„Er war doch auch ein guter Priester“

„Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ ist der offizielle Titel der MHG-­Studie, die vor fünf Jahren präsentiert wurde von Harald Dreßing (l.), Verbundkoordinator der MHG-­Studie; Kardinal Reinhard Marx (Mitte) und Bischof Stephan Ackermann (r.), damals Beauftragter der DBK für Fragen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger. (Foto: KNA)

Es war der 25. September 2018, als der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, ­Kardinal Marx, mittags gemeinsam mit Forschern der Universitäten Mannheim, Heidelberg und Gießen vor die Presse trat und der Öffentlichkeit mit der MHG-­Studie einen wissenschaftlich fundierten Blick in den Abgrund gewährte. 

Schmallenberg (-berg). Zum fünften Mal jährt sich in diesen Tagen die Veröffentlichung der MHG-­Studie , die in der ka­tholischen Kirche in Deutschland ein bis dato kaum da gewesenes Beben auslöste.

Für ihn sei die MHG-­Studie eine große Hilfe, sagt Georg Schröder, denn es wurde klar: Wir reden nicht über Einzelfälle. Er ist Dechant des Dekanates Hochsauerland-­Mitte und Leiter des Pastoralen Raumes Schmallenberg-­Eslohe. In mindestens zwei Gemeinden dieses Raumes haben Priester Kinder missbraucht. Beide sind inzwischen tot, in einem Ort, in Lenne, ist kürzlich der Grabstein des Priesters Robert Eickelmann entfernt worden (Der Dom berichtete). In dem anderen Ort nicht.

Dort war Heinz R. lange Pfarrer, ein beliebter Mann, etwas ruppig, aber in der Extra-­Ausgabe des Pfarrbriefes, die zu seinem Abschied 2013 erschienen ist, reiht sich ein Dankeswort an das nächste. Der Bürgermeister dankt, das Team der Seelsorgeregion, wo R. Regionaldekan war, die Verbände, die Gruppen der Gemeinde, viele Kommunionkinder. Das Heft ist angereichert mit zahlreichen Fotos und Bildern, die die Kinder für ihren Pastor gemalt haben. „Es ist uns sehr viel Spaß gemacht, mir dir die hl. Messe zu feiern“, ist da in Kinderschrift zu lesen. Ein Pfarrer, wie man ihn sich wünscht, so schien es zu sein. Doch dieses Bild zerbrach im Januar 2019.

„lud sich die Kinder ein ins Haus und zog sie gerne nackig aus“

Offenbar motiviert durch die MHG-­Studie und die kfd-­Aktion „Licht an“, erreichte eine kfd-­Frau ein anonymes Schreiben. In Anlehnung an ein Gedicht aus dem Struwwelpeter hatte jemand auf Heinz R. gedichtet: „… lud sich die Kinder ein ins Haus und zog sie gerne nackig aus. Missbrauch auch im beschaulichen Sauerland.“

R. war im Januar 2015 gestorben. Kurz vor der Beerdigung hatte Georg Schröder von den Vorwürfen erfahren, aber mit wem hätte er sprechen sollen? Er schleppte es mit sich rum, sagt er heute. Dann kam der anonyme Brief und nun ging alles sehr schnell. Es gab eine Gemeindeversammlung, auf der der damalige Personalchef des Erzbistums, Andreas Kurte, die Gemeinde umfassend informierte. Vorwürfe gegen Heinz R. waren in Paderborn schon seit Jahren bekannt, es habe Gespräche mit ihm, mit Betroffenen und Zeugen gegeben. Heinz R. habe alles von sich gewiesen. Der Fall sei nach Rom gemeldet worden, die Glaubenskongregation habe jedoch erklärt, die Eröffnung eines kanonischen ­Strafverfahrens sei nicht angezeigt. 

