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22.07.2025
Hans-Jürgen Gierling an seinem liebsten Ort im Dom: der Domkrypta.
Foto / Quelle: Karl-Martin Flüter

Zwischen Event, Kultur und Kirche

Im Paderborner Dom stößt die uralte christliche Tradition auf die weitverbreitete Einstellung vieler Besucher, für die der Dom nur ein touristischer Ort wie viele andere ist. Zwischen diesen verschiedenen Welten müssen die Mitglieder der Domgilde vermitteln.

Von Karl-Martin Flüter
Paderborn

Schon auf dem Weg zum Dom treten zwei Frauen auf Hans-­Jürgen Gierling zu und fragen: „Können Sie uns sagen, wo das Hasenfenster ist?“ Ganz unerwartet kommt das nicht. Schon vorher hatte Gierling erzählt, dass ihm diese Frage im Dom am häufigsten gestellt wird. Den Weg zu Paderborns Wahrzeichen hat er als Mitglied der Domgilde und Domführer schon hundertfach beschrieben.

Seit sechs Jahren ist der 69-­Jährige eines von 108 Mitgliedern der Domgilde, einer Vereinigung, die den ehrenamtlichen Präsenzdienst im Hohen Dom als Aufgabe hat. 70 Mitglieder übernehmen regelmäßig Schichten im Dom, 22 sind zertifizierte Domführer, die im Jahr 360 Führungen leiten. Hans-­Jürgen Gierling ist seit vier Jahren Vorsitzender der Vereinigung.

Für den Rentner, einen ehemaligen Maschinenbau-­Ingenieur, ist das zeitweise ein tagesfüllender Job, nicht nur im Präsenzdienst oder als Domführer. Auch als Vorsitzender gibt es reichlich zu tun. Wochenpläne und Statistiken müssen erstellt werden. Er muss die Kommunikation innerhalb der Gilde sicherstellen und die jährlichen Reisen der Domgilde und Vorträge zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen des Vorstandes organisieren. Trotz der zeitlichen Belastung steht Hans-Jürgen Gierling zu seinem Ehrenamt: „Die Kirche und die kirchliche Architektur haben mich schon als Kind in ihren Bann gezogen.“

Schon bald beginnt für die Domgilde die Hochsaison zu Libori. Dann werden viel mehr Besucher als üblich in den Dom strömen. Unter ihnen sind wie immer viele, die wenig über Religionen und Kirche wissen, oft sind sie zum ersten Mal in einer solchen sakralen Umgebung.

„Der Paradefall ist der junge Mann mit bloßem Oberkörper, der mit seinem Hund durch die Kirche geht“, sagt Hans-­Jürgen Gierling. Den sprechen die Gildemitglieder an und bitten darum, den Dom am nächsten Ausgang zu verlassen. Vielleicht wollte er ohnehin den Dom nur als Abkürzung benutzen, etwa vom kleinen Domplatz hinterm Generalvikariat zum Marktplatz. Diesen ständigen Durchgangsverkehr im Kirchenschiff duldet die Domgilde. Abkürzungen durch den Dom waren in Paderborn schon immer selbstverständlich.

Obdachlose, die auf einer Bank einnicken, lässt die Domgilde. Alkohol aber ist im Dom verboten, genauso wie Speisen zu verzehren oder Eis zu schlecken. Auch die Altarräume dürfen nicht betreten werden. Das alles steht auf den Piktogrammen an den Eingängen zum Dom. Aber die werden oft übersehen und dann sind im Zweifelsfall die Mitglieder der Domgilde gefragt.

Dabei ist die Rolle als Ordnungskraft nicht ihre wichtigste Aufgabe: Eigentlich geht es ihnen darum, über den Dom zu informieren und damit auch für Aufklärung und Verständnis für die jahrtausendealte katholische Kultur zu werben. Die Besucher sollen nicht abgeschreckt, sondern einbezogen werden.

„Oberste Prämisse ist deshalb Diplomatie und Empathie im Umgang“, sagt Hans-­Jürgen Gierling über die Herangehensweise im Präsenzdienst. Kopfbedeckungen sollten im Dom eigentlich abgenommen werden, aber wenn jemand im Winter, wenn es auch im Inneren des Domes recht kühl ist, die Mütze aufbehält, sagt niemand etwas.

Trotz der recht entspannten Haltung gibt es immer wieder mal Probleme. „Das hat mit Corona begonnen“, sagt Hans-­Jürgen Gierling. „Damals reagierten vergleichsweise viele Menschen aggressiv auf die Pandemie-­Sitzregeln im Dom.“ Leider sei die nicht immer freundliche Grundstimmung nicht mit dem Ende der Corona-­Schutzmaßnahmen verschwunden, sondern immer noch latent vorhanden.

Das wird beispielsweise dann deutlich, wenn es um die zweithäufigste Frage der Dombesucher geht – wo denn die nächste Toilette zu finden ist. Im Dom gibt es keine Toiletten, daran hat man bei der Errichtung im Mittelalter nicht gedacht und auch in den Jahrhunderten danach ist niemand auf die Idee gekommen, eine Toilette zu ergänzen. Der Dom war für den Glauben da. Das ist jedoch für moderne, nicht christlich sozialisierte Besucher nicht immer verständlich. Sie betreten den Dom, um eine touristische Attraktion zu besichtigen – und normalerweise bieten solche Schwerpunkte des Fremdenverkehrs auch Toiletten an. Es gibt Toiletten, aber sie sind außerhalb des Domes. Hier stoßen zwei Welten aufeinander: die sakrale Kultur, die bei manchen Besuchern immer mehr in den Hintergrund gerät, und die moderne Eventkultur, die alles immer voraussetzt.

Natürlich lädt die Kirche auch zu Provokationen ein. Die drei jungen Menschen, die während der LWL-­Festveranstaltung zur Ausstellung „1 250 Jahre Westfalen“ im Dom mit totem Federvieh in Windeln hantierten, setzten auf den derart provozierenden Bruch mit der religiösen Umgebung. In den Tagen danach sah sich manches Mitglied der Domgilde kritischen Fragen von Dombesuchern ausgesetzt, wie denn diese Veranstaltung mit der Würde des Hohen Domes vereinbar wäre, für die die Domgilde in ihrem ehrenamtlichen Dienst sorgen soll.

Ein Ort wie der Dom, der im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, wird immer Kritik und Widerspruch hervorrufen. Das überdeckt die große Zustimmung und die positive Reaktion, die die Mitglieder der Domgilde erleben. „Viele verlassen den Dom zufriedener, als sie gekommen sind“, sagt Hans-­Jürgen Gierling. Weil die Domgilde weiß, wie sehr manche Besucher im Dom das Gespräch suchen, haben die Mitglieder das „Zeitgeschenk“ entwickelt. Immer mittwochs von 15.00 bis 17.00 Uhr und samstags von 10.00 bis 12.00 Uhr kann jeder Besucher, jede Besucherin an der Elisabethkapelle spontan vorbeischauen, um dort Gesprächspartner zu treffen.

Hintergrund

Die Domgilde ist auch Ansprechpartner für die Jakobspilger. Im Auftrag der „Jakobuspilger Paderborn“ werden Pilgerausweise ausgegeben oder Stempel in vorhandene Ausweise zum Nachweis der Etappe eingebracht.

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