Zum Abbau von Betreuungsplätzen – Michael Stratmann im Interview

Kinder beim Spielen: ungezwungen und sorglos. Anders geht es häufig hinter den Kulissen zu, gerade wenn es um die Frage der Finanzierung geht wie aktuell in Arnsberg. (Foto: KNA)

Die Ankündigung der katholischen „WIR-Kitas“, in Arnsberg Betreuungsplätze abzubauen, hat für Aufregung gesorgt. Im Interview erläutert Geschäftsführer Michael Stratmann die Hintergründe für die Entscheidung und spricht über die komplexen Zusammenhänge in Sachen Finanzierung.

Herr Stratmann, Schließung ­einer Einrichtung, das klingt dramatisch. Was sind die Gründe?

Michael Stratmann: „Es geht um die Reduzierung der Betreuungsleistung insgesamt, weil die Stadt Arnsberg die Zuschüsse für die Träger neu geregelt hat. Für uns heißt das konkret, dass rund die Hälfte der bisherigen städtischen Zuschüsse wegfällt und wir dies nur so kompensieren können.“

Wie hoch waren diese Zuschüsse?

Michael Stratmann: „Das hängt mit dem Kinderbildungsgesetz (KiBiz) zusammen: Wenn wir als Träger über die Landesfinanzierung 100 Euro als fiktive Summe bekommen, dann werden davon nicht 100 Euro, sondern nur 89,70 Euro an uns ausgezahlt. Die restlichen 10,30 Euro sind der Träger­anteil, die in unserem Fall aus Kirchensteuermitteln aufgebracht werden. Zu diesem Trägeranteil leistet jede Kommune einen Zuschuss. Der kann von Kommune zu Kommune unterschiedlich hoch sein. Diese Zuschüsse gibt es, weil wir als Träger eine Aufgabe übernehmen, die eigentlich die Kommunen leisten müssten. Deshalb zahlen sie einen Beitrag zu unserem Trägeranteil. Das waren in Arnsberg bisher drei Prozentpunkte von besagten 10,3 Prozent, also knapp ein Drittel. Für unsere 16 Einrichtungen in Arnsberg war das eine Summe von rund 320 .000 Euro jährlich. Nach der Neuregelung fehlen uns da 175 .000 Euro.

Zudem stehen alle Kitas ohnehin in einer herausfordernden finanziellen ­Situation, da die Landesfinanzierung die tariflichen Erhöhungen der Personalkosten und die stark gestiegenen Sachkosten nicht vollständig refinanziert. Dies bringt die Trägerlandschaft teilweise an ihre Existenzgrenze. Der in Arnsberg wegfallende Betrag bekommt damit eine nochmals höhere ­Gewichtung.“

Wie begründet die Stadt diese Kürzung?

Michael Stratmann: „Da muss ich jetzt etwas weiter ausholen: Das ursprüngliche Ziel der Stadt war es, diese Zuschüsse ganz zu streichen. Arnsberg hat einen sehr hohen Elternbeitrag für die Betreuungsplätze, landesweit einen der höchsten. Die Kommune wollte diesen Beitrag für die Eltern gern senken. Da sie aber in der Haushaltssicherung ist, musste das an anderer Stelle eingespart werden. Daraus ist das geworden: Wir nehmen es der Kirche und geben es den Eltern.“

Es wird also innerhalb des Systems umgeschichtet?

Michael Stratmann: „Ursprünglich wollte die Stadt die Zuschüsse für uns und für die von der evangelischen Kirche getragenen Einrichtungen komplett streichen. Nach vielen Interventionen durch ­Kirchenvorstände und Kita-­Leitungen sowie Vermittlung durch einen Pfarrer hat es noch ein Gespräch mit dem Bürgermeister gegeben, bei dem man sich darauf ­geeinigt hat, nicht alles zu streichen.“

Ein Teilerfolg!

