6 Min.
26.04.2025
Professor Matthias Kortmann forscht zum Thema Populismus.
Foto / Quelle: TU Dortmund

Religion? Gerne, wenn es passt!

Klimajünger oder das Fegefeuer – populistische Politikerinnen und Politiker etwa von der AfD nutzen durchaus religiöse Begriffe. Für Professor Matthias Kortmann von der Technischen Universität Dortmund (TU) ist das vor allem ein Mittel zum Zweck.

Interview: Wolfgang Maas

Herr Prof. Kortmann, setzen populistische Parteien wie die AfD religiöse Begriffe bewusst ein?

Ich glaube, dass das eine sehr strategische Entscheidung ist, religiöse Begriffe zu benutzen. Das betrifft unterschiedliche Felder. Wenn es um Migrationspolitik geht, dann geht es vor allem um die christliche Religion, die man verteidigen will gegen eine angebliche Islamisierung. In einem anderen Politikfeld wird die „Klima-­Religion“ dagegen als etwas Irrationales und Unvernünftiges verstanden. Da, wo es passt, ist die AfD pro-­religiös und pro-­christlich. Das ist ein sehr strategischer Umgang mit Religion als Konzept.

Steckt da aus ihrer Sicht eine Ideologie dahinter?

Das ist eine grundsätzliche Frage: Fordern und argumentieren Populisten aus Überzeugung oder aus strategischen Gründen? Ich glaube, am Beispiel der Religion kann man zeigen, dass da viel instrumentelles Verhalten, also viel Strategie dahintersteckt. Das ist keine Überzeugung in dem Sinne, dass man das Christentum als besonders ­förderungswürdig verteidigen oder hervorheben möchte. Es wird genutzt, weil man glaubt, dass man so Wählerstimmen gewinnen kann.

Inwieweit setzt man dadurch auf Gefühle der potenziellen Wähler?

Religion ist immer ein sehr emotionales Thema in beide Richtungen, positiv wie negativ. Positiv deshalb, weil man die christlich-­abendländische Kultur Deutschlands immer wieder als Identitätsmerkmal abrufen kann. Deutschland ist zwar stark säkularisiert, aber Menschen können sich daran orientieren und tun das auch. Das Christentum hat sicher eine Rolle gespielt bei der Identitätsbildung dieses Landes. In die andere Richtung wird Religion als etwas Persönliches verstanden, das im öffentlichen Raum keine große Rolle spielen soll.

Religion stiftet also auch dann Identität, wenn ich keine Ahnung von ihren Inhalten oder Riten habe?

Die Frage ist, ob man Religion eher als Glauben oder als kulturellen Faktor versteht. Wenn Religion in der Politik als etwas Positives hervorgehoben wird, dann hat das häufig einen kulturellen Hintergrund. Da geht es nicht so sehr darum, was in der Bibel steht oder was das Christentum konkret an Dogmen beinhaltet. Es geht darum, wie das Christentum als kulturelle Eigenschaft Deutschland geprägt haben soll. Menschen können das Christentum als Teil ihrer Kultur akzeptieren, ohne religiös oder fromm zu sein.

Dann kann man seinen Nächsten lieben und trotzdem die Grenzen dichtmachen …

Genau. Wenn man das Christentum als kulturelle Ressource ansieht, dann muss man sich nicht so genau mit christlichen Werten auseinandersetzen. Deshalb passt das gut zusammen, dass man einerseits sagt, man sei christlich, und andererseits Forderungen stellt, die der christlichen Nächstenliebe nicht unbedingt entsprechen. Das findet man oft bei politischen Akteuren.

Begriffe wie „Jünger“ verstehen auch Menschen, die keine großen Kenntnisse von Religion haben. Wie kommt das?

Das ist interessant. Was ein Jünger ist oder was er genau tut, hat heute eine negative Konnotation im Sinne von: Jemand läuft jemand anderem ohne darüber nachzudenken hinterher. Deshalb kann man den Begriff verwenden, um zu diskreditieren. Das ist bei Heiligen, etwa bei den Klima-­Heiligen, ähnlich. „Heilige“ wird despektierlich und verspottend benutzt. Es gibt Klischee-­Vorstellungen, die mit der Begrifflichkeit hervorgerufen und provoziert werden können. Man hat immer den Aspekt des Irrationalen, des „ohne Verstand handeln“. Das ist eine Verzerrung davon, was Religion eigentlich ausmacht.

Aus katholischer Sicht ist ein Heiliger oder eine Heilige allerdings nicht naiv, sondern handelt aus dem Vertrauen auf Gott. Das ist doch etwas Positives, oder?

Das wäre die Definition, die man aus einem christlichen Kontext kennt. Inzwischen funktioniert der Begriff im Alltag aber anders. Jemand wird, ohne etwas dafür getan zu haben, als Vorbild für eine bestimmte Gruppe gesehen. Rational begründbar ist die Verehrung nicht und somit unvernünftig.

Irrational heißt auch emotional?

In gewisser Weise schon. Die Emotionen überdecken das rationale Denken. „Der gesunde Menschenverstand“ ist auch eine Formulierung, die gerne in der Politik genutzt wird. Durch den gesunden Menschenverstand verfolgt man Ziele und wenn man davon abweicht, folgt man ihm nicht mehr. Emotionen überdecken die Ratio und das ist gefährlich. Es wird auch gerne das Bild der Sekte bedient. Religiöse Menschen sind Verirrte, Verblendete. Dieses Motiv taucht immer wieder auf. „Der gesunde Menschenverstand“ ist gleichzeitig ein Totschlag­argument. Emotionen und Verstand werden als Gegenparts benutzt, was aber gar nicht so sein muss. Populisten spielen gerne mit Gegensätzen wie gut versus böse, problematisch versus unproblematisch. Dabei wird übersehen, dass auch beides zusammengehen kann.

Populisten machen Stimmung gegen Religion, weil sie zu emotional ist, schüren aber somit selbst Emotionen. Ist das ein Widerspruch?

Ja, die Widerspruchsfreiheit ist im Populismus aber ohnehin nicht immer gegeben. Es wird auch gar nicht versucht, das zu überdecken. Es geht im Populismus vor allem darum, dass man bestimmte Themen setzt und provoziert, auch mit widersprüchlichen Aussagen. Es geht nicht um Fakten, sondern darum, Gehör geschenkt zu bekommen. Ob das widerspruchsfrei ist, ist nicht so wichtig.

Wie wichtig sind Übertreibungen?

Aus populistischer Sicht können Übertreibungen helfen, Aufmerksamkeit zu bekommen und die anderen steigen mit ein. Das ist die Ressource, um von den Wählerinnen und Wählern wahrgenommen zu werden.

Das erinnert an US-­Präsident Donald Trump. Arbeitet er auch so?

Das ist tatsächlich wie bei Donald Trump. Er will in 24 Stunden den Ukraine-­Krieg beenden. Die 24 Stunden sind inzwischen vorbei, das ist aber egal. Das ist eine provozierende Aussage, bei der jeder weiß: Das ist drüber. Aber jeder erinnert sich an sein Zitat und so hat Trump erreicht, was er erreichen wollte. Der Fokus ist auf ihm. Das hat ihm im Wahlkampf geholfen. Andererseits hat die Dämonisierung Trumps als Gefahr für die Demokratie nicht gefruchtet, weil er immer die Schlagzeilen dominieren konnte. Trump hat eine Anhängerschaft, die zu glauben scheint: Alles, was nützt, ist gut. Das Problem ist, dass das Aussprechen von offensichtlichen Unwahrheiten nicht mehr sanktioniert wird. Dann ist die Frage: Wo ist die Grenze?

Können Demokratien das aushalten?

Demokratien können noch so gefestigt sein – sie sind immer dann gefährdet, wenn die Menschen, die die Institutionen personell befüllen, nicht demokratisch orientiert sind. Demokratische Politiker wissen das auch. Es muss immer die Möglichkeit der Kontrolle geben. Die Gewaltenteilung ist zentral.

Sehen Sie die Demokratie in Deutschland gefährdet?

Deutschland hat aufgrund der Erfahrungen mit der ersten gescheiterten Demokratie durchaus Schutzmechanismen in der Verfassung, durch die man antidemokratische Kräfte bändigen kann. Aber auch hier ist ein Szenario nicht auszuschließen, in dem Populisten eine parlamentarische Mehrheit bekommen und dadurch Einfluss auf die Besetzung anderer Institutionen erhalten.

Wird der Populismus aus dem politischen Leben wieder verschwinden?

Fürs Erste müssen wir damit leben. Die Zeit lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Ich glaube, dass die etablierten Parteien bisher keine guten Strategien gefunden haben, um mit Populisten umzugehen. Es wird immer noch verstärkt versucht, ihre Forderungen zu adaptieren. Das ist eine Strategie, die empirisch gesehen nicht gut funktioniert, weil man immer das Original stärkt und Themen groß macht, mit denen Populisten Erfolg haben. Man hätte im Wahlkampf ja auch über andere Dinge diskutieren können als über Migration. Migration ist das Thema, mit dem die AfD am meisten punkten kann, weil sie immer noch radikalere Forderungen stellen kann. Eine politische Partei, die weiß, dass sie keine Regierungsoption hat, kann fordern, was sie will. Wenn es die etablierten Parteien schaffen, ehrlich ihre eigenen Positionen zu formulieren und zu verteidigen, können sie die populistische Seite aber durchaus schwächen.

Wäre es eine Option, die AfD an der Regierung zu beteiligen?

Davor warne ich, weil man so die Populisten nicht langfristig schwächt. Man enttabuisiert sie dadurch eher noch. In Österreich hat die FPÖ bereits mitregiert und musste Kompromisse eingehen. Dann hat sie die Wahl verloren. Das hat aber nicht dazu geführt, dass die FPÖ verschwunden ist. Langfristig gewinnt die FPÖ, weil sie als regierungsfähig enttabuisiert wird. Die Hürde, sie mit an Bord zu nehmen, ist geringer geworden. Und sie kann Schaden anrichten. Vor allem für Personen, die Minderheiten angehören, ist es keine gute Lösung.

Als demokratisch gesinnter Mensch muss ich also immer sachlich gegen Populisten argumentieren?

Ja, das ist schwierig und anstrengend. Populistische Slogans sind sehr einfach, dagegen zu argumentieren ist kompliziert. Man sollte den Großteil der Wählerinnen und Wähler allerdings auch nicht unterschätzen. Wenn man es schafft, Komplexität zu reduzieren, ohne dabei unzulässig zu vereinfachen, verstehen es die meisten Menschen.

Zur Person

Matthias Kortmann ist interdisziplinärer Juniorprofessor „Religion und Politik“ an der TU Dortmund, Institut für Philosophie und Politikwissenschaft. Einer seiner Schwerpunkte ist der politische Populismus und dessen Rhetorik.

0 Kommentare
Älteste
Neuste
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen