6 Min.
14.09.2025
Der große Saal des Adelshofs wird genutzt, um Bilder besonders herauszustellen.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Ein „großer Schatz“ für Höxter

Seine Eltern wurden im KZ ermordet, er selbst konnte aus seiner Heimatstadt Höxter nach Palästina fliehen. Doch Jacob Pins brach die Brücken nach Deutschland nicht ab. Als erfolgreicher Künstler war er oft dort zu Gast und wurde zum „Freund“, wie es im Titel seiner Biografie heißt. Das Forum Jacob Pins zeigt das Werk und die Lebensgeschichte des Künstlers.

Von Andreas Wiedenhaus (Text) und Patrick Kleibold (Fotos)
Höxter

Ein Mensch auf den Knien, die Hände zum Himmel emporgereckt, das Gesicht gezeichnet von Verzweiflung, der Mund zum Schrei aufgerissen– eindringlich nicht zuletzt durch den harten Schwarz-Weiß-Kontrast des Holzschnittes; geschaffen hat das Werk mit dem Titel „Die Klage“ der aus Höxter stammende jüdische Künstler Jacob Pins – ein in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlicher Mensch.

Geboren wird Pins 1917 in Höxter. Er erhält den Vornamen Otto, drei Jahre später kommt sein Bruder Rudolph zur Welt. Von 1921 bis 1926 lebt die Familie in Lüdinghausen, dann kehrt sie nach Höxter zurück, wo der Vater, Leo Pins, als Tierarzt arbeitet, die Mutter Ida betreibt ein Textilwarengeschäft. Mit der Machtübernahme durch die Nazis wird alles anders: Die Repressionen gegenüber den Juden werden immer weiter verschärft. Leo Pins, der sich immer als Deutscher jüdischen Glaubens gesehen hat, zieht gemeinsam mit seiner Frau aus den zunehmenden Schikanen die richtigen Konsequenzen, was ihre beiden Söhne betrifft. Das Ehepaar bereitet die Emigration für sie vor.

Abschied von den Eltern

Rudy tritt im November 1934 als 14-Jähriger die Reise nach Amerika an. Gemeinsam haben jüdische und Quäker-Organisation in den USA diese Chance für 1 200 Kinder geschaffen. Sie werden von Familien aufgenommen. Otto verabschiedet sich im August 1936 von seinen Eltern, nachdem er sich zuvor eineinhalb Jahre auf das Leben in einem Kibbuz in Palästina vorbereitet hat. Bei seiner Ankunft dort legt er seinen bisherigen Vornamen ab: Aus Otto wird Jacob.

Gehören zu den zahlreichen ehrenamtliche Engagierten des Forums Jacob Pins: Christine Kopplstätter(l.) und Eva Greipel-Werbeck, die zweite Vorsitzende der Jacob Pins Gesellschaft.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Das Leben im Kibbuz ist hart und entbehrungsreich. Doch von einem lässt sich der junge Mann nicht abbringen: Er möchte Maler werden. Das hat er schon als Zwölfjähriger gewusst. Die Pläne waren bei seinem Vater jedoch nicht auf Zustimmung gestoßen. Etwas, was ihm jetzt Gewissensbisse bereitet. Doch mit großem Talent und Zielstrebigkeit setzt er das Ziel jetzt in seiner neuen Heimat um. 1941 – nachdem der Kibbuz geschlossen werden musste – beginnt er sein Studium in Jerusalem. Pins bekommt ein kleines Stipendium, doch sein Material muss er sich buchstäblich vom Munde absparen. Für die Druckstöcke seiner Holzschnitte benutzt er zum Beispiel die Sitzfläche eines alten Stuhls oder ein Bügelbrett. Dank seines „westfälischen Dickkopps“, wie er selbst einmal rückblickend feststellte, setzt er sich durch, 1945 hat er die erste Ausstellung in Tel Aviv.

