
Wenn die "letzte Ruhe" nicht für immer dauert
Immer mehr Menschen wollen Tote ausgraben und umbetten lassen.
Lisbeth Geißen (Name geändert) ist nicht mehr gut zu Fuß. Die Arthrose im Knie erschwert ihren Alltag – auch den Gang ans Grab: Ihr verstorbener Ehemann Fritz liegt auf dem kommunalen Friedhof in Osnabrück, 25 Kilometer von ihrem Wohnort entfernt, in der allerletzten Reihe. Hätte sie doch geahnt, dass nun ein Doppel-Wahlgrab in Bad Rothenfelde frei wird. Dorthin, in ihre Nähe, soll der mit 89 Jahren verstorbene Ehemann nun kommen, wünscht sich Geißen. Beim Gesundheitsamt beantragt sie seine Umbettung: Anderthalb Jahre nach dem Tod soll Fritz gewissermaßen posthum umziehen.
Fälle wie dieser kommen laut Fachleuten immer häufiger vor. Grundsätzlich ist es möglich, Urnen und sogar Särge ausgraben und anderswo wieder beerdigen zu lassen. Die juristischen Voraussetzungen dafür sind jedoch streng. Zu Recht, sagt Rechtsanwalt Torsten Barthel: „Die Totenruhe und Totenwürde stehen hierzulande sehr hoch. Daher müssen die Verwaltungsgerichte im Einzelfall über Umbettungen entscheiden.“ Die Würde des Menschen gilt laut Grundgesetz über den Tod hinaus; die Totenruhe soll dies schützen.
"Reinen Tisch machen" - auch mit den Toten
Der Verwaltungswissenschaftler bekommt monatlich etwa eine entsprechende Anfrage; deutlich mehr als früher, wie er betont. Bundesweite Zahlen zu Umbettungen gibt es nicht, doch Friedhofsverwaltungen bestätigen den Trend.
Die Haltung der Menschen habe sich verändert, erklärt Barthel. Vor einigen Jahren bis Jahrzehnten hätten sich die meisten gewünscht, dass ihre Verstorbenen die letzte Ruhe finden und dass der dafür gewählte Ort unverändert bleibt, bis die sterblichen Überreste vergangen seien. „Heute wollen viele etwa beim Umzug in eine andere Stadt reinen Tisch machen und alles mitnehmen – auch die Toten.“ Eine Familienzusammenführung kann ihm zufolge unter Umständen als Grund für eine Umbettung anerkannt werden.

Auch der Umgang mit Tod und Trauer sei in stetigem Wandel. So wünschten sich viele Menschen eine anonyme Grabstätte, sagt der Jurist. Tatsächlich meinten sie damit allerdings meistens eine pflegeleichte Stätte, also etwa ein Baumgrab mit einer Namensplakette – keinen wirklich anonymen Platz, dessen genauen Standort niemand erfährt. Für Hinterbliebene kann es zur Belastung werden, wenn dieser Unterschied nicht beachtet wird – und ihnen ein Ort der Trauer und Erinnerung fehlt.
Juristisch gesehen liege in solchen Fällen eine sogenannte Geschmacksänderung vor, erklärt Barthel. Und die reicht nicht, um eine Umbettung zu genehmigen: „Die Chance, zu entscheiden, habe ich im Bestattungsfall“, so der Experte. Eine Trauersituation sei immer hart – wer also argumentiere, überfordert oder schlecht beraten gewesen zu sein, habe vor Gericht kaum Chancen. Er appelliert daher an Bestatter und Friedhofsverwalterinnen, „den Leuten diese anonymen Sachen auszureden“.
Berlin und Brandenburg strenger als Bayern
Ein Standort, der Angehörigen nicht mehr gefällt, oder deren fortschreitendes Alter: Auch diese Begründungen für Umbettungswünsche werden in der Regel abgelehnt. Als „guter“ oder „vernünftiger“ Grund im juristischen Sinn gelten dagegen eine Missachtung vom Willen des Verstorbenen oder auch eine Bestattung in einer ungeeigneten Grabstätte. Beides ist derweil oft schwierig nachzuweisen. Und auch bei einer Genehmigung können Hindernisse auftreten – so ist womöglich gerade nach Bestattungen in Bio-Urnen nichts mehr übrig, das sich umbetten ließe.
Laut Barthel braucht es sowohl vor als auch nach Ablauf der Mindestruhezeit eine Genehmigung für eine Umbettung. Die Ruhefristen betragen je nach örtlicher Friedhofssatzung meist zwischen zwölf und 25 Jahren. Nach ihrem Ablauf gilt eine Urne nur noch als „Grabbeigabe“: Sie etwa im Fall eines Umzugs mitzunehmen, ist dann einfacher. Das ist nicht der einzige Unterschied zwischen den Regionen: Besonders streng sind die Regelungen in Berlin und Brandenburg; auf manchen kirchlichen Friedhöfen in Bayern werde dagegen „alles“ genehmigt, sagt Barthel mit einem Augenzwinkern: „Das gilt vor allem auf dem Land, wo man sich kennt.“

Öffentliche Gründe – etwa der Infektionsschutz oder die Auflösung eines Friedhofs – können eine Umbettung allerdings sogar erforderlich machen. Keinesfalls zulässig seit es dagegen, selbst zu „buddeln“, wie es mitunter in Spielfilmen vorkommt. In der Realität könne eine Leichen-Ausbettung „sehr eklig und emotional erschütternd“ sein, warnt Barthel, weswegen Angehörige zumeist nicht dabei sein dürften. Bei Sargbestattungen werde zudem immer das Gesundheitsamt zu Rate gezogen – es könne etwa anordnen, dass der Vorgang nicht im Sommer erfolgen dürfe oder schon früh am Morgen stattfinden müsse.
Und Lisbeth Geißens Sehnsucht nach ihrem Fritz? Die Umbettung wurde abgelehnt. Ein „typischer Jammerfall“, sagt Barthel: Die Gehbehinderung der Ehefrau habe schon bei Fritz‘ Beerdigung bestanden und sich seither nicht verändert; eine Entfernung von 25 Kilometern sei ebenso zumutbar wie das häufig beklagte „Fahren zur Rush-Hour“; dass Hinterbliebene älter würden, sei der normale Lauf der Dinge. Als Faustregel gelte: „Es muss unmöglich sein, die Grabstätte ohne eine Umbettung zu erreichen“ – dann sei die Chance groß, dass eine Umbettung genehmigt werde.