Neues Denken gegen alte Zäune
Das Heilpädagogische Förderzentrum St. Laurentius (HPZ) in Warburg ist eine der größten Einrichtungen für Menschen mit Behinderung in Ostwestfalen-Lippe. Die Einrichtung ist im Erzbistum Paderborn einer von zwölf „Orten der Hoffnung“ im Heiligen Jahr 2025. Zwei Drittel sind Kinder und Jugendliche mit einer geistigen oder seelischen Behinderung.
Die Prozession an Fronleichnam endete im Juni in Warburg am Rand der Stadt, auf dem Campus St. Laurentius. Seit Jahren ist das so. Auch in diesem Jahr hatten sich viele Menschen auf der Rasenfläche vor der Kirche St. Laurentius versammelt. Dass die katholischen Gemeinden aus Warburg in St. Laurentius zusammenkommen, ist ein Erfolg für das Heilpädagogische Therapie- und Förderzentrum St. Laurentius (HPZ).
Die Einwohner in Warburg für das Leben im HPZ zu interessieren und sie aktiv einzubinden, gehört zu den wichtigsten Zielen der inklusiven Einrichtung, die zum katholischen Verein „Caritas Wohnen und Werkstätten Paderborn“ (CWW) gehört. Das HPZ ist mehr als der Wohn-Campus in Warburg. Von hier aus werden auch Wohnangebote wie Wohngemeinschaften und ein familienunterstützender Dienst im Hochstift Paderborn geleitet.
Nicht nur die Fronleichnamsprozession, auch das sommerliche Patronatsfest zu Ehren des heiligen Laurentius im HPZ war gut besucht. Attraktionen waren die Musikkapellen und Bands, die vielen Stände und Tanzaufführungen, die traditionell Besucher auf das Gelände lockt und mit den Menschen und dem Leben auf dem Campus vertraut machen.
Wandel durch Nähe und Anpassung: Das ist das Prinzip, das das HPZ zum Hoffnungsträger macht – vor allem für die 450 Menschen, die hier leben. Zwei Drittel sind Kinder und Jugendliche mit einer geistigen oder seelischen Behinderung, etwa 150 Erwachsene, darunter auch Rentner. Sie leben in Wohngemeinschaften und Apartments auf dem 16 Hektar großen Campus. Die Häuser stehen auf einem sacht zur Diemel abfallenden Gelände. Viele Bäume säumen die schmalen Wege, auf denen man Gruppen mit Spaziergängern trifft.
Die Pressereferentin Susanne Becker führt Besucher gerne über den Campus. Die meisten Gäste, auch aus Warburg, könnten sich nicht vorstellen, wie groß und wie idyllisch das Gelände sei, sagt sie. Im Zentrum steht die Kirche. Das Haus „Bethlehem“ nebenan ist mit Cafeteria, Konferenzräumen und der Bibliothek das kommunikative Zentrum im HPZ. Es gibt einen Freizeittreff für Kinder und Jugendliche, einen offenen Seniorentreff, Ärzte, Psychologen und Therapeuten im „Haus für Gesundheit“, eine Reithalle und ein Schwimmbad sowie ein Haus, an dem groß „Tagesstruktur“ steht. Dort finden die Bewohner Angebote für die Tages- und Freizeitgestaltung.
Gegründet wurde das HPZ vor 59 Jahren
Man könnte meinen, dass sich das HPZ selbst genügt. So war es vor fast 59 Jahren auch gedacht, als Lorenz Kardinal Jaeger das Heilpädagogische Therapie- und Förderzentrum in Warburg gründete. Aus Mitteln des Erzbischöflichen Stuhls wurde eine beträchtliche Fläche Land vor den Toren von Warburg gekauft – damals noch weitab von jeglicher städtischer Bebauung. Auf freiem Feld entstand eine Satellitensiedlung in einer gleichförmigen Bauweise. Das alles war umgeben von einem Zaun.
Julian Mayer ist in den 1970er-Jahren als Zivildienstleistender nach St. Laurentius gekommen. Danach studierte er, blieb aber immer im HPZ. Als stellvertretende Leitung im Kundenmanagement kümmert er sich um die Interessen der Bewohner, beantragt Leistungen für sie, informiert und berät über Wohnformen oder über die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung.