Zu diesem Zeitpunkt sind seine Eltern tot. Als sie sich bemühen, Deutschland ebenfalls zu verlassen, ist es zu spät: Im Dezember 1941 werden sie ins Ghetto nach Riga deportiert. Dort leben sie unter schrecklichen Bedingungen bis Ende Juli 1944. Dann werden sie bei der „Krebsbachaktion“ – so benannt nach dem dafür verantwortlichen SS-Führer Eduard Krebsbach – ermordet. Die Nachricht vom Tod der Eltern verarbeitet Pins künstlerisch in den Werken „Dans Macabre“ und „Die Apokalypse“.

Auch in seinen Ölbildern zeigte sich die Meisterschaft Jacob Pins‘.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Der Erfolg der ersten Ausstellung setzt sich fort: Seine Holzschnitte und Gemälde werden weltweit gezeigt, 1956 wird Pins Dozent an der Bezalel-Akademie für Kunst und Design in Jerusalem. Drei Jahre später reist er zum ersten Mal wieder nach Höxter. Seine deutschen kulturellen Wurzeln hatte er auch in seiner neuen Heimat nie verleugnet. Daneben sind es die, wie er sagt, „Erinnerungen an eine glückliche Kindheit“ und an die wenigen Menschen, die auch in der NS-Zeit zu seiner Familie hielten, die ihm die Reise ins Land der Täter möglich machen. 1967 und 1970 werden Werke von Jacob Pins in seiner Geburtsstadt gezeigt.

Vertieft wird die Beziehung nach Höxter durch eine Ausstellung, die in der dortigen Marienkirche zum 50. Jahrestag der Pogrome vom 9. November 1938 stattfindet. Pins ist aus Israel gekommen. Ein Moment bleibt allen dabei in besonderer Erinnerung: Bei der Betrachtung eines Fotos, das einen ausgemergelten Mann mit seinen Habseligkeiten auf dem Bahnhof in Bielefeld zeigt, stellt Pins erschüttert fest: „Das ist mein Vater!“ Die Juden aus Höxter wurden 1941 von Bielefeld aus mit der Bahn deportiert.

Künstler und Sammler

Pins ist aber nicht nur Künstler, sondern auch Sammler. Besonders angetan haben es ihm japanische Farbholzschnitte, von denen er im Laufe der Jahre nicht nur eine qualitätsvolle Sammlung zusammenträgt: Er wird zum anerkannten internationalen Experten und lässt sich bei seinen eigenen Arbeiten oft von ihnen inspirieren. Als Jacob Pins 2005 am 4. Dezember in Jerusalem stirbt, ist er längst zum „Freund“ geworden. Zwei Jahre zuvor war ihm die Ehrenbürgerschaft seiner Geburtsstadt verliehen worden. Pins habe die Menschen „die Freiheit durch Versöhnung gelehrt und die Macht der Bescheidenheit gezeigt“, hatte es beim Festakt zur Verleihung geheißen.

Der Teil der Ausstellung zur Geschichte der Juden in Höxter präsentiert authentische Exponate.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Jacob und sein Bruder Rudy Pins konnten fliehen. Ihre Eltern teilten das Schicksal der meisten anderen Juden in Deutschland und in den von den Deutschen besetzten Gebieten. So lag es nahe, die Ausstellung über Leben und Werk Pins mit der Darstellung des jüdischen Lebens in Höxter sowie der jüdischen Religion und Lebensformen zu verknüpfen. Das hatte auch zu Pins‘ drei Wünschen gehört, die er anlässlich der Stiftung seines Nachlasses 2002 geäußert hatte: Werk und Sammlung sollten gezeigt werden, es sollte an die jüdischen Bürger Höxters erinnert werden und ein Raum für aktuelle Künstler geschaffen werden.