Michael Stratmann: „Daraufhin haben wir sowie die evangelische Kirche und die AWO in mehreren Runden mit der Stadt verhandelt und einen Kompromiss erzielt, bei dem die erwähnte Kürzung vereinbart wurde. Gleichzeitig differenziert die Stadt zwischen den Trägern: Es gibt Kita-­Träger mit normaler Finanzkraft so wie wir, dann solche mit eingeschränkter Finanzkraft, die nur eine Einrichtung in Arnsberg haben, und schließlich solche mit sehr eingeschränkter Finanzkraft, die Elternvereine. In den letzten beiden Fällen wurde die Bezuschussung beibehalten oder sogar erhöht. Das kann ich auch mittragen, denn Elternvereine haben ja keinerlei Einnahmen. Eines möchte ich in diesem Zusammenhang aber ganz deutlich sagen: Wir haben immer mit offenen Karten gespielt und erklärt, dass wir im Falle einer Absenkung der Zuschüsse die Anzahl unserer Gruppen reduzieren müssen. Die Vertreter der Kommune wussten genau, welche Auswirkungen die rund 55-­prozentige Kürzung der Zuschüsse haben wird. Unsere Entscheidung kam also nicht so überraschend, wie es die Stadt jetzt nach außen darstellt und versucht, uns den „Schwarzen Peter“ zuzuspielen.“

Gibt es denn schon einen konkreten Zeitpunkt für die Schließung?

Michael Stratmann: „Das wird in einem Prozess mit den entsprechenden Kirchenvorständen und unserem Verwaltungsrat entschieden. Mit Blick auf den pastoralen Raum wird diskutiert, welche Kitas pastoral wichtig sind. Dann gibt es weitere Faktoren wie etwa den Zustand der Gebäude. Dieser Prozess hat gerade begonnen. Um Gerüchten vorzubeugen, haben wir dann vor wenigen Tagen die Kirchengemeinden, Kita-­Leitungen und die Mitarbeitenden zu dem Abstimmungsprozess informiert. Unser Zeitplan sieht vor, mit den Kirchenvorständen bis September zu entscheiden, welche Einrichtungen es betrifft. Zwei Prämissen sind uns dabei wichtig: Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bleiben bei uns, alle Arbeitsverträge bleiben bestehen. Und zweitens möchten wir auch keinen Betreuungsvertrag mit den Eltern kündigen. Entsprechend soll dann ab Sommer 2025 die Regelung gelten, dass in den entsprechenden Einrichtungen keine Kinder mehr aufgenommen werden. Es wird also keinen harten Schnitt geben, sondern einen Abbau in einem Zeitrahmen von rund zwei Jahren.“

Um noch einmal auf die Rolle der Kommunen bei der Finanzierung zurückzukommen: Es dreht sich immer um einen Zuschuss zu den 10,3 Prozent Trägeranteil?

Michael Stratmann: „Da muss man unterscheiden zwischen Kommunen mit eigenem Jugendamt und solchen ohne. Die Jugendämter sind als Träger der öffentlichen Jugendhilfe dafür verantwortlich, dass es ausreichend Kita-­Plätze gibt. Im Zuge der Subsidiarität geben die Jugendämter diese Aufgabe an verschiedene Träger weiter. Viele Kommunen haben auch eigene Einrichtungen. Und um diesen Prozess zu unterstützen, übernehmen Kommunen einen Teil oder sogar den gesamten Trägeranteil.“

Kann das Erzbistum jetzt nicht einspringen?

Michael Stratmann: „Der Trägeranteil wird über Kirchensteuereinnahmen finanziert, denn dem Erzbistum sind Kitas als pastorale Orte natürlich wichtig. Allerdings ist diese Summe budgetiert. Das heißt, dass das Erzbistum nicht da einspringt, wo kommunale oder staatliche Zuschüsse wegfallen. Das ist auch nachvollziehbar, denn dann würden sicherlich viele Kommunen ihre Zuschüsse senken.“

Müssen sich Eltern Sorgen machen, dass das Beispiel Arnsberg auf kommunaler Ebene Nachahmer findet?

