Erinnern und weitergeben – Über den Geist des Geschenkes
Geschenke sind oft mehr als ein Gegenstand. Damit verbunden können Erinnerungen und Familientraditionen sein. Rita Burrichter schreibt in dieser Ausgabe darüber, welche Bedeutung der Geist des Geschenkes bei den nordamerikanischen First Nations hatte und ihre persönliche Erfahrung damit.
Lang ist’s her. Vor gut 25 Jahren war ich mit meiner Familie zu einer Initiationsfeier für ein Kind eingeladen, die von der Spiritualität der nordamerikanischen First Nations inspiriert war. Ein kanadischer Schamane leitete den Ritus. Als Katholikin wusste ich erst nicht so recht: Wie soll ich denn da mitbeten?
Die grundlegenden Strukturen eines solchen Ritus sind dann aber religionsübergreifend ganz ähnlich: Die Gemeinde versammelt sich. Man sagt, warum man da ist und bittet dazu um göttlichen Beistand. Man sagt sich los von allem Bösen. Die dazugehörigen Riten waren hingegen nur für Eingeweihte: die Schwitzhütte, das Räuchern.
Das „Give-away“ machte verlegen
Zum Ende des Festes gab es eine Geschenkzeremonie, ein „Give-away“. Dass die Gäste eines Festes beschenkt werden, ist mittlerweile Usus auf jedem Kindergeburtstag. Aber bei dieser Initiationsfeier war wirklich und wahrhaftig der Besitz der einladenden Familien ausgebreitet. Sie haben ihren Hausstand verschenkt: Werkzeugkiste, Töpfe, Bücher. Das hat mich in höchstem Maße verunsichert. Nehmen erschien mir hier wie Plündern und ich habe in meiner grenzenlosen Verlegenheit zu etwas gegriffen, was mir einigermaßen unverfänglich erschien: ein kleines Duftfläschchen. Meine leise Nachfrage bei den Eltern brachte als Begründung für die Geschenkzeremonie: Das Herz ist voll, wenn das Tipi leer ist. Das fand ich dann auch wieder ganz schön und ich konnte es „gut katholisch“ zusammenbringen: mit Elisabeth, mit Franziskus.
Weitergeben – Eine teils missverstandene Tradition
Kurz danach entdeckte ich im Übersee-Museum Bremen Hinweise auf die Geschenkzeremonien der kanadischen First Nations. Beim sogenannten Potlatch werden wertvolle und erlesene Gaben bei einem Fest verschenkt oder sogar zeremoniell zerstört. Der Museumstext besagte: Demonstriert werde dadurch der Rang des Gastgebers, verbunden damit sei aber auch die Demütigung der Gäste und nicht zuletzt die Aufforderung an die Beschenkten, ein Gleiches zu tun, ja, es zu überbieten. Werde dies nicht eingehalten, verliere der Einladende sein Gesicht und seine Ehre. Durch den Kontakt mit europäischen Händlern und einer kapitalistischen Warenökonomie sei es im 19. Jahrhundert zu einer ausufernden Festpraxis gekommen, die zur Verarmung ganzer Siedlungen führte. Die kanadische Regierung verbot daher 1884 den Potlatch, um dessen selbstzerstörerische Wirkungen zu unterbinden. Ich war nach dem Museumsbesuch einigermaßen ernüchtert, ja enttäuscht: Ich möchte nicht durch ein Geschenk gedemütigt werden.
Etwas später verhalf mir eine kritische Darstellung der Kolonialisierungs- und Missionierungsgeschichte zu einem besseren Verständnis: Ursprünglich wird beim Potlatch nämlich nicht einfach Kostbares verschenkt, sondern vor allem Wappendecken und Kupferwappen, die oft durch viele Hände gingen. Auf den äußerst seltenen Festen wurden Erbansprüche rituell verkündet und Traditionen durch die Weitergabe historischer Erinnerungen gesichert.
„Gegenstände sind Gedächtnisträger“
Die geschenkten Gegenstände sind also Gedächtnisträger, die soziale und spirituelle Gemeinschaft stiften. Dabei gewinnt der Gegenstand durch die Anreicherung mit Erinnerung gleichsam Individualität, er wird Gedächtnisträger aus eigener Kraft. Diese dem Gegenstand innewohnende, gleichsam sakramentale Kraft ist es dann auch, die den Beschenkten gefährlich werden kann, wenn sie die Gabe nicht angemessen beantworten. Die größere Gegengabe ehrt den Gedächtnisträger und in ihm das Gedächtnis. Das ist die genuin religiöse Dimension dieser Zeremonie. Die christlichen Missionare des 19. Jahrhunderts haben das erkannt. Und deshalb waren ihnen die Geschenkzeremonien ein Dorn im Auge, während das ökonomische Argument der Kolonialverwaltung die Sache selbst eigentlich nicht trifft.
Das Geschenk verweist auf Transzendenz. Unter diesen Voraussetzungen fülle ich auch mein „Give-away“-Duftfläschchen immer wieder gerne mit Lavendelöl und lasse es sein Werk in meinem Kleiderschrank tun. Vielleicht ist das ja die Kraft dieses Geschenkes: dass es im Haus der katholischen Theologin über religiöse Grenzen und kolonialistische Missverständnisse hinweg den schamanischen Segensruf über ein Kind erinnert und vergegenwärtigt.
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Über die Autorin
Unsere Reihe im Advent haben wir gemeinsam mit Prof. Dr. Rita Burrichter von der Universität Paderborn konzipiert. Frau Burrichter ist seit 2004 Professorin für Praktische Theologie an der Universität Paderborn. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Bildtheologie und Bilddidaktik, ästhetisches Lernen im Religionsunterricht und Religion in der Popkultur.