„Ehrenamtler sind Sunderns Schatz“
Nur Landschaft, Kühe und Felder? Ja, das gibt es im Pastoralen Raum Sundern im Hochsauerlandkreis – aber noch viel mehr. Engagement und Liebe zur Heimat gehören dazu. „Der Dom“ war unterwegs zwischen Sundern-Stadt und Sorpesee.
Einfach nur idyllisch. Auf der Anhöhe gegenüber mäht ein Landwirt seine Wiesen, im Tal gibt es eine schmale Straße und der Hintergrund erscheint im leuchtenden Grün – Sauerland pur. Martina Droste steht auf einer Wiese des Schellen Hofes im Sunderner Stadtteil Meinkenbracht. Hier könne sie in der Jugendarbeit hautnah zeigen, was Gottes Schöpfung so besonders macht, findet die Ehrenamtlerin, die sich in der Kinder- und Jugendarbeit engagiert.
Doch gerade gibt es ein handfestes Problem, denn eine erst wenige Monate alte Ziege ist verschwunden. „Der Emil büxt schon mal aus“, sagt Martina Droste gelassen. Aber keine Sorge: Er ist noch immer zurück zu seiner Mutter gekommen. „Wie macht ihr das? Uns büxen auch Schafe aus, und die kommen nicht zurück“, scherzt Pfarrer Stefan Siebert.
Im Fall der kleinen Ziege ist die Antwort ganz einfach: Sie trinkt noch Muttermilch. Bei den Katholikinnen und Katholiken, die ihrer Kirche den Rücken zudrehen, ist das nicht ganz so einfach. Qualität sei wichtig und auch, in allen Teilen des weitläufigen Pastoralen Raumes präsent zu sein. „Die Ehrenamtler sind Sunderns Schatz“, sagt Pfarrer Siebert ganz ohne Pathos. Denn „den Menschen wird viel zugemutet. Vor 12 Jahren hatten wir noch 13 Priester hier vor Ort. Die Zeit verändert sich rasend schnell und wir müssen schauen, dass wir die Leute nicht abhängen“.
Landwirtschaft hautnah
In Sundern gibt es 16 Sonntagskirchen, in denen jeweils alle 14 Tage – mit Ausnahme von St. Johannes – eine heilige Messe stattfindet. Das heiße aber nicht, dass die Gotteshäuser die übrige Zeit nicht genutzt werden. Hier kommen die ehrenamtlich Engagierten etwa als Leiterin und Leiter von Wort-Gottes-Feiern oder als Engagierte in der Kinder- und Jugendarbeit ins Spiel.
Martina Droste beschäftigt sich gerne in der Natur mit Kindern. Auf dem Schellen Hof zeigt sie ihnen, die meist hier mit ihren Eltern eine Ferienwohnung in den Ferien mieten, was Landwirtschaft ausmacht. „Es sind Kinder darunter, die noch nie eine Kuh gesehen haben.“ Diese Jungen und Mädchen sollen die Natur mit allen Sinnen erleben. So zum Beispiel beim Spazierengehen. Da lernen sie, welche Kräuter hier wachsen und welche heilenden Kräfte in ihnen stecken.
„Ich möchte zeigen, dass nicht alles von Menschen gemacht ist. Wir sind abhängig von der Natur“, ist Martina Droste überzeugt. Sie selbst hat als Pfadfinderin besondere Gottesdienste, etwa in einer Jurte, erlebt. „Die Gemeinschaft war toll.“ Diese Begeisterung wolle sie weitergeben.
Gemeindereferent Sebastian Kettler möchte dafür sorgen, dass es solche Erlebnisse immer wieder gibt. Die Frage sei: „Was braucht ihr von uns? Wir können euch begleiten und vernetzen. Ihr dürft das. Glaube lebt von den Menschen, die ihn leben.“ Keine Idee, die von Gläubigen kommt, wird einfach beiseite gewischt. Spontan „Das geht hier nicht“ will das Pastoralteam nicht sagen – aus gutem Grund: „Moderne Aktionen sprechen auch Menschen an, die man sonst nirgendwo im kirchlichen Kontext sieht.“
Ein Beispiel: „Wenn wir auf den Weihnachtsweg am Sorpesee schauen: Da gibt es drei Frauen aus unterschiedlichen Gemeinden, die an einem neutralen Ort den Weihnachtsweg präsentieren“, weiß Pfarrer Siebert. Ihm ist Gemeinschaft wichtig und deshalb bietet der Pastorale Raum etwa Angebote wie „Stay and pray“ an. Klingt kompliziert, ist aber eine ganz einfache und in Vergessenheit geratene Tradition: einfach mal nach dem Gottesdienst eine Weile länger bleiben, Kaffee trinken und nicht sofort nach Hause gehen. Oder früh am Ostersonntag in der Natur spazieren gehen – auch das wird angeboten.
Die Natur kann wüten
Denn die Umwelt ist für den Pastoralen Raum ein echter Gewinn, allerdings wolle man bei den Schattenseiten nicht wegschauen. Denn wie sehr die Natur wüten kann, sieht man noch immer. An einem Berg, den man auf der Fahrt zum Sorpesee gut sehen kann, stehen nur noch wenige Reihen von alten, hohen Bäumen. „Der Sturm Kyrill hat hier gewütet“, weiß Stefan Siebert. An anderen Stellen ist sehr gut zu erkennen, was Borkenkäfer anrichten können. Aber auch das gibt es: neues Grün, das immer höher wächst. Noch ergibt das kein einheitliches Bild, doch der Anfang sei gemacht. Ein Zeichen der Hoffnung.
