„Ein Kipppunkt ist erreicht“
Vor welchen Herausforderungen stehen Ordensgemeinschaften und wie können sie sich in den Bistumsprozess einbringen? Der Vorsitzende der Paderborner Ordenskonferenz (POK), Pater Siegfried Modenbach SAC, Sr. M. Ulrike Brand von den Augustiner Chorfrauen in Paderborn und die Ordensreferentin des Erzbistums Paderborn, Dr. Rosel Oehmen-Vieregge, beziehen Position.
Viele Ordensgemeinschaften sind überaltert. Wie stellt sich die Situation im Erzbistum Paderborn dar?
Rosel Oehmen-Vieregge: Mit Stand 31. Dezember 2024 haben wir noch 94 Ordensmänner und 646 Ordensschwestern. Das sind insgesamt 740 Ordenschristen im Erzbistum Paderborn und 230 weniger als 2023. Das zeigt schon, dass wir einen sehr hohen Altersdurchschnitt haben, und dass ein Kipppunkt erreicht ist. Das heißt, dass wir auch in den kommenden Jahren mit viel größeren Abbrüchen rechnen müssen. Eine Bürde, die daraus entsteht, ist die pflegerische Versorgung. Das ist eine der ganz großen Herausforderungen.
Gibt es noch Menschen, die sich für ein Ordensleben entscheiden?
Rosel Oehmen-Vieregge: Es gibt noch Menschen, die sich für ein Ordensleben entscheiden. Aber es ist nicht so, dass ein Orden fünf oder zehn Interessierte im Jahr hat, die eintreten wollen. Es gibt Anfragen, es wird auch immer wieder das Angebot des Freiwilligen Ordensjahres angenommen, aber daraus erwächst jetzt kein Ordensnachwuchs, der das kompensieren könnte, was gerade passiert.
P. Siegfried Modenbach: Es ist ähnlich wie mit der Priestersituation im Erzbistum auch. Es kommen wenige Junge nach. Die Zahlen sind bekannt. Wir haben jetzt um die 700 Priester und in 15 Jahren werden es noch 100 sein.
Gibt es überhaupt noch Menschen, die etwa direkt nach der Schule einem Orden beitreten?
P. Siegfried Modenbach: Vor 30 Jahren, als ich eingetreten bin, war das noch so, dass junge Frauen und Männer direkt nach der Schule oder der Ausbildung kamen. Das ist heute so gut wie nicht mehr der Fall. Diejenigen, die heute kommen, haben alle schon Erfahrungen gemacht – entweder im Beruf, den sie einige Jahre ausgeübt haben, oder sie waren bereits in anderen Lebensgemeinschaften fest verankert.
Sr. Ulrike Brand: Ich bin vor 40 Jahren eingetreten. Meine Oberin hätte mich nicht direkt nach der Schule genommen – ganz abgesehen davon, dass ich damals noch nicht so weit war. Ich glaube, es ist nach wie vor dringend erforderlich, dass junge Menschen eine Berufsausbildung haben und dann erst zu einer Gemeinschaft dazukommen.
P. Siegfried Modenbach: Bei uns Pallottinern sind die Aufnahmekriterien eine abgeschlossene Berufsausbildung oder das Abitur.
Sr. Ulrike Brand: Das ist auch bei uns so.
Welche Konsequenzen ziehen die Gemeinschaften aus der geringen Nachfrage?
Rosel Oehmen-Vieregge: Manche Ordensgemeinschaften haben die Ordensausbildung eingestellt. Für die Ausbildung im Noviziat braucht es mehr als nur ein oder zwei Interessenten. Es gibt Ordensgemeinschaften, die eine klare Haltung haben: Wir möchten nicht, dass die Leute, die sich für ein Ordensleben interessieren, für die Pflege der alten Ordensleute in die Pflicht genommen werden. Das sind kluge, aber auch harte Entscheidungen, die da getroffen werden, wenn man sagt: Wir nehmen keine Neuen mehr auf.
Wie können Ordensgebäude in eine neue Nutzung überführt werden? Was gibt es für Ideen?
Sr. Ulrike Brand: In Wiedenbrück hat sich eine Genossenschaft gebildet. Das ist ein Modell, das sehr große Dimensionen angenommen hat.
