Brüderlichkeit statt Verantwortung
Ein neuer Bericht zeigt Versäumnisse im Umgang mit Missbrauchstätern im Erzbistum Paderborn. Im Fokus steht der frühere Erzbischof Jaeger.
Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Paderborn erhebt Vorwürfe gegen den früheren Erzbischof und Kardinal Lorenz Jaeger. Er habe in seiner Amtszeit (1941-1973) zwei Missbrauchstäter geschützt, heißt es in dem online veröffentlichten dritten Jahresbericht der Kommission. Sein Nachfolger, Kardinal Johannes Joachim Degenhardt (1974-2002), habe bei einem dritten Beschuldigten dagegen angemessen reagiert und so „sicherlich weitere Taten verhindert“. Die Kommission hat nach eigenen Angaben inzwischen 80 Fall-Akten analysiert, die bis 1941 zurückreichen.
Der erste Fall betrifft einen Geistlichen, der als Organist und zuletzt als „hoher kirchlicher Würdenträger“ tätig war. Er soll in den 1950er Jahren mindestens drei Jungen in einem Kinderheim misshandelt und missbraucht haben. Zwar sei Jaeger über einen der drei Fälle informiert worden. Den Dokumenten sei aber nicht zu entnehmen, dass der Erzbischof Konsequenzen gezogen habe. Nach dem Tod des Geistlichen habe er den Trauerzug zum Grab angeführt, wie ein Pressefoto belege.
"Nur formal suspendiert"
Der zweite Geistliche, ein Domchorleiter, wurde laut dem Kommissionsbericht zwei Mal strafrechtlich verurteilt – 1968 und 1988. Zwar sei der Priester nach dem ersten Urteil von Jaeger mit tröstenden Worten suspendiert worden – allerdings nur formal: Der ins Bistum Fulda versetzte Beschuldigte habe weiter als Priester gewirkt. Als positiv vermerkt die Kommission, dass das Bistum Fulda über das Vorleben des Geistlichen unterrichtet worden sei. Von dort seien keine Vorwürfe gegen ihn verzeichnet.
Nach Rückkehr ins Erzbistum Paderborn sei die aufnehmende Gemeinde im Kreis Olpe aber nicht unterrichtet worden. Dort seien dann Übergriffe auf neun Betroffene aktenkundig geworden. Das Landgericht Siegen habe ihn zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Noch während der Ermittlungen sei er in einem Krankenhaus und in einer Gemeinde als Aushilfe eingesetzt gewesen. Die Kommission zieht folgendes Fazit: „Die an den Missetäter gerichteten tröstenden Worte des Erzbischofs deuten darauf hin, dass seitens des Bistums ihm gegenüber ein Maß an Brüderlichkeit bestand, das sich als Verantwortungslosigkeit darstellt.“
Staatsanwaltschaft und Rom informiert
Im 2002 bekannt gewordenen Fall des dritten Beschuldigten, eines Internatsleiters, habe Erzbischof Degenhardt angemessen reagiert. Er habe ihn von seiner Aufgabe entbunden und als Hausgeistlichen in einen Frauenorden versetzt. Nachdem der Fall 2010 in die Presse geraten sei, habe das Erzbistum die Staatsanwaltschaft und den Vatikan informiert sowie eine Geldbuße von 5.000 Euro verhängt. „Insgesamt hat die Kirche in diesem Fall angemessene Maßnahmen ergriffen und dadurch sicherlich weitere Taten verhindert“, so die Kommission.