Weil er schon so lange beim CWW in Warburg arbeitet, hat er mitbekommen, wie sich die Einrichtung, die früher eher einer Klinik glich, zusehends veränderte. Als er Zivi war, galten die Regeln der 1950er- und 1960er-Jahre, als Menschen mit einer Behinderung ein weitgehend von der Gesellschaft ausgeschlossenes Leben lebten – auch weil man meinte, die Nähe zu körperlich oder geistig behinderten Menschen würde die Lebensqualität der „Normalen“ beeinträchtigen.
Dennoch galt die Warburger Einrichtung bei ihrer Gründung als fortschrittlich. Viele Bewohner kamen aus den Landeskliniken in Marsberg, wo sie unter entsetzlichen Bedingungen hatten vegetieren müssen. Viele Menschen aus der Klinik in Marsberg mussten (oder durften) in die gerade gebauten Häuser in Warburg umziehen.
Deutlicher Wandel in den 1970er-Jahren
In den 1970er-Jahren setzte sich der Wandel fort. Der Deutsche Bundestag richtete eine Psychiatrie-Enquetekommission ein, die die Versorgungslage von Menschen mit einer Behinderung analysierte. In der Folge geriet auch das einst scheinbar vorbildliche St. Laurentius in Warburg in die Kritik. Auch hier wohnten die Menschen in Vier-Bett-Zimmern. Es galt eine strikt hierarchische Struktur, erinnert sich Julian Mayer. Förderung war kaum vorgesehen, Abschottung umso mehr.
Davon ist nichts mehr geblieben. Nicht nur, dass die Wohnhäuser im Lauf der Jahrzehnte eins nach dem anderen umgebaut und anders eingerichtet wurden. Die Zahl der Bewohner verringerte sich von 600 auf 450. So hatten die verbliebenen Bewohner mehr Platz und erhielten eine individuellere Fürsorge. Die Wohngruppen sind kleiner, lange Flure, die die Kontrolle erleichtern, gibt es in den in sich gestaffelten Gebäuden nicht mehr. Irgendwann fiel auch der Zaun dem neuen Denken zum Opfer. Nicht mehr Abgrenzung, sondern Inklusion ist das Ziel.
Was das bedeutet, zeigt Hiltrud Hahnke gerne in der renovierten Kirche St. Laurentius. Sie ist seelsorgliche Begleitung für die Menschen im HPZ in Warburg. Früher sei das Kircheninnere dunkel gewesen, sagt sie. Nun fällt durch die großen Fensterflächen helles Licht ins Innere. Abends sorgt eine neue Lichtanlage für heimelige Stimmung. Ein großes und sehr dominant wirkendes Wandbild hinter dem Chor wurde abgebaut, alles ist natürlich barrierefrei und an die Bedürfnisse der Bewohner angepasst. So gibt es jetzt eine Toilette und einen mit einer Glaswand abgetrennten, gemütlichen Raum für die Teilnehmer der Messe, die unruhig sind oder bestimmte Details wie das Orgelspiel nicht aushalten können – ein Gotteshaus, das durch und durch barrierefrei ist. Das gefalle auch den Teilnehmern, die von außerhalb zu den Gottesdiensten kommen, betont Hiltrud Hahnke.
Die Grenzen zwischen „denen“ im Förderzentrum St. Laurentius und „denen“ in der Stadt lösen sich auf, so wie der Abstand zur Stadt Warburg im Lauf der Zeit immer geringer wurde. „Die Stadt ist zu uns gekommen“, sagt Julian Mayer. Stück für Stück wuchsen neue Wohngebiete in Richtung des HPZ-Campus. Die letzte Lücke wird in den kommenden Jahren geschlossen. Die Stadt Warburg hat die Landflächen zwischen dem Campus und den angrenzenden Siedlungen vom Bischöflichen Stuhl gekauft. Dort soll eine neue Wohnsiedlung entstehen, die direkt an den Campus grenzt. In nicht ferner Zukunft ist das HPZ ein Warburger Stadtteil wie viele andere: ein Lückenschluss und ein Hoffnungszeichen der besonderen Art.