600 Jahre jüdische Geschichte

Rund 600 Jahre reicht die Geschichte der Juden in Höxter zurück. Vor der Machtübernahme 1933 hatten es viele zu Wohlstand und Ansehen in der Stadt an der Weser gebracht, sie betrachteten sich als Deutsche. Im Ersten Weltkrieg kämpften sie für „Kaiser und Vaterland“ und wurden wie Leo Pins für ihre Tapferkeit mit militärischen Orden ausgezeichnet. In der Weimarer Republik konnten sie sich sicher fühlen. Das änderte sich am 30. Januar 1933, den Schlusspunkt setzte die Deportation 1941/42 in Ghettos und Vernichtungslager. 46 jüdische Bürger wurden direkt aus Höxter deportiert, nur einer von ihnen überlebte. Die Lebenswege dieser Menschen werden in der Ausstellung dargestellt, aus der anonymen Masse der Ermordeten bekommen diese Opfer einen Namen, ihre Schicksale werden nachvollziehbar. Bis zu ihrer Entrechtung waren sie Mitbürger, Nachbarn, Arbeitskollegen oder Geschäftspartner, hatten ihren Platz in der Gesellschaft.

Eine weitere Brücke schlagen zahlreiche authentische Exponate: das Schild, das vor dem Kauf bei Juden warnte, eine Spielzeugpuppe oder der Kleiderbügel aus einem jüdischen Textilgeschäft in Höxter. Ergänzt wird dies durch einen Überblick über die jüdische Religion und die damit verbundene Lebensweise – vom koscheren Essen bis zum Besuch in der Synagoge oder der Auflistung jüdischer Feiertage.

Vom „Schandfleck zum Schmuckstück“: Das Bauwerk, dessen Geschichte bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht, wurde umfassend restauriert.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Der Ort, an dem das „Forum Jacob Pins“ das alles präsentiert, ist selbst geschichtsträchtig und gehört zu den bedeutendsten Baudenkmälern in Höxter. Doch das Bauwerk, dessen Ursprünge bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen, war über lange Zeit von Vernachlässigung geprägt. Zum heutigen Zustand heißt es auf der Internetseite der Stadt Höxter: „Mit diesem Gebäude wurde ein historisches Baudenkmal an die Einwohner zurückgegeben, das über drei Jahrzehnte des Leerstandes und des Verfalls aller Nutzung entzogen war und für die Stadt einen Schandfleck darstellte. Hinter der alten Eingangstür bietet der restaurierte Adelshof, ehemals Amtssitz der Kanzler von Corvey, die seltene Möglichkeit, die umfangreich erhaltene und sorgfältig restaurierte Bausubstanz eines Adelshofes der Weserrenaissance zu erleben und zugleich Einblicke in den Wandel der Wohnvorstellungen einer adligen Familie vom 16. bis zum 19. Jahrhundert zu gewinnen.“

Möglich machen all das die rund 300 Mitglieder der 2003 gegründeten Jacob Pins Gesellschaft mit ihrem ehrenamtlichen Engagement. Bereits ein Jahr zuvor, als Jacob Pins die Stiftung seines künstlerischen Nachlasses ankündigt, laufen die Vorbereitungen zur Gründung der Gesellschaft an. Die folgenden Jahre sind vom Einsatz geprägt, diesen „Schatz für Höxter“, wie ihn die zweite Vorsitzende der Jacob Pins Gesellschaft, Eva Greipel-Werbeck, heute nennt, zu sichern und ihm eine Heimat zu schaffen: Unterstützer werden ins Boot geholt, das finanzielle Fundament durch Förderungen gesichert. 2008 ist das gemeinsame Ziel erreicht: Der Adelshof hat sich vom „Schandfleck zum Schmuckstück“ gewandelt und das Forum Jacob Pins wird offiziell eröffnet.

Die große Geste eines außergewöhnlichen Menschen und bürgerschaftliches Engagement haben einen Ort geschaffen, der heute Raum für Ausstellung, Erinnerung und Begegnung bietet.

Hintergrund

Noch bis zum 2. November ist im Forum Jacob Pins (Westerbachstraße 35-37, 37671 Höxter, Tel.: 05271/6947441) neben den Dauerausstellungen die Ausstellung „Das schmale Format – Jacob Pins und der japanische Pillar Print“ zu sehen. Umfangreiche Informationen zu weiteren Angeboten und Veranstaltungen gibt es im Internet unter: www.jacob-pins.de

0 Kommentare
Älteste
Neuste
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen