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15.08.2025
Weithin sichtbar prangt das SKM-Logo an der Fassade des Franziskushauses.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

„Es braucht mehr Menschen, die sich kümmern“

Im neuen „Franziskushaus“ in Paderborn wurde Wohnraum für Menschen, die auf der Straße leben, geschaffen.

Von Andreas Wiedenhaus (Text) und Patrick Kleibold (Fotos)
Paderborn

Die Wände aus Holz, Teerpappe auf dem Dach, ein kleines Fenster, eine Tür mit einem Vorhängeschloss – im Inneren ist Platz für eine Matratze, ein bisschen Stauraum, ein Erste-Hilfe-Set und einen Feuerlöscher. Draußen an der Schmalseite stehen eine Klappkiste und eine Reihe Plastiktüten, an die ein Fahrrad gelehnt ist. Hier hat offensichtlich jemand eine Zuflucht gefunden, der sonst irgendwo im Freien übernachten müsste. Es handelt sich dabei aber nicht um einen improvisierten Bretterverschlag, sondern eine sogenannte „Wohnbox“.

Über vier solcher Notquartiere verfügt der „SKM – katholischer Verein für soziale Dienste in Paderborn“. Zwei davon stehen auf dem Hof beim SKM an der Paderborner Kapellenstraße. „Menschenwürdiges Wohnen sieht anders aus“, sagt SKM-Geschäftsführer Joachim Veenhof, „aber diese Boxen sind sicherer und besser als eine Parkbank und können eine Übergangslösung sein.“

Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz im Gespräch mit SKM-Geschäftsführer Joachim Veenhof.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

„Richtiges Wohnen“, wie es sich Veenhof für die SKM-Klienten und -Klientinnen wünscht, ist auf der anderen Seite möglich: Im neu eröffneten „Franziskushaus“ (der Dom berichtete) gibt es 16 Wohnungen für Menschen, die wohnungslos oder akut davon bedroht sind. So groß wie die Freude bei Veenhof und dem SKM-Team über den Neubau ist, die 16 Wohnungen sind angesichts der aktuellen Zahlen nur der vielzitierte „Tropfen auf den heißen Stein“: In NRW wurden im Jahr 2024 über 122 000 wohnungslose Menschen erfasst – ein neuer Höchstwert und ein Anstieg um 13 580 Personen bzw. 12,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr (Stichtag: 30. Juni 2024). Im Vergleich zu 2020 haben sich die Zahlen dagegen mehr als verdoppelt (2020: 49 000). 2024 waren im Erzbistum Paderborn rund 30 000 Menschen (2 000 davon im Kreis Paderborn) von Wohnungslosigkeit betroffen, 2020 waren es noch 12 500 gewesen. Das bedeutet einen Anstieg um 136 Prozent in vier Jahren.

Anfang 2024 wurden im Wohnungslosenbericht der Bundesregierung für NRW zudem rund 24 000 nicht-institutionell untergebrachte wohnungslose Menschen per Stichprobenerhebung berechnet. Dabei handelt es sich um eine Schätzung des Dunkelfeldes, wie viele wohnungslose Menschen nirgendwo erfasst werden. NRW trägt ein Viertel der nicht-institutionellen Wohnungslosigkeit in Deutschland (24 Prozent) – und das bei gut einem Fünftel der Bevölkerung (21,6 Prozent). Die Quote liegt in Nordrhein-Westfalen bei 57,9 Prozent Wohnungslosen je 10 000 Einwohner, deutschlandweit liegt sie bei 52,1 Prozent.

Blick ins Franziskushaus.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Die Wirklichkeit hat nämlich schon lange nichts mehr mit dem Klischee von „Obdachlosigkeit“ zu tun, wie es hier und da noch in den Köpfen steckt: Männer ohne Arbeit mit Alkoholproblemen, die tagsüber auf einer Parkbank oder in der Fußgängerzone mit einer Flasche Bier in der Hand „die Zeit totschlagen“. Die Gefahr, seine Wohnung zu verlieren, ist für fast jeden real. „Unter unseren Klienten sind ein Priester, Unternehmer, Sozialarbeiter oder Lehrer – Menschen aus allen Schichten sind heute von Wohnungslosigkeit betroffen“, berichtet Veenhof. Darunter seien Junge und Alte, Studenten, Rentner und „Menschen, die Arbeit haben, aber im Auto schlafen“.

