09.06.2021

Gegen Laxheit und zu viel Milde

Katholische Kirche reformiert ihr Strafrecht

von Roland Juchem

Vatikanstadt (KNA). Nach zwölf Jahren Arbeit ist im Vatikan das reformierte kirchliche Strafrecht vorgestellt worden. Mit der Reform im VI. Buch des Codex Iuris Canonici (CIC) werden vor allem Missbrauch, Verletzung der Aufsichtspflicht und finanzielle Vergehen stärker bestraft. Während Experten durchaus Fortschritte erkennen, zeigen sich Vertreter von Opferverbänden und anderen Initiativen skeptisch.

Unter anderem wird sexueller Missbrauch nun nicht mehr unter Verstößen gegen die Zölibatspflicht aufgeführt, sondern zählt wie Mord oder Abtreibung als Straftat „gegen Leben, Würde und Freiheit des Menschen“. Strafen sind detaillierter formuliert. Kirchenoberen ist es nicht mehr freigestellt, ob sie bei erwiesener Schuld eine Strafe erteilen oder nicht. Das gilt nicht mehr nur für die Taten von Geistlichen, sondern für alle Gläubigen. Genannt werden außerdem Besitz und Verbreitung von Pornografie von Minderjährigen sowie der Missbrauch von Amtsautorität bei sexuellen Vergehen gegen volljährige Untergebene. Darüber hinaus gilt für sexuellen Missbrauch anders als im weltlichen Strafrecht keine Verjährungsfrist mehr. 

Die Kirche greift mit der Reform Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte auf. Lange galt die katholische Kirche als strafend und bevormundend. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) schaffte die Papstkirche eine Wende hin zu mehr Seelsorge, Verständnis und Kümmern. Davon geprägt war auch das in den 1970er-Jahren unter Johannes PaulII. reformierte Kirchenrecht. Schnell aber zeigte sich: Die Strafdisziplin entsprach nicht den Erwartungen. Die Texte seien vielfach zu unbestimmt gewesen, räumte Juan Arrieta, Sekretär im Päpstlichen Rat für Gesetzestexte, bei der Vorstellung der Reform des kirchlichen Strafrechtes ein.

Unverständnis für den Zusammenhang zwischen Liebe und Strafdisziplin in der Kirche habe „in der Vergangenheit viel Schaden verursacht“, schreibt Papst Franziskus in seiner Konstitution „Pascite Gregem Die“ (Weidet Gottes Herde), mit der er die Reform in Kraft setzt. Diese soll am 8.Dezember zu Beginn des neuen Kirchenjahres wirksam werden, damit Ortskirchen ihre Regeln anpassen können.

Vor allem die zahlreichen Missbrauchsskandale zeigten: Allein mit Seelsorge, Ermahnungen und Psychotherapie kommt man dem Übel nicht bei. Schon in den 1990er-Jahren habe Kardinal Joseph Ratzinger festgestellt, dass das Strafrecht von 1983 die Erwartungen nicht erfülle, so Bischof Arrieta. Mit dem Bekanntwerden erster großer Missbrauchsskandale erließ der Vatikan nach und nach Einzelgesetze und Regelungen: 2001 etwa den Erlass „Sacramentorum sanctitatis tutela“ (SST), wonach Verfahren wegen Missbrauch der Glaubenskongregation gemeldet werden müssen, um Vertuschung vor Ort zu verhindern.

2010 verschärfte BenediktXVI. die Bestimmungen von SST. Unter Franziskus folgten weitere Erlasse. Schon 2009 hatte BenediktXVI. die damals neu ernannte Leitung der Behörde für Gesetzestexte mit einer Strafrechtsreform beauftragt. Die Expertengruppe traf sich zu 66 Arbeitssitzungen, sichtete 800 Seiten Rückmeldungen. Befragt wurden Bischofskonferenzen weltweit– etwa 70 meldeten sich zurück–, Ordensobere sowie andere Kurienbehörden und einzelne Kirchenjuristen.

In schweren Fällen, vor allem bei Wiederholungsgefahr, sind neben Strafen auch Überwachungsmaßnahmen zu ergreifen (can.1339 §5). Kanon1326 schreibt zudem vor, jene stärker zu bestrafen, die eine höhere Würde besitzen oder ausdrücklich ihr Amt zu einer Straftat missbrauchen.

Die stärksten Änderungen betreffen jedoch Vermögensdelikte, veranlasst auch durch Finanzskandale im Vatikan, so Arrieta. Grobe Fahrlässigkeit bei der Verwaltung von Kirchengütern wird nun ebenso bestraft wie die Veräußerung von Kirchenvermögen ohne vorgeschriebene Beratung oder Erlaubnis. Außer Bestechung wird künftig auch die Forderung nach unrechtmäßiger Vorteilsgabe bestraft. In manchen Ländern gab es Fälle, in denen Kirchenvertreter für Beerdigungen und Sakramente Geldsummen verlangten, die weit über übliche Spenden hinausgingen.

Die Reaktionen auf die Neuerungen fielen unterschiedlich aus. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, begrüßte es. Die Kirche nähere sich damit dem weltlichen Sanktionsrecht an, sagte er.

Dagegen bezeichnete der Sprecher der Opfer-Initiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, die Neuerungen als „nur halb gelungen“. Der erhoffte Perspektivwechsel sei nicht vollzogen worden, weil Betroffene nach wie vor nur als Zeugen gehört würden. Opfer müssten endlich ein richtiges Klagerecht haben. Zudem gebe es immer noch zu viele Schlupflöcher.

Der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier hält die überarbeitete Fassung des kirchlichen Strafrechtes „im Großen und Ganzen für sinnvoll und hilfreich“. Das Strafrecht sei in den Grundzügen erhalten geblieben; Neuakzentuierungen und Anpassungen gebe es im Detail. Neu sei, dass „die Unschuldsvermutung nun auch in der katholischen Kirche ausdrücklich geregelt ist“. 

Die Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP) gibt zu bedenken, dass kirchliche Prozesse auch künftig grundsätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfänden. Die GKP fordert daher ergänzend zur Reform des kirchlichen Strafrechtes auch eine Überarbeitung des Prozessrechtes.

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