte deshalb in weiser Voraussicht mehrere geistliche Abendimpulse angesetzt, in denen das Bild den Betrachtern nähergebracht werden sollte.

„Durchschaute Wirklichkeit“ lautete der Titel eines Abends mit der Kulturredakteurin Monika Willer. Für sie sei es ein besonderer Moment, ein zeitgenössisches Altarbild zu begleiten. „Wir haben ganz andere Bilder im Kopf“, verwies sie auf zumeist 500 bis 600 Jahre alte Bilder, die aber in der damaligen Zeit genauso aufgeregt hätten. Der Maler Thomas Jessen, der einen anderen Geschmack habe, könne diese Bilderwartungen heutiger Betrachter nicht erfüllen. Pfarrer Leber zollte sie Respekt für die Entscheidung zu diesem Bild, „das den Nerv getroffen hat“. „Himmel und Erde sind verbunden durch den Gürtel“, stellte die Journalistin fest. Die abgebildete Maria sei keine „Kitschmadonna“, sondern eine zeitgenössische und moderne Frau. Da sich viele Details als Bild im Bild lesen lassen, empfahl die Referentin für die genauere Beobachtung ein Opernglas. Es wäre sehr schade, wenn das Bild die Gemeinde spalten würde, sagte Monika Willer. Der Gemeinde empfahl sie: „Seien Sie sehr stolz darauf, Kunstgeschichte zu schreiben.“

Der Andrang vor allem zum Termin mit dem Künstler Thomas Jessen übertraf dann aber– wohl auch wegen der umfassenden Medienberichterstattung– alle Erwartungen. Am Morgen hätten Mitarbeiter des russischen Fernsehsenders „Russia Today“ (RT), der weltweit ausstrahlt, vor dem Pfarrhaus gestanden, berichtete Pfarrer Leber. Freimütig informierte er die Zuhörer auch darüber, dass er von zwei Extremkatholiken auf das Wildeste beschimpft worden sei. Auch der Künstler zeigte sich benommen und erschrocken von der überaus großen Resonanz, die er bekommen habe. „Was ein Bild in diesem digitalen Zeitalter auslösen kann“, sei ihm vorher nicht bewusst gewesen. Wegen des großen Interesses wurden gleich zwei Abendveranstaltungen mit jeweils 130 Zuhörern unter Corona-Bedingungen durchgeführt. Der Esloher Künstler berichtete, dass er vor zwei Jahren den Auftrag von der Pfarrgemeinde erhalten habe, ein Altarbild zum Thema Menschwerdung zu malen. Sein Anspruch sei dann gewesen, dass das Bild authentisch ausfällt. Es sei „eine Riesenanstrengung“ für ihn gewesen, auf einem Gerüst stehend, das 4,10 Meter hohe und 5 Meter breite Bild mit Ölfarben auf die Leinwand zu malen.

Eine Überraschung hielt Pfarrer Leber auch noch bereit: Der Flügelaltar wird nämlich im Advent und in der Fastenzeit nicht zu sehen sein. Dann wird er zugeklappt und es wird ein schlichteres Bild zu sehen sein. Welches, verriet Leber aber nicht. Und auch Thomas Jessen hielt sich bedeckt, welches Bild auf der Rückseite zu sehen sein wird. Er gab lediglich bekannt, dass sein Bild bis zum ersten Adventssonntag fertig sein müsse. Die Gemeinde darf gespannt sein, was darauf zu sehen sein wird. Die nächste Aufregung scheint programmiert zu sein.

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