Faszinierende Tiere: Gänse.
Foto / Quelle: Harald Oppitz/KNA

Mehr als Feiertagsbraten und Federnlieferer

Dumme Gans! Ein hartes Wort für das Federvieh, das in der Weihnachtszeit gern mit Rotkohl und Klößen auf den Tisch kommt, sagt ein Kenner.

Berlin

Wenn einen eine Gans mag, dann bleibt einem nur, diese Freundschaft anzunehmen. Das sagt Hans-Heiner Bergmann, 86 Jahre alt. Und er ist einer, der es wissen muss. Der Professor für Ornithologie (Vogelkunde) hat unter anderem „Das große Buch der Gänse“ mitverfasst, ein immer wieder aufgelegter Klassiker. Besonders zur Weihnachtszeit ist die Gans indes zahlreichen Menschen eher als Festtagsbraten wichtig. Dabei gibt es vieles, was man nicht von ihr weiß. Zum Beispiel sind Gänse sehr soziale Wesen und können mit ihrem Fressfeind, dem Menschen, innige Freundschaft schließen.

„Gänschen, diese kleinen, frisch geschlüpften, die gucken einen an, und nach einer Minute wissen sie, mit wem sie sich verbünden müssen. Hinter dem laufen sie dann her, und wenn man weg muss, dann gibt es ein großes Weinen und Geschrei“, sagt Experte Bergmann. „Das heißt, wenn man sie einmal auf sich geprägt hat, muss man auch zu ihnen halten und ständig für sie da sein.“ Dieses „Prägungsphänomen“, bei dem Jungtiere nach dem Schlüpfen ein bestimmtes Objekt als ihre Mutter ansehen, hat der Verhaltensforscher Konrad Lorenz (1903-1989) erstmals genau beschrieben. Er wurde als „Gänsevater“ bekannt und erhielt für seine Forschungen 1973 den Nobelpreis für Medizin.

Körbchen mit Gänschen im Schlafzimmer

„Lorenz hat wirklich die Gänschen in einem Körbchen nachts bei sich gehabt. Wenn sie dann rufen, ob man noch da ist und ‚wi-wi-wi‘ machen, dann muss man sagen ‚Ja, ich bin hier‘. Dann ist alles wieder gut, und sie schlafen weiter“, erklärt Bergmann. Dabei ist die Gans ein sehr treues Tier. „Gänse sind normalerweise immer in der Gruppe zusammen, eine allein ist nie unterwegs“, so der Forscher. Einzige Ausnahme: Eine Gans ist krank. „Ich selbst habe schon eine dreiköpfige Gänsefamilie ganz allein auf einem Feld angetroffen, obwohl der Schwarm schon längst weg war. Der Grund: Die Gänsemutter war krank geworden und konnte nicht fliegen, da blieben dann Gänsevater und Gänsekind bei ihr zurück.“

Watschelgang, langer Hals und roter Schnabel: Für Menschen sehen Gänse alle ziemlich gleich aus. Sie selbst erkennen sich untereinander allerdings – aus einer Schar von 100 Vögeln und sogar auf Bildern: „Neueste Forschungen haben gezeigt, dass Gänse auf Fotos ihre nächsten Verwandten wiedererkennen“, erklärt Verhaltensforscher Bergmann, der lange an der Universität Osnabrück gelehrt hat. „Sie erkennen sich natürlich auch an der Stimme.“ Die grau gefiederten Wildgänse sind Boten am Himmel – im Frühling wie im Herbst kündigen ihre Rufe und Keilformationen den Wechsel der Jahreszeit an. Die bekannte V-Formation nutzen sie dabei auch energetisch: Der stärkste kommt nach vorn, die schwächeren nach hinten, ganz wie bei einer langen Fahrradtour einer menschlichen Familie.

Hans-Heiner Bergmann, Autor, Ornithologe und Verhaltensforscher.
Foto / Quelle: Hans-Heiner Bergmann/KNA

Für Bergmann ist die Intelligenz der Tiere klar bewiesen. So hätten Jäger in der Regel große Schwierigkeiten, Gänse zu schießen. „Die sind ziemlich schlau, wenn es darum geht, gefährliche Situationen zu vermeiden. Andererseits können sie aber auch lernen, ungefährliche Situationen zu nutzen. Zum Beispiel weiden sie auch unter einem Windrad. Wenn da frisches, schönes Gras sprießt, dann gewöhnen sie sich an diese Windkraftanlage mit den großen Armen, die über ihnen rotieren und können lernen, dass das ungefährlich ist.“

Ein besonderes Tier scheint die Gans schon sehr lange zu sein – jedenfalls hat sie in vielen Märchen Eingang gefunden: „Die goldene Gans“ etwa – wo die gierigen Menschen an ihrem goldfarbenen Gefieder hängenbleiben – oder im Märchen „Hans im Glück“, in dem die Gans eines von mehreren Tauschobjekten ist.

Die Beziehung zwischen Gans und Mensch begann schon vor mindestens 4.000 Jahren: So habe man etwa in antiken ägyptischen Gräbern Grabmalereien mit Wildgänsen gefunden, sagt Bergmann. Römer und Griechen hielten Hausgänse, deren Vorfahren Wildgänse sind. Eine Legende besagt gar, dass Gänse die Stadt Rom 387 vor Christus vor der Zerstörung durch die Kelten gerettet haben sollen, weil sie laut schnatternd Alarm schlugen. Statt Alarmanlage oder Hund lieber Gänse als Warner vor Gefahren?

Besonders aufmerksam

„Gänse sind aufmerksam gegenüber natürlichen Feinden, auch gegenüber fremden Menschen. Es kommt aber auch darauf an, ob die Menschen das Geschnatter richtig hören und interpretieren können“, gibt Bergmann zu bedenken. Ihm selbst würde das keine Probleme bereiten. Er ist Vogelstimmenspezialist, sammelt seit den 1960er Jahren Vogelstimmen und unterscheidet zum Beispiel den Alarmruf der Gänse – „so ein einzelnes lautes, hartes ‚Rack'“ – von ‚Fortgehlauten‘: „Das hört sich dann an wie ein gedämpftes ‚gagaga‘ und heißt: ‚Wir wollen jetzt mal ein bisschen weiter, da vorne gibt es auch noch Gras‘.“

Eine Gans zum Weihnachtsmahl – das kommt für den Vogelliebhaber, der eine private Sammlung von 400.000 Vogelfedern hat, nicht infrage. „Ich esse schon lange kein Fleisch mehr“, sagt er. Das habe hauptsächlich gesundheitliche Gründe, komme ihm beim potenziellen Weihnachtsbraten Gans aber auch ansonsten entgegen: „Ich weiß einfach zu viel über dieses Tier.“

KNA
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