Wer helfen will, soll fragen
Die nächste Hitzewelle ist da. Wer auf der Straße lebt, lernt, anders mit den heißen Tagen umzugehen. Eine Betroffene erklärt, was obdachlose Menschen nun brauchen.
Rund um die Mittagszeit kommt Melanie wie jeden Tag in ihr Büro. Das liegt zentral in der Bonner Innenstadt, jedoch in keinem Gebäude, sondern auf dem Pflaster der Fußgängerzone vor dem Eingang eines großen Modegeschäfts. Die umliegenden Häuserfassaden bilden seine vier Wände. Durch die auch an Wochentagen zahlreichen Menschen in der Shoppingmeile wirkt es rummelig, lebendig.
Dort sitzt Melanie an einen Steinpfeiler gelehnt. Seit fast sieben Jahren lebt sie – mit Unterbrechungen – auf der Straße. Fürs Schlafen zieht es sie aus der Stadt heraus, den genauen Ort will sie nicht verraten. Die Tage verbringt sie im Büro, wie sie es nennt, in der Fußgängerzone. Dort liest sie viel, spricht mit Menschen und kümmert sich um ihren Begleiter, einen aufgeweckten schwarz-braunen Hund mit dem Namen Filou, was sich etwa mit Lausbub übersetzen lässt. Ein passender Name, meint sein Frauchen.
"Viele bekommen kaum noch richtig Luft"
Die vergangenen Wochen war das Wetter wechselhaft, doch insgesamt erträglich. Doch nun rollt die Hitzewelle wieder an – mit Temperaturen gut über 30 Grad. Für Bewohner von Dachwohnungen ist das unangenehm, für Obdachlose wie Melanie kann es gefährlich sein. Die heißen Tage Ende Juni sind ihr noch gut im Gedächtnis: „Alle haben versucht, sich zu verstecken.“ Aus der Sonne zu kommen, war für sie nicht weiter schwer; der Arkadengang des Modegeschäfts, an dem sie sitzt, bot ausreichend Schatten. Wenn es ihr zu viel wurde, ging sie zum Rheinufer hinunter. „Da ist die Luft frischer.“ Die drückende Wärme setzte aber zu – ihr selbst und vielen anderen. „Das hat man schon gemerkt, dass viele kaum noch richtig Luft bekommen haben.“
Melanie greift zu einer Saftflasche. „Immer genug trinken, das ist wichtig“, rät sie. Ganz unproblematisch ist das Thema nicht – allerdings nicht etwa wegen mangelnder Verfügbarkeit von Wasser. „Leitungswasser bekommt man eigentlich überall her“, weiß Melanie. Doch sie weiß auch: Wer viel trinkt, muss häufiger zur Toilette. Und gerade bei brüllender Hitze dauert es nicht lange, bis öffentliche WCs nur noch unter größter Anstrengung nutzbar sind. „Deswegen trinken hier viele weniger, weil sie nicht so oft aufs Klo wollen“, erklärt Melanie.
Die große Gefahr liegt auf der Hand: Bei Temperaturen über 30 Grad mahnen Verbraucherzentrale und Mediziner, eher mehr als die sonst empfohlenen 1,5 bis 2 Liter Wasser zu trinken. Zu wenig Flüssigkeit kann zu Dehydration führen, die Folgen sind Kopfschmerzen und Schwindel, im schlimmsten Fall Muskelkrämpfe und Kreislaufversagen, das zur Lebensgefahr werden kann. Obdachlose Menschen, die häufig noch mit anderen gesundheitlichen Einschränkungen zu kämpfen haben, gleichzeitig aber weniger Zugang zu Gesundheitsversorgung, sind davon besonders betroffen.
Zahlen darüber, wie viele Obdachlose wegen der Hitze medizinische Versorgung brauchen, gibt es nicht. Rettungsdienste erfassen Hitze als Indikator für Einsätze bislang nicht – zumal die Feststellung darüber, ob das wirklich der Grund etwa für einen Sturz oder Bewusstlosigkeit war, oft erst im Krankenhaus gesichert festgestellt werden kann. Allerdings ist perspektivisch eine Ausweitung des Erfassungssystems geplant, um genauere Daten abrufen zu können, wie die Feuerwehr Berlin auf Anfrage erklärt. „Patient bleibt aber Patient bei uns. Ob obdachlos oder nicht spielt keine Rolle“, so ein Sprecher des Notdienstes in der Hauptstadt.
Besuch von einem Bekannten
In der alten Bundeshauptstadt bekommt Melanie Besuch von einem Bekannten. Der jüngere Mann stellt sich zu ihr, verteilt Streicheleinheiten an Filou und unterhält sich eine Weile mit Melanie. Wie er die Hitze überstanden hat, will sie von ihm wissen. „Ich hab viel im Wald Schatten gesucht, da ist es kühler“, sagt er. Dann erzählt er, dass er sich von seiner Freundin getrennt hat – es habe einfach nicht mehr funktioniert. Melanie nickt verständnisvoll. „Ich habe dir ja gesagt, du musst dann auch irgendwann machen, was besser für dich ist.“
Sie werde oft um Rat gefragt, sagt Melanie. „Manchmal komme ich mir wie eine Streetworkerin vor.“ Wäre das nichts für sie? „Nee, ich bleibe lieber ein kleines Rädchen hier“, entgegnet sie und winkt lachend ab, wird dann aber ernster. „Ehrlich, ich habe großen Respekt vor dem, was die machen. Aber die tragen auch viel Verantwortung, das traue ich mir nicht zu.“ Ganz ohne Beschäftigung ist sie allerdings nicht. Seit einiger Zeit bietet sie als „Stadtstreiferin“ geführte Touren durch die Innenstadt an. „Ich zeige denen meine Wohnung“, erklärt sie das Konzept.
Für ihre Touren erhält sie eine kleine monatliche Pauschale; ein geringer, für sie aber wichtiger Zuverdienst. Denn gerade in den heißen Monaten reicht das Geld oft noch weniger als sonst schon. „Ich kann im Sommer nichts Verderbliches kaufen. Wurst, Käse oder Joghurt, das kann ich ja alles nicht lagern ohne Kühlschrank, das verdirbt dann. Deswegen kaufe ich häufiger fertige Sachen wie belegte Brötchen direkt zum Essen. Das ist aber teurer.“ Die ohnehin klammen Mittel schrumpfen dadurch noch schneller, eine Alternative gibt es für sie nicht. „Ich schmeiße keine Lebensmittel weg, das will ich nicht.“
Soziale Dienste wie die Caritas und der Verein für Gefährdetenhilfe in Bonn haben längst ihre Hilfsangebote für die heißen Tage wieder hochgefahren. Streetworker machen häufiger Kontrollgänge an den Orten, an denen ihre Klienten normalerweise die Tage verbringen, und verteilen Wasser. In einigen Einrichtungen stehen Duschen bereit, die nach Anmeldung genutzt werden können.
Aber auch einige wenige Passanten helfen Melanie – und ganz besonders Filou. Dafür ist die wohnungslose Frau dankbar; dennoch ist gut gemeint nicht immer gut gemacht. „Es haben mir schon Menschen einen Sechserpack 1,5-Liter Wasserflaschen hingestellt. Das ist zwar nett, aber viel anfangen kann ich damit nicht. Das ist zum Trinken auf einmal zu viel und für mich zu schwer, um es rumzutragen.“ Für Menschen, die helfen wollen, hat sie deshalb einen simplen Rat: „Mit uns reden, einfach fragen, was gebraucht wird.“