6 Min.
04.08.2025
Pastor Bernd Haase ist seit dem 1. Dezember 2024 Wallfahrtsleiter in Werl.
Foto / Quelle: Wolfgang Maas

Tradition bewahren und Neues wagen

Im Interview spricht der Werler Wallfahrtsleiter Pastor Bernd Haase über das Pilgern, verlässliche Angebote und neue Chancen, Menschen mit der Frohen Botschaft zu erreichen.

Interview: Wolfgang Maas

Herr Pastor Haase, seit gut einem halben Jahr sind sie Wallfahrtsleiter. Wie sind Ihre Eindrücke?

Ich bin sehr dankbar, an diesem besonderen Ort meinen Dienst tun zu dürfen. Gleichzeitig mache ich die Erfahrung, dass ich wohl ein Jahr brauche, um in die neue Aufgabe und die neue Thematik hineinzukommen und die Abläufe kennenzulernen. Es gibt hier eine ganz andere Schwerpunktsetzung als in dem, was ich in den letzten 30 Jahren tun durfte. Davon war ich 20 Jahre lang Pfarrer, Leiter eines pastoralen Raumes und 11 Jahre Dechant. Diese letzten 20 Jahre waren von Veränderungsprozessen geprägt. Im Grunde war ich damit beschäftigt, diese Veränderungsprozesse anzustoßen und zu begleiten. Wir mussten mit weniger pastoralem Personal und Geld auskommen und größere Einheiten bilden. So manches Mal hatte ich das Gefühl, mehr Manager als Seelsorger zu sein und nur noch wenig mit dem „operativen Geschäft“ zu tun zu haben. Und auch das Arbeiten im Team ist anders: Fast alle, die hier arbeiten, sitzen auf einem Flur beieinander. Wir haben unsere Büros im Pilgerkloster. Das heißt, auch im Team begegnet man sich täglich.

Mit dem operativen Geschäft meinen Sie die Seelsorge?

Ja. Natürlich habe ich noch beerdigt, natürlich habe ich Gottesdienste gefeiert. Es war aber auch so, dass ich einen großen Teil meiner Zeit in Sitzungen verbracht habe, in denen es um Strategieplanung ging. Es war meine Aufgabe, anderen zu ermöglichen, Seelsorge zu betreiben.

Das ist als Wallfahrtsleiter anders?

Hier ist die Schwerpunktsetzung deutlich anders. Ich bin hier in einer Position, in der die Seelsorge, das Dasein für die Menschen und gerade die Beichtseelsorge, die wir hier in der Basilika haben, die Hauptrolle spielen. Wallfahrerinnen und Wallfahrer zu begrüßen und mit ihnen im Gespräch zu sein – das prägt gerade die Wallfahrtszeit vom 1. Mai bis zum 1. November. Was ich aber total spannend finde, ist, dass wir hier Beichtkirche sind.

Das bedeutet?

Von Montag bis Samstag haben wir jeden Morgen von 9.00 bis 12.00 Uhr und jeden Nachmittag von 15.00 bis 18.00 Uhr die Möglichkeit, dass Menschen zum Beichten kommen oder einen Priester sprechen können – mit welchen Anliegen auch immer. Dass so viele Leute aus einem recht großen Umkreis das annehmen und nutzen, beeindruckt mich schon sehr.

Beichten kann ich allerdings auch in meiner Heimatgemeinde. Warum ist die Wallfahrtsbasilika eine so beliebte Anlaufstelle?

Teilweise ist das Angebot der Beichte vor Ort sehr ausgedünnt und nicht immer verlässlich. Teilweise ist die Schwelle hoch, wenn es heißt: „Zur Beichte bitte am Pfarrhaus schellen.“ In der Wallfahrtsbasilika gibt es verlässliche Zeiten – das ist in der Fläche so gar nicht mehr leistbar, was wir hier tun können.

Es gibt hier auch Oldtimer-, Trecker- oder eine Mini-Kiddy-Car-­Wallfahrt. Ist diese Vielfalt das, was Werl ausmacht?

Werl ist in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts groß geworden durch die Wallfahrt der Heimatvertriebenen – Schlesier, Oberschlesier, Grafschaft Glatz, Ermland. Das sind Wallfahrten mit zum Teil Zehntausenden Menschen in den 1950er-, 1960er- und 1970er-­Jahren gewesen. In dieser Zeit musste man sich wohl nicht aktiv darum bemühen, ein neues Klientel zu erschließen. Das lief einfach. Aber das war generell so in der Kirche. Die Leute kamen.

Das ist heute nicht mehr der Fall.

Mittlerweile müssen wir schauen, wie wir das Evangelium an den Mann oder an die Frau bekommen. Unsere Aufgabe bleibt ja, die Mission, die Botschaft Jesu Christi in die Welt zu tragen. Für uns in der Wallfahrt Werl sind zudem die Fragen wichtig: Wen könnten wir zur Wallfahrt einladen, der bisher noch keinen Bezug dazu hat? Was heißt es für Menschen heute zu pilgern? Welche Angebote gilt es für die Menschen zu machen, damit sie sich eingeladen fühlen? Vor diesem Hintergrund sind solche Dinge entstanden wie die Motorradwallfahrt, die Oldtimerwallfahrt oder die Mini-Kiddy-Car-­Wallfahrt.

Klingt das nicht eher nach anbiedern?