Der Sorpesee selbst gehört zu den Stauseen, die auch das Ruhrgebiet mit Wasser versorgen können. Hier ist Sundern touristisch, ebenso wie bei dem Wandergebiet „Altes Testament“. Von „Touristenpastoral“ will Pfarrer Siebert nicht sprechen. Dennoch wolle man dort sein, wo die Menschen sind – etwa mit niederschwelligen Angeboten wie einer Bike-Segnung auf dem Weg rund um den See.
Die Fahrt geht weiter, vorbei an Wäldern und Campingplätzen. Und auch Motorradfahrerinnen und -fahrer lieben die Strecke. An diesem Vormittag sind alle entspannt und mit angemessener Geschwindigkeit unterwegs.
Unser nächstes Ziel ist der Stadtteil Amecke, genauer gesagt die Kirche St. Hubertus. Die wurde zur „AiRlebniskirche“ – passend zum „AiRlebnisweg“, der durch Sundern-Amecke führt. „Menschen können in der Kirche Rast machen“, so Siebert – und auch eine Überraschung erleben. Denn Kirchenbänke gibt es keine mehr, lediglich Stühle. Am Eingang gibt es einen Kasten mit Bildschirm. Wie soll die Kirche denn beleuchtet sein? Kobaltblau oder lieber in Orange? Und was wollen Sie hören? Einen Bibel-Rap? Choräle? Meditationsmusik? Ein Tippen auf den Bildschirm und schon fängt das gewünschte Programm an.
Für das Pastoralteam ist diese besondere Kirche mehr als eine bloße technische Spielerei. Das belegen auch die Grüße, die Besucherinnen und Besucher in das Buch am Eingang geschrieben haben. „Diese Kirche ist bemerkenswert. Hier kann man Ruhe finden für Körper und Seele“, schreiben etwa Mitglieder der Frauenhilfe der evangelischen Kirche Neuenrade.
Zusätzlich finden regelmäßig Kunstausstellungen statt. Aktuell sind Fotografien von Händen unter dem Titel „Erbarmen – Das innerste Geheimnis Gottes“ zu sehen. Auch diese Ausstellungen werden von Ehrenamtlern organisiert und betreut.
Auch Astrid Japes schaut sich ruhig die Bilder an. Sie gehört zum „Sunderner Schatz“, ist ehrenamtliche Helferin im Beerdigungsdienst. Dabei ist sie im gesamten Pastoralen Raum unterwegs. „Ich musste schon enge Freunde zu Grabe tragen. Da habe ich gedacht: Es will keiner beten. Das fand ich nicht toll. Ich habe gemerkt: Ich kann das. Das ist etwas, was ich noch für den Verstorbenen tun kann. Dann wollte ich das weitermachen“, beschreibt sie ihre Motivation. „Im Durchschnitt sind es fünf Beerdigungen im Monat. In der Urlaubszeit können es auch etwas mehr sein.“
Die Altersspanne liege zwischen 30 und 103 Jahren. Die Situation sei aber ähnlich. „Wenn wir in eine trauernde Familie hereinkommen, da steht die Welt still. Wir kommen aber nicht mit leeren Taschen, sondern mit der Botschaft und mit Hoffnung. Im wahrsten Sinne des Wortes dürfen wir Licht in die Familien bringen.“ Und in einer solchen extremen Lebenslage könne die Frohe Botschaft (wieder) auf einen fruchtbaren Boden fallen.
Selbstbewusste Ortschaften
Mit Blick auf ihren Pastoralen Raum sprechen Pfarrer Siebert und Gemeindereferent Kettler gerne von „selbstbewussten Ortschaften“. „Wir schaffen es auch nicht, jeden Stadtteil zu erreichen.“ Dennoch wolle man niemanden abhängen. Sogenannte Botschafter halten den Kontakt. Und wenn man zwischen den Stadtteilen unterwegs ist, bekommt man schnell den Eindruck, dass die Wege sehr lang sind. Doch das täusche. „Von St. Johannes sind wir in 15 bis 20 Minuten in jedem Ort.“ Dennoch sei beim Erstellen der Dienstpläne Fingerspitzengefühl nötig. Niemand solle unnötig unter Zeitdruck geraten.
Selbstbewusstsein – dahinter steckt auch eine ganz eigene Wahrnehmung des Ortes. Der Kirchturm stifte Identität, auch wenn die Zahl der Gottesdienstbesucherinnen und -besucher so groß wie im gesamten Erzbistum ist. „Die Kirche ist die Seele des Dorfes. Wenn der Kirchturm nicht mehr da wäre, würde man einem Sauerländer Dorf auch die Seele herausreißen“, erklärt Pfarrer Siebert. „Eine Zentralisierung ist für Sundern nicht denkbar, gerade weil es so selbstbewusste Ortschaften gibt.“
Insgesamt fühle sich der gebürtige Wittener Siebert nach über 20 Jahren Wirken im Sauerland hier zu Hause – auch, wenn es gedauert habe. „Es stimmt schon: Die Sauerländer haben keine Füße. Sie haben Wurzeln.“ Und Raum für ungewöhnliche Gottesdienste gebe es auch hier.
Hintergrund
Die Größe des Pastoralen Raumes Sundern im Hochsauerlandkreis entspricht der Fläche der Kommune Sundern, die 27 500 Einwohner hat. Ende 2021 lebten hier 16 496 Katholikinnen und Katholiken. Zu ihm zählen 16 Ortschaften sowie 16 Sonntagskirchen plus drei Kapellen sowie 15 Pfarrheime. Der Immobilienprozess ist hier noch nicht gestartet. Das Pastoralteam besteht aus Pfarrer Stefan Siebert, den Pastören Ansgar Hester und Guido Ricke, Vikar Tobias Goltsch, den Gemeindereferentinnen und -referenten Nicole Laufmüller, Monika Hake und Sebastian Kettler sowie der Verwaltungsleiterin Stephanie Ludwig-Weise.