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13.09.2025
Hausmeister Josef Wagner öffnet am 26. August 2025 die Tür der Kapelle Sankt Rochus in Weißach.
Foto / Quelle: Christopher Beschnitt/KNA

Allgäuer geht nach 80 Jahren Kapellendienst in den Ruhestand

Im November wird der Allgäuer Josef Wagner 89, kurz zuvor geht er nun in den Ruhestand. Zeitlebens hat er sich um eine kleine Kapelle gekümmert. Ein Leben für ein Gotteshaus – ein Leben voll Lachen und auch mit Trauer.

Weißach

Welche Geschichte ist die schönste? Die mit dem fast gefrorenen Messwein oder die mit der furchtbaren Sängerin? Die mit dem Mäuschen in der Orgel oder die mit dem Vogelnest überm Altar? Ja mei, es ist halt einiges zusammengekommen in den 80 Jahren. So lang hat sich Josef Wagner aus Weißach um die Rochus-Kapelle in seinem Heimatort bei Oberstaufen im Allgäu gekümmert. Als kleiner Junge begann er dort seinen Dienst als Ministrant; nun hört er auf als Mesner und Kapellenpfleger, als Hausmeister also. Ruhestand mit beinahe 89 – Ruhestand mit vielen Erinnerungen im Kopf.

Josef Wagner stammt von einem Bauernhof, der etwa eine Viertelstunde zu Fuß von der Kapelle liegt. Das Oberallgäu zeigt sich dort von seiner schönsten Seite: sattgrüne Wiesen und Wälder, flankiert von sanften Hügeln und markanten Bergmassiven.

Die Kapelle nimmt sich inmitten dieser Pracht dezent zurück: weißer Anstrich, kleines Türmchen. Eine Tafel neben dem Eingang erklärt die Benennung nach Rochus, dem Schutzheiligen gegen Pest: Ein Graf stiftete das Gotteshaus demnach 1629, daneben liegt ein Pest-Friedhof. Dann lenkt Josef Wagner mit einem Klimpern den Blick weg vom grasüberwachsenen Gottesacker und hin zu seinem Bund mit handgroßen Schlüsseln dran.

Innen mehr Pracht als außen

„Wie beim Petrus“, sagt der Senior und schmunzelt. Mit einem der Schlüssel schließt er die Kapelle auf. Im Innern erscheint das Gebäude viel prächtiger: Jede Menge bald lebensgroße Heiligenfiguren halten die Stellung, das goldgerahmte Altarbild leuchtet geradezu, selbst eine kleine Orgel gibt’s. Wagner geht vor in den Altarraum. Wie oft er diese Schritte in neun Jahrzehnten getan