Die Gründe sind bekannt, doch es ändert sich wenig: Es fehlt an Wohnungen, hohe Mieten „fressen“ gerade bei Geringverdienern einen Großteil des Einkommens. Im Verdrängungswettbewerb auf dem Wohnungsmarkt haben Menschen aus einem schwierigen sozialen Umfeld, mit Sucht- oder psychischer Erkrankung oder solche, die schlichtweg „arm“ sind, so gut wie keine Chancen. Deshalb sei das „Franziskushaus“ auch so wichtig, meint Veenhof: „Es stärkt das letzte soziale Auffangnetz in Paderborn.“

Ein Gedenkstein erinnert an die „verstorbenen Schwestern und Brüder von der Straße“.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Die Mieten dort liegen unter dem Satz, der vom Jobcenter oder Sozialamt übernommen wird. Die Verträge sind zeitlich nicht befristet. Joachim Veenhof: „Wer etwas anderes findet, kann natürlich ausziehen, aber wer möchte, kann dauerhaft hierbleiben. Wir wollen den Menschen schließlich Sicherheit geben.“ Und wenn Probleme auftreten, ist Unterstützung durch die SKM-Fachleute nicht weit, etwa durch Ambulant Betreutes Wohnen und entsprechende Alltagshilfen.

Wie schnell man buchstäblich „auf der Straße stehen“ kann, zeigt der Fall einer Medizinstudentin, die nach einer psychischen Erkrankung erst ihre Wohnung und dann ihren Status als Studentin verloren hatte. „Sie übernachtete in einem Schrank in der Uni, bis sie dort einen Zettel von einem Dozenten fand, sie solle dies unterlassen.“ Sie habe dann lieber draußen geschlafen als in der städtischen Unterkunft. Schließlich fand sie den Weg zum SKM.

Wer auf der Straße lebt, dem fehlt nicht nur eine Wohnung, er oder sie ist auch sonst „raus“: Gerade was die Kommunikation angeht, ist so jemand schnell „digital abgehängt“. In einer Zeit, in der Anträge etwa beim Jobcenter digital gestellt werden sollen, ein existenzielles Problem. „Auch sonst bedingen viele Hilfs- und Unterstützungsangebote, dass man eine Wohnadresse hat“, erklärt der SKM-Geschäftsführer, „von der Komplexität vieler Anträge ganz zu schweigen.“

Ein paar Quadratmeter Sicherheit: Zwei solcher Wohnboxen stehen auf dem Gelände.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Veenhof beklagt nicht die zunehmende „soziale Kälte“, wenn er davon spricht, dass Solidarität abnimmt und viele in erster Linie zusehen, dass sie selbst klarkommen. „Das ist so, und damit müssen wir uns als sozialer Fachverband auseinandersetzen“, beschreibt er nüchtern eine Entwicklung und die Konsequenz da­raus, um dann hinzuzufügen: „Ich wünsche mir aber trotzdem, dass man wieder mehr seinen Mitmenschen – ob Nachbar oder Verwandter – im Blick hat und im Zweifelsfall eingreift und sich kümmert.“ Doch diejenigen, die unaufgefordert sagten, „komm wir regeln das“, würden weniger.

Denn manchmal könnte ein Absturz durch frühzeitiges Eingreifen oder eine kleine finanzielle Unterstützung verhindert werden. Veenhof berichtet von einer Frau, die durch einen längeren Krankenhausaufenthalt Arbeit und Wohnung verloren hatte. Die gebürtige Niederländerin brauchte außerdem neue Papiere, doch das Geld dafür hatte sie nicht. Unterschlupf fand sie bei einem Mann, der sie materiell und sexuell ausbeutete. Durch Zufall fand die Frau den Kontakt zum SKM. Heute hat sie wieder Boden unter den Füßen und engagiert sich sogar für andere.

Gruppenbild bei der Eröffnung.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

„Menschen brauchen nicht nur eine Wohnung und eine materielle Versorgung, sondern auch eine Aufgabe“, ist Veenhof überzeugt. Auch die können sie auf dem Gelände des SKM finden. Im Neubau ist auch ein Sozialkaufhaus entstanden, in dem Artikel zu günstigen Preisen angeboten werden. Im Kaufhaus und hinter den Kulissen finden nun Menschen eine Aufgabe, die auf dem Arbeitsmarkt sonst keine guten Chancen hätten.

„Wir sind in der Pflicht“, sagt Veenhof, „und das nicht nur als katholischer Sozialverband, sondern auch als Kirche.“ Angesichts der schwindenden Bedeutung dieser Institution in der Gesellschaft und des bevorstehenden Transformationsprozesses im Erzbistum Paderborn seien Orte wie das Franziskushaus eine echte Chance – auch für die Kirche.

Hintergrund

Das „Franziskushaus“ an der Kapellenstraße in Paderborn bietet neben einem Sozialkaufhaus 14 barrierefreie Zweizimmerwohnungen und zwei rollstuhlgerechte Zweizimmerwohnungen. Bauherr des rund 3,5 Millionen Euro umfassenden Projektes war der Caritasverband für das Erzbistum Paderborn, betrieben wird es vom „SKM – katholischer Verein für soziale Dienste Paderborn“, einem Fachverband der Caritas. www.skm-paderborn.de

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