Michael Stratmann: „Davon gehe ich nicht aus. Es hat über die Jahre immer Ansätze von Kommunen gegeben, über die Zuschüsse neu zu verhandeln. Es gibt aber eigentlich überall auch die Vereinbarung, dass Kommunen bei Erweiterungen sogar den kompletten Trägeranteil übernehmen; etwa, wenn neue Gruppen nötig sind. Denn im Fall einer Erweiterung übernimmt das Erzbistum diesen Trägeranteil nicht. Da muss man als Träger mit der Kommune verhandeln. Das ist normalerweise kein Problem, weil diese froh sind, dass wir die Aufgabe übernehmen. Denn wenn die Kommunen das selbst leisten müssten, wären ihre Kosten deutlich höher. Deshalb erwarten wir nicht, dass andere Kommunen dem Beispiel Arnsberg folgen werden.“

Zu den Schließungen gibt es keine Alternativen?

Michael Stratmann: „175 .000 Euro pro Jahr dürfen für einen Träger mit 65 Einrichtungen keine große Summe sein, könnte man als Außenstehender meinen. Doch Jahr für Jahr eine solche Summe auszugleichen, ist für uns schlicht nicht möglich. Denn das Geld fehlt auf Dauer. Letztlich kämen alle Einrichtungen in eine Schieflage. Eines ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig: Die Finanzierung ist bis ins Detail geregelt und setzt uns enge Grenzen. Wenn mal zum Beispiel von den 89,7 Prozent der Landesmittel etwas übrig bleiben sollte, darf man das nicht dazu verwenden, den Trägeranteil auszugleichen. In diesem Zusammenhang muss ich auch der Stadt Arnsberg einen Vorwurf machen: Sie ­argumentiert, wir hätten als Träger in den vergangenen Jahren Überschüsse erzielt und würden jetzt wegen 175 000 Euro Einrichtungen schließen. Da wird versucht, einen falschen Eindruck zu erwecken. Wir dürfen das in Zukunft fehlende Geld nicht aus ­Landesmitteln ausgleichen!“

Wie sind denn die Reaktionen?

Michael Stratmann: „Da gibt es die ganze Palette von Zustimmung bis zu völligem Unverständnis. Natürlich kommt in diesem Zusammenhang das Argument, dass die Kirche auf Milliarden Euro sitzt. Etwas Unruhe gibt es auch in der ­Mitarbeiterschaft, denn der Prozess ist zwar transparent, aber auch lang. Die Mitarbeiterinnen und ­Mitarbeiter wissen zwar, dass sie sich um den Arbeitsplatz keine Sorgen machen müssen, aber es sind natürlich auch viele Emotionen im Spiel, wenn eine Einrichtung geschlossen werden muss. Da verschwindet unter Umständen eine 50- oder 60-­jährige Geschichte vor Ort.“

Die Stadt argumentiert ja, dass es weiter genug Betreuungsplätze geben wird.

Michael Stratmann: „Ob das in jedem Sozialraum in Arnsberg der Fall ist, ist eine andere Frage. Tatsache ist, dass die Stadt meint, für neue Gruppen oder Einrichtungen auch die Träger zu finden.“

Träger ist noch einmal ein gutes Stichwort: Gibt es da so etwas wie Solidarität untereinander?

Michael Stratmann: „Solidarität entsteht durch gemeinsame Interessen, und entsprechend gab es zu Beginn der Verhandlungen diese Solidarität. Dass die evangelische und die katholische Kirche zusammen mit der AWO mit dem Bürgermeister verhandeln, heißt ja schon etwas! Das gilt aber nicht für alle Träger, etwa wenn sie zu einem deutschland- oder europaweit aktiven Bildungskonzern gehören wie ein anderer Kita-­Träger in Arnsberg. Aber im Kontext der Freien Wohlfahrtspflege gibt es Solidarität! Auf dieser Ebene können die anderen Träger unseren Entschluss auch nachvollziehen.“

Mit Michael Stratmann sprach Andreas Wiedenhaus

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