Rosel Oehmen-Vieregge: Das ist oft sehr schwierig. Zum Beispiel Germete bei Warburg. Die Serviam-Schwestern suchen seit vielen Jahren jemanden, der das Gelände übernimmt. Da ist mittlerweile CONSOLIDO, die Gesellschaft für kirchliche Immobilienverwaltung mbH, involviert. CONSOLIDO zeigt sich als Dienstleister aus der Erzdiözese heraus auch für Ordensgemeinschaften offen. Stellen Sie sich vor, die Franziskaner schließen eines Tages ihre Niederlassung in Paderborn. Dann geht es nicht um ein Stück Bauland auf freiem Feld, sondern um Quartiersentwicklung. Der Orden, das Bistum und die Stadt müssten dann an einen Tisch, um ein Konzept für die Nachnutzung zu entwickeln. Bei den Schwestern der christlichen Liebe baut der VKA jetzt ein Hospiz auf dem Gelände. Es ist eine schwierige Aufgabe, diese großen Klostergelände mit zum Teil sehr alten Gebäuden so zu vermarkten, dass das geistliche Erbe erhalten bleibt. Die Schwestern und Brüder legen sehr großen Wert darauf, dass das Charisma der Gemeinschaft weitergetragen wird.
Man muss Gebäude aufgeben, will aber gleichzeitig die spirituelle Fortführung auf dem Gelände haben. Ist das nicht ein Widerspruch?
Sr. Ulrike Brand: Ich sehe das nicht als Widerspruch. Es muss eine verträgliche Nutzung gefunden werden, die dem Geist des Ordens gerecht werden kann, zumal es in unserer Gesellschaft wichtig ist, dass es Ankerpunkte gibt. Dort wird deutlich: Es gibt geistliches Leben an diesem Ort. Ich habe das vor 40 Jahren erlebt. Da haben die Franziskaner ihren Standort in Hagen aufgegeben. Das hat einen ziemlichen Aufstand der Gemeinde gegeben und einen Schock, dass die Franziskaner nicht mehr da waren. Der Verlust einer Ordensgemeinschaft in einem Raum macht auch etwas mit der Gesellschaft. Dann wird plötzlich deutlich: Da war doch was. Es war unterschwellig, aber trotzdem bedeutsam für die Menschen.
Das bedeutet aber, dass Spiritualität von den Menschen gesucht wird, auch wenn sie nicht in die Kirche gehen …
P. Siegfried Modenbach: Wir Pallottiner haben uns vor zehn Jahren aus Olpe verabschiedet. Das Pallotti-Haus war sehr stark verwurzelt in der Stadt. Die Leute waren sehr verbunden mit uns und schockiert, als wir sagten: Wir können das Haus nicht mehr halten, wir gehen. Aber wir merken heute, dass diese Spiritualität, der Wunsch, mit den Pallottinern zusammen etwas zu tun, für die Leute heute noch wichtig ist. Menschen nehmen 30 oder 40 Kilometer Strecke auf sich, um zu uns auf den Kohlhagen zu kommen. Sie haben Erfahrungen mit pallottinischer Spiritualität gemacht, die sie selbst geprägt haben und die sie fortführen. Als wir uns aus Olpe verabschiedet haben, hat sich ein Kreis gebildet. „Pallotti unterwegs“ nennt er sich. Sie treffen sich bis heute regelmäßig, ohne dass einer von uns dabei sein muss.
Ordensgemeinschaften haben innerhalb eines Jahres 230 Mitglieder verloren. Braucht es nicht gerade jetzt – analog zum Bistumsprozess – eine große Lösung?
P. Siegfried Modenbach: Sie müssen bedenken, dass wir Pallottiner nicht nur im Erzbistum Paderborn tätig sind. Wir schauen für uns als Gemeinschaft schon, was wir tun können und was eben nicht mehr. Was ihre Möglichkeiten im Erzbistum angeht, da sind die Ordensgemeinschaften ganz unterschiedlich aufgestellt. Die Orden können das autark entscheiden. Sie sind nicht vom Bischof abhängig. Deshalb ist es für das Erzbistum auch schwierig, mit den Ordensleuten zu planen. Wir wollen uns als Paderborner Ordenskonferenz aber bald mit Msgr. Bredeck und dem Erzbischof zusammensetzen und besprechen, wie wir uns im Bistumsprozess ganz praktisch einbringen können.