Wohlwollende Erinnerungen an

Jetzt ist wieder einigermaßen Ruhe eingekehrt, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Dass kaum jemand weiß, wer die Betroffenen sind, gibt Raum für wohlwollende Erinnerungen an Heinz R. Leute sagen, sie könnten sich das gar nicht vorstellen: „Er war doch ein guter Priester.“ Diejenigen, die um die Betroffenen wissen, ordnen das anders ein, so Schröder. Auch in Lenne, wo der Grabstein entfernt worden ist, hat er solche Sätze immer wieder gehört. 

Der Klerikalismus des Volkes, die Verehrung für einen Priester, das haben etliche Studien inzwischen ergeben, ist ein Teil des Problems. Gefragt, wie er es mit solchen „Priester-­Anbetungsvereinen“ hält, sagt Georg Schröder etwas lapidar: „Ich mag das nicht und kann das auch nicht haben.“ Sicher, die Leute gehen in die Gottesdienste, in denen jemand zelebriert, den sie mögen, „aber wenn sie nur wegen meiner Person kommen, ist etwas falsch.“ Aber wie geht man damit um? Man könne das als Priester natürlich fördern, sagt er – oder sich davon fernhalten. Er hält sich fern. 

Umgang mit Kindern hat sich massiv verändert

Auf eine bestimmte Weise hält er sich auch von Kindern fern. Der Umgang mit ihnen habe sich massiv verändert, sagt Schröder. Die Erstbeichte für Kommunionkinder ist de facto abgeschafft, wenn Eltern sie wünschen, wird ein Termin gemacht, aber ansonsten achtet er darauf, nicht mit Kindern allein in einem Raum zu sein. Und Herumtollen im Schwimmbad mit Ministranten wie einst in der Vikarszeit ist schon gar nicht mehr drin. Am vorletzten Sonntag übertrug der WDR den Radiogottesdienst aus St. Alexander in Schmallen­berg. Schröder hielt die Predigt. Darin sprach er über das Thema Missbrauch und beklagte, Betroffene müssten bis heute darum kämpfen, bei der Kirchenleitung gehört und verstanden zu werden. Im Evangelium ging es darum, wie ein Konflikt in der Gemeinde gelöst werden kann: Erst, so fordert Jesus, soll unter vier Augen gesprochen werden, dann vor Zeugen, dann vor der Gemeinde. 

Kein Betriebsrat für Priester

Jesus also fordert, so übersetzt es Schröder, eine menschenfreundliche Gemeinschaft, die von Wohlwollen und Respekt geprägt ist, in der man angstfrei miteinander sprechen kann. Nach der Predigt haben sich bei ihm auch Priester gemeldet, die ihm von Machtmissbrauch erzählt haben und „nicht wissen, an wen sie sich mal wenden können, um gehört zu werden“. Es gibt auch für Priester keine neu­tralen Ansprechpartner, etwa einen Betriebsrat. Offiziell sei das der Priesterrat, sagt Schröder, aber in der Vakanz, in der das Erzbistum Paderborn seit nunmehr fast einem Jahr lebt, gibt es dieses Gremium nicht. „Und es ist auch schwierig, wenn der Vorgesetzte, um den es geht, dort womöglich Mitglied ist.“

Die Kirche, so resümiert er, sei nach wie vor „ein absolutistisches System“, trotz aller Gremien, wobei die auch nur beratend seien. Dieses System ist Ursache vieler Probleme, hat engagierte Männer – Leute wie Franz-­Josef Bode – blind gemacht für Taten ihrer Mitbrüder und für die Nöte der Opfer. Auch darüber denkt Schröder viel nach. Wie kann das sein und wie kann ich mich schützen? Wie kann er sich schützen? „Durch innerliche Abgrenzung und dadurch, dass ich Fehler und Schwächen entlarve.“ Und austreten? Nein, Kirche ist doch mehr als die Organisation, sagt er. „Sie bietet mir Heimat in meinem Glauben.“

Die MHG-­Studie finden Sie hier.

Schauen Sie doch mal in die aktuelle DOM-Ausgabe rein. Dort finden Sie eine Vielzahl an Berichten zur katholischen Kirche im Erzbistum Paderborn, deutschlandweit und auch weltweit. Es lohnt sich bestimmt.

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