Jetzt kann man natürlich sagen: Das ist ein Anbiedern. Ich sage aber eher: Es ist im Grunde eine Möglichkeit zu schauen, wie ich pastorale Angebote aktualisiere für die Menschen von heute. Angebote wie die Motorradwallfahrt erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Das funktioniert nicht, weil man sich anbiedert. Wir machen ja kein großes Rahmenprogramm, kein „Event“. Aber die Menschen spüren: Der Segen Gottes und das Beten tun mir gut in diesen herausfordernden Zeiten. Und auch das Gespräch mit Gleichgesinnten.

Welche Angebote des Wallfahrtsteams kommen noch an?

Was im vergangenen Jahr wirklich gut Anklang gefunden hat, war, dass gezielt Angebote vom Wallfahrtsteam gemacht wurden, begleitete Pilgerwege zu gehen. In diesem Jahr ist die Idee fortgesetzt worden. Das sind unterschiedlich lange Wege, teilweise nur fünf Kilometer lang. Diese Angebote erfreuen sich einer wachsenden Beliebtheit. Leute können vielleicht nicht drei Tage unterwegs sein. Aber sie wollen trotzdem die Erfahrung machen, mal ein Stück zu Fuß unterwegs zu sein und an die Grenzen der eigenen Kräfte zu kommen. Das finde ich beeindruckend, dass sich Menschen dieser Herausforderung stellen. Von daher nehme ich wahr: Pilgern ist in, weil das etwas mit mir macht, wenn ich mich auf den Weg mache und mich nicht mal eben ins Auto setze und schnell an mein Ziel komme.

Wie entstehen neue Ideen?

Ich erlebe hier ein kreatives Team, das sehr nah dran ist an den Bedürfnissen und Fragen der Menschen. Es entstehen immer wieder Ideen wie die Pilgerwege. Das kommt daher, dass man hinschaut und hinhört auf die Themen der Menschen. In dem Sinne hat sich dieser Wallfahrtsort immer weiterentwickelt. Die Motorradwallfahrt war zum Beispiel eine Initiative von Pater Ralf Preker OFM im Wallfahrtsjubiläumsjahr 2011. Ich glaube, dass jeder, der im Team arbeitet oder gearbeitet hat, etwas hinterlassen hat im Sinne von: Wie können wir diesen Wallfahrtsort weiterentwickeln?

Was bedeutet das Motto des Heiligen Jahres 2025 für Werl?

„Pilger der Hoffnung“ ist ein Vermächtnis, das uns Papst Franziskus hinterlassen hat in einer Welt, die von so viel Hoffnungslosigkeit, von Krieg und Verzweiflung geprägt ist. Da ist Werl, zumindest über die 350 Jahre, die das Gnadenbild hier verehrt wird, immer ein Hoffnungsort gewesen – und ein Ort, an dem Menschen das abladen können, was ihnen zu schwer geworden ist. Dann kehren sie – hoffentlich – bestärkt und ermutigt in ihren Alltag zurück.

Die Gesamtzahl der Wallfahrerinnen und Wallfahrer geht auch in Werl zurück. 250 000 Personen wie in den 1950er-­Jahren werden nicht mehr erreicht. Wie bewerten sie dies?

Einer meiner Vorgänger sagte einmal: „Wir sind Seelsorger, nicht Zählsorger.“ Wir wollen für die Menschen, die nach hier kommen, da sein, verlässlich, ansprechbar, zugewandt. Das ist etwas, was einen Wallfahrtsort ausmachen kann. Da geht es nicht zuerst um Zahlen.

Woher stammen die treuesten Gruppen?

Hier haben wir bestimmte Gruppen, die teilweise schon seit 50, 100 oder 250 Jahren oder länger kommen. Nächstes Jahr haben wir das Jubiläum der Fußwallfahrt aus Werne an der Lippe, die seit 350 Jahren hierhin pilgern. Am Patronatswochenende nach dem 2. Juli begrüßen wir unsere meisten Fußwallfahrtsgruppen. Sie kommen aus Olpe, aus Delbrück, aus Stift Hildesheim, aus Arpe, aus Lenhausen, aus Warstein und aus Much im Bergischen. Die Gruppe der Mucherinnen und Mucher geht 125 Kilometer zu Fuß und hatte 2024 ihr 250-­jähriges Jubiläum.

Wie schätzen Sie die Zukunft der Marienwallfahrt Werl ein?

Ich habe nicht die Vorstellung, dass nur, weil wir der Wallfahrtsort Werl sind, wir automatisch die nächsten 300 Jahre ständig Menschen hier haben. Das wird nicht funktionieren. Der Transformationsprozess geht nicht an der Marienwallfahrt vorbei! Natürlich braucht es die Angebote für die klassische Wallfahrtsklientel, das ist keine Frage. Aber auf der anderen Seite braucht es auch diese Sensibilität dafür, wie wir diesen Wallfahrtsort weiter entwickeln können, und die Türen für Menschen öffnen können, die nicht automatisch hierherkommen. Das ist im Team immer wieder ein Gesprächs­thema: die Bedarfe der Menschen heute. Was mir ebenfalls Hoffnung für die Zukunft gibt, ist die hohe Zahl an Ehrenamtlichen in den unterschiedlichen Bereichen hier in der Marienwallfahrt – im Pilgerkloster, im Pilgerbüro und in der Wallfahrtsbasilika. Ohne sie würde vieles nicht gehen. Wenn mir in diesen ersten sieben Monaten hier in Werl etwas klar geworden ist, dann sind es diese Haltungen, die auch für die Zukunft dieses Ortes wichtig sind: Gastfreundschaft und Willkommenskultur und eine große pastorale Verlässlichkeit!

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