Sind Beteiligungen von Laiengemeinschaften oder Fördervereinen denkbar?
P. Siegfried Modenbach: Bei uns gehört es zum Profil, dass wir Laien, die den Wunsch haben, mit uns gemeinsam etwas zu gestalten, mit ins Boot nehmen. Das ist selbstverständlich.
Sr. Ulrike Brand: Wir haben einen Freundeskreis, der uns unterstützt, zum Beispiel bei der Gestaltung des Michaelsfestes, wenn viele Gäste nach dem Gottesdienst zum Brunch und zur Begegnung eingeladen werden. Solche Angebote sind besonders wichtig, um Multiplikatoren zu haben, die dann den Geist des Ordens ein Stück weitertragen.
Sehen Sie Probleme für Orden, die kontemplativ leben und nicht so sehr in die Gemeinden gehen?
Sr. Ulrike Brand: Auch die kontemplativen Orden haben sehr aktive Freundeskreise.
Rosel Oehmen-Vieregge: Alle Ordensgemeinschaften haben einen eigenen Verein als zivilen Rechtsträger. Es war bisher so, dass zu diesen Vereinen nur die Ordensmitglieder mit Profess gehören. Mittlerweile wird geschaut, ob man die Vereine so öffnet, dass aus den Freundes- oder Förderkreisen Laien Mitglied dieses Vereins werden können, damit er bestehen bleiben kann.
Werden auch Fusionen der unterschiedlichen Gemeinschaften diskutiert?
P. Siegfried Modenbach: Ich würde eher von einer Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen sprechen. Ein typisches Beispiel ist die Pflege der alten Brüder und Schwestern. Da ist es wichtig zu überlegen, ob man nicht mehrere Gemeinschaften zusammenführen kann in einer größeren Einrichtung. So hat man Trägerschaft und auch die Kosten auf mehrere Gemeinschaften verteilt.
Gibt es bereits geglückte Formen einer Kooperation?
Rosel Oehmen-Vieregge: Die Franziskanerinnen in Salzkotten und die Klarissen haben ein sehr gutes Modell entwickelt. Als die Klarissen im Riemekeviertel ihr Kloster aufgeben mussten, ergab sich die Gelegenheit, dass sie in eine eigene Etage bei den Franziskanerinnen einziehen konnten. Sie führen ihren eigenen, kleinen Konvent und sind versorgt. Das ist ein Paradebeispiel, wie es gehen kann. Aber die Franziskanerinnen haben mir auch gesagt, dass sie keine Franziskanerinnen einer anderen Gemeinschaft aufgenommen hätten. Das Konfliktpotenzial wäre zu groß.
Sr. Ulrike Brand: Da muss man auch unterscheiden zwischen Gemeinschaften, die Stabilitas (zu Deutsch: Ortsgebundenheit eines Mönches oder einer Nonne an ein bestimmtes Kloster) haben und denen, die eben keine Stabilitas haben. Da gibt es das Mutterhaus und die Schwestern und Brüder können in Filialen versetzt werden. Ich habe selbst erlebt, dass wir mein Ursprungskloster aufgelöst haben. Es ist etwas anderes, wenn Gemeinschaften, die Stabilitas haben, etwas Neues finden müssen. Die Ordensleute brauchen dann Begleitung. Das muss ein geistlicher Prozess sein.
Bedarf es einer Trauerbegleitung, wenn Ordensleute erkennen: Das, wofür ich mich jahrzehntelang eingesetzt habe, ist nicht mehr da?
P. Siegfried Modenbach: Ich glaube, dass es eine Trauerbegleitung braucht in unseren Gemeinschaften. Wenn sich Schwestern oder Brüder jahrzehntelang in einer Aufgabe oder einer Einrichtung engagiert haben, die nicht mehr weitergeführt werden kann, dann sind sie oft so enttäuscht, dass sie einfach eine Begleitung brauchen. Das Abgeben ist ein schmerzhafter Prozess. Deshalb muss man sich kümmern. Aber auf der anderen Seite tun sich so auch neue Chancen auf. Aber wenn jemand in einer Trauerphase steckt, dann sieht er das nicht.
Rosel Oehmen-Vieregge: Das ist so, wie wenn man sein Elternhaus verkaufen muss. So fühlen sich Ordensleute auch. Das ist auch Familie, nur in einer anderen Dimension.
Sr. Ulrike: Ich habe es ja selbst 1999 erlebt. Ich erinnere mich, dass wir schon in den Vorüberlegungen zu diesem Prozess früh Marken gesetzt haben, wie es gehen kann. Es geht etwas zu Ende, was über die Jahre gut war und uns geprägt hat. Aber jetzt fängt etwas Neues an. Diesen geistlichen Weg zu gehen ist die Notwendigkeit. Dann kann es gut werden, etwa wenn die Last weg ist, alles in einem kleinen Konvent selbst schultern zu müssen.
Wie denken Ordensleute über ein mögliches Aus für ihre Gemeinschaften?
Rosel Oehmen-Vieregge: Es gibt bei den Orden zwei Narrative. Eines heißt: Wir gehen der Vollendung entgegen: Unsere Arbeit ist vollendet. Das heißt, auch unsere Gemeinschaft ist vollendet. Das zweite Narrativ geht von Gemeinschaften aus, die weltweit agieren: Unsere Zeit in Deutschland ist vorbei. Die Zukunft unserer Gemeinschaft liegt in Afrika, Asien oder Lateinamerika.
Können Orden ohne die Finanzkraft des Erzbistums Paderborn existieren?
Rosel Oehmen-Vieregge: Die Finanzabteilung des Erzbistums und der Diözesanökonom sind sehr aufmerksam und suchen auch den Kontakt zu den Ordensgemeinschaften, um sie gut bei den derzeitigen Herausforderungen unterstützen zu können. Die Orden gehören zur Kirche. Orden und Kirche sind keine Gegenpole. Und das Ordensvermögen ist Kirchenvermögen. Das sind keine getrennten Größen.
P. Siegfried Modenbach: Man muss allerdings sagen: Wenn es um die Kirchensteuer geht, dann sieht es anders aus. Wir haben ja eigentlich eine Bistumssteuer. Das sage ich in aller Deutlichkeit. Immer, wenn wir ein Projekt anfangen wollen, gehen wir auf das Bistum zu und fragen: Wie könnt ihr euch finanziell beteiligen? Denn wir als Ordensgemeinschaft haben keinen Zugriff auf die Kirchensteuer – zunächst einmal. Brüder und Schwestern, die einen Gestellungsvertrag mit dem Erzbistum Paderborn haben, sind bei der Kirchensteuer wieder mit im Boot. Aber wenn es darum geht, sich als Gemeinschaft finanziell zu erhalten, dann haben wir keinen Zugriff auf die Kirchensteuer. Das ist etwas, was viele nicht wissen.
Rosel Oehmen-Vieregge: Die Finanzierungswege sind komplex. Jede finanzielle Unterstützung der Ordensgemeinschaften muss gegenüber dem Kirchensteuerrat verantwortet werden.
Wie schätzen Sie die Wirkung von Orden auf die Menschen ein?
P. Siegfried Modenbach: Wir hatten zum zweiten Mal den Klostermarkt auf Libori. Da haben viele Leute freudig-überrascht gesagt: Das ist ja interessant. Es gibt ja doch noch viele Ordensleute. Sie fanden es toll, dass die Ordensleute sichtbar sind.
Rosel Oehmen-Vieregge: Ich möchte hier zwischen Ordensmännern und -frauen unterscheiden. Ordensmänner sind häufig auch Priester und haben deshalb andere Möglichkeiten, präsent zu sein. Bei Ordensfrauen ist es anders: Sie haben früher das Stadtbild mitgeprägt, nun sind die hochbetagten Ordensschwestern mehr oder weniger aus der Öffentlichkeit verschwunden. Da geht es ihnen nicht anders als alten Frauen in unserer Gesellschaft. Sie werden unsichtbar, auch weil sie nicht mehr so mobil sind. Deshalb sind die Leute etwa auf dem Klostermarkt so erstaunt und auch erfreut über die Möglichkeit, Ordenschristen zu begegnen.