05.12.2021

Geschenke: Ist Nehmen seliger als Geben?

Heute eine gern genommene Gabe, doch einst ein großer Geber:
der heilige Nikolaus.

Eine Bekannte erzählte mir mal nach Weihnachten schwer gekränkt: „Ich habe meiner Schwiegermutter eine schöne, teure Bluse geschenkt. ‚Das war doch nicht nötig‘, hat sie gesagt und die Bluse umgetauscht. Und weißt du, was sie gemacht hat? Von dem Geld hat sie dann Anoraks für meine Kinder gekauft.“ Solche Geschichten kennen Sie auch? Ja, nur vordergründig machen Geschenke nichts als Freude oder werden „einfach nur so“, zur Freude, gemacht. Vielmehr sind sie eingebunden in unsere komplexen zwischenmenschlichen Beziehungsformen. Und sie erweisen sich dort als schwierige, gelegentlich sogar als wahrlich vergiftete Gaben, auch wenn es sich nicht, wie bei Schneewittchen, um Kämme und Äpfel handelt.

Geschenke – Ohne Nehmen kein Geben

Zeit- und kulturübergreifend gilt eine recht einfache Definition: Ein Geschenk ist das unentgeltliche, freiwillige Darreichen einer Gabe und von Tausch, Raub und Steuer zu unterscheiden. Aber in der sozialen Praxis ist der Vollzug dieser fundamental menschlichen Handlungsform in eine Vielzahl von Regeln und Verpflichtungen, von Erwartungen und Gefühlen eingebettet. Damit erscheint das Schenken immer auch als sozialer Balanceakt. Darauf weist schon die Herkunft der deutschen Begrifflichkeit hin. Sie kommt aus dem sensiblen Bereich des Umgangs mit dem Fremden, dem Gast. „Schenken“ meint laut Grimm’schem Wörterbuch ursprünglich „ein Gefäß schräg halten“, damit dessen Inhalt ausfließen kann. Das „Geben“ hingegen lässt sich sprachlich zurückführen auf das „Greifen“ und damit eigentlich auf das „Nehmen“. Zum wirklichen Schenken gehört nicht nur die Freiwilligkeit des Spenders, sondern auch die Willigkeit des Empfängers. Die Gabe wird sie selbst erst durch Annahme, sonst bleibt sie einfach eine Sache. Ist nehmen vielleicht die größere Kunst?

Die Regeln des Schenkens

Sehr genau ist in unserer Gesellschaft festgelegt, wer wem zu welchen Anlässen ein Geschenk machen darf, kann oder muss und wie und wann die jeweilige Gegengabe zu erfolgen hat. Es ergibt sich aus ungeschriebenen, aber allseits bekannten, wenn auch nicht immer bewussten Regeln. So ist das interindividuelle Schenken in unserer westlichen, bürgerlichen Gesellschaft auf Wechselseitigkeit angelegt, auch und gerade da, wo es in asymmetrischen Beziehungen passiert. Das ist im Grunde kurios, da das Geschenk ja als das „Ausfließende“, als das „nicht Zurückgehaltene“ eigentlich auf „Überfluss“ angelegt ist.

Schenken – Auf das „Maß“ kommt es an

Und doch achten wir in Geschenkbeziehungen mehr als sorgfältig darauf, dass hier nicht „maßlos“ und „unangemessen“ gehandelt wird. Beim Schenken ist das Maß das Maß aller Dinge! So dürfen etwa Geschenke von Eltern und Großeltern als echte „Hilfe zum Lebensunterhalt“ daherkommen. Die Geschenke von Kindern und Enkelkindern aber sollen das in der Regel nicht. Selbst dann, wenn diese über deutlich höhere Einkommen verfügen. Kostspielige Geschenke für Eltern und Großeltern sind aber erlaubt, wenn sie gleichsam nutzlos und verschwenderisch „nur Freude bereiten“. Pech für meine Bekannte, dass die schöne Bluse in den Augen der Schwiegermutter nicht unter „Luxus“, sondern unter „Nützliches“ fiel und deshalb „nicht nötig“ war. Glück für alle, deren Geschenke als Beglaubigung intensiver Nähe und Ausdruck liebevoller Bindung verstanden und dankbar angenommen werden. Im Kontext sozialer Beziehungen dienen Geschenke so der Stabilisierung und Vergewisserung, aber auch der Eröffnung und Aufnahme von Beziehungen. Sie sind Anzeichen einer Beziehung, Zeichen für eine Beziehung, wenn auch nicht ihre Voraussetzung.

Schenken fördert Kaufbereitschaft

Wie wichtig uns diese über das Schenken vermittelten Beziehungsdimensionen sind, zeigt die Doktorarbeit einer Paderborner Wirtschaftswissenschaftlerin. Carina Witte hat nachgewiesen, dass Geschenkekauf im Vergleich zu einem Kauf für den persönlichen Bedarf zu einer anschließenden Umsatzsteigerung führt. Der soziale und emotionale Ertrag des Schenkens bewirkt gegenüber dem Unternehmen Kundendankbarkeit, eine höhere Kaufhäufigkeit und Kaufbreite sowie ein öffentliches Bekenntnis zum Geschenkeanbieter. Die Wirtschaftswissenschaftlerin weist darauf hin, dass Hilfestellung während des Geschenkekaufes sich für das Unternehmen unmittelbar auszahlt. Sie empfiehlt weiter, immer nach dem Anlass des Geschenkes zu fragen. Oje – ist jetzt etwa das Lächeln meines Buchhändlers bloße Marketingstrategie? Nein! Ich verstehe es als Geschenk. Für mich. 

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