Vom Schandmal zum Mahnmal
Das „Judensau“-Relief in Wittenberg ist nur ein Beispiel: Antijüdische Darstellungen in christlichen Kirchen sind keine Seltenheit. Jetzt gibt es einen Leitfaden der Bistümer und Landeskirchen. Im Interview spricht Benedikt Körner vom Erzbischöflichen Generalvikariat über die Hintergründe und nennt Beispiele dafür, was man im konkreten Fall tun kann.
Warum blicken wir aktuell so kritisch auf diese Darstellungen? Oder umgekehrt: Warum hat sich so lange niemand daran gestoßen?
Ich denke, das liegt daran, dass wir in der Kirche mittlerweile alle viel sensibler geworden sind in ganz verschiedenen Dingen. Dadurch blicken wir viel differenzierter auf solche Darstellungen. Viele dieser Bildwerke kommen jetzt erst in das Bewusstsein, weil sie so detailreich sind. Man muss wirklich genau hinschauen und tief in der Materie sein, um das zu verstehen, was dort abgebildet worden ist.
Gibt es einen konkreten Anstoß für die Broschüre?
Die Entstehung der Broschüre war ein Prozess. Die Idee zur Handreichung kam in der ökumenischen Runde der Beauftragten für das Judentum in NRW, in der wir uns regelmäßig treffen und austauschen. Dort ist das Thema vor etwa zwei oder drei Jahren aufgekommen, da in verschiedenen Bistümern und Landeskirchen immer wieder unterschiedliche Darstellungen entdeckt worden sind. Das hat uns dann dazu veranlasst zu sagen: Arbeiten wir zusammen und entwickeln gemeinsam Leitlinien, um zu zeigen, was man tun kann, wenn man so etwas entdeckt. Dazu haben wir uns dann auch mit den jeweiligen Beauftragten für Kunst beziehungsweise Denkmalschutz zusammengeschlossen. Gleichzeitig ist die Broschüre auch eine Art Sehhilfe, wie man solche Darstellungen überhaupt erkennt. Denn wir haben auch festgestellt, dass es unglaublich viele Details gibt. Bei mir ist es anfangs auch so gewesen, dass ich bei manchen Darstellungen nicht verstanden habe, was daran jetzt antijüdisch ist. Erst beim Einlesen und mit dem Recherchieren ist es mir ins Bewusstsein gekommen.
Wo gibt es im Erzbistum Darstellungen, die wir als antijüdisch ansehen?
Über dem Eingangsportal der 1916 geweihten Heilig-Kreuz-Kirche in Dortmund, im sogenannten Tympanon, befindet sich eine „Ecclesia-et-Synagoga“-Darstellung. In einem Mosaik ist bildlich die Überlegenheit des Christentums über das Judentum kolportiert abgebildet. Wir haben außerdem Passionsdarstellungen oder Kreuzwege, die manchmal schon seit Jahrhunderten in oder bei Kirchen sind und die kaum im Detail betrachtet werden. Dort muss man genau hinschauen. Man kann zum Beispiel Darstellungen finden, in denen jüdisch zu lesende Menschen Jesus ans Kreuz nageln. Denn wenn ein Mensch mit „Judenhut“ Jesus ans Kreuz schlägt, ist das ja schon eine Botschaft. Denn es steht ganz klar im Evangelium, dass die Römer für den Kreuzestod verantwortlich sind. Warum also werden dann jüdische Menschen dargestellt? Damit wird der sogenannte „Gottesmord-Vorwurf“ gegenüber dem Judentum sehr deutlich vertreten.
Besteht die Gefahr, dass man manchmal zu viel in solche Darstellungen hineininterpretiert?
Das ist ein großes Thema. Es gibt auch Grauzonen. Sind das nur Darstellungen von jüdischen Menschen, die natürlich in der damaligen Zeit dort gelebt haben? Wird da irgendetwas hineininterpretiert, was gar nicht vorhanden ist? Das macht das Thema so komplex. Fest steht, dass wenn es die Möglichkeit gibt und die Gefahr besteht, etwas antijüdisch zu interpretieren und zu lesen, dann sollte man es auch kennzeichnen und sensibel damit umgehen. Wir möchten uns ganz klar von solchen antijüdischen Lesemöglichkeiten und Botschaften distanzieren. Die gehören nicht in unsere Kirchen.
Welche Hinweise gibt die Broschüre ganz konkret zum Umgang mit solchen Bildwerken?
Wir haben vier Methoden vorgeschlagen. Eine ist das Abhängen von antijüdischen Darstellungen. Das geht natürlich nicht überall und ist zugleich eine sehr radikale und scharfe Form. Und die entstehende Leerstelle müsste dann auch aufbereitet werden, beispielsweise eingerahmt und mit einer Erklärung gekennzeichnet werden. Es besteht ansonsten die Gefahr der Geschichtsvergessenheit und -verleumdung, wenn man so etwas einfach entfernt. Damit würde der Eindruck erweckt, dass es das nie gab. Man kann die vorhandene Darstellung auch durch entsprechende Hinweise erklären und kritisch kommentieren. Die Heilig-Kreuz-Gemeinde in Dortmund hat sich dazu entschieden, die eben erwähnte „Ecclesia-et-Synagoga“-Darstellung am Kirchenportal mit einem erklärenden Text zu versehen. Dieser ordnet das Bildwerk ein und distanziert sich gleichzeitig von der Darstellung. Außerdem gibt es die Möglichkeit eines „Gegenkunstwerkes“: Die Handreichung empfiehlt, antijüdischen Darstellungen auch mit bildlichen Darstellungen entgegenzutreten. Sozusagen ein künstlerisches Gegenbild zu erzeugen. Das ist allerdings mit sehr viel Aufwand verbunden. Dann kann man antijüdische Kunst auch noch teilweise verhüllen. So kann man konkret den antijüdischen Teil unsichtbar machen und gleichzeitig zeigen: Hier ist etwas, was nicht in Ordnung ist.
Man muss also von Fall zu Fall entscheiden?
Genau. Das sind Vorschläge von uns. Es gibt bestimmt noch andere Möglichkeiten oder eine Kombination aus verschiedenen Vorgehensweisen. Wir möchten die Gemeinden ermutigen, kreativ damit umzugehen.
Ist die Broschüre auch ein Anstoß, so einen Prozess überhaupt in Gang zu bringen?
Auf jeden Fall: Die Handreichung soll dazu einladen, sich einfach noch einmal in seiner Gemeinde umzuschauen, ob es dort antijüdische Darstellungen gibt.
Kann so aus einem „Schandmal“ ein „Mahnmal“ werden?
Wenn man sensibel, fundiert und transparent agiert, kann das durchaus gelingen.
Welche Bedeutung hat dieser Prozess für den christlich-jüdischen Dialog – auch angesichts des aktuellen Antisemitismus?
Die meisten Darstellungen, über die wir sprechen, sind sehr alte Relikte und drücken ein Verhältnis zwischen Christen und Juden aus, das den jüdischen Glauben diffamiert. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist ein Wandel in Gang gekommen. Heute ist es für die großen Kirchen ganz klar, dass Antijudaismus und Antisemitismus keinen Platz haben. Darüber muss man heute nicht mehr reden. Von jüdischer Seite wurde immer deutlich gemacht: „Das sind Aufgaben, die Ihr als Kirchen machen müsst.“ Jetzt geht es um Überbleibsel, die aufgearbeitet werden müssen. Sicherlich trägt das positiv zum christlich-jüdischen Dialog bei.
Wie wurden diejenigen in die Entstehung der Broschüre eingebunden, die dargestellt wurden?
Vor Redaktionsschluss gab es eine „Resonanzrunde“ mit Experten aus verschiedenen Disziplinen und Bereichen. Dort waren auch jüdische Partnerinnen und Partner vertreten, die Stellung bezogen haben. Im Gespräch mit Vertretern des Judentums kommt häufig der Hinweis, dass das eine „innerchristliche Angelegenheit“ sei, verbunden mit der Aufforderung, etwas zu unternehmen und Stellung zu beziehen.
Hintergrund
Die Arbeitshilfe „… und jetzt? Leitlinien zum Umgang mit antijüdischen Bildwerken in und an Kirchenräumen“ kann hier heruntergeladen werden:
https://www.erzbistum-paderborn.de/wp-content/uploads/sites/6/2025/03/Leitlinie_AJBIK_2025.pdf
Die Broschüre kann in gedruckter Form bestellt werden per E-Mail:
benedikt.koerner@erzbistum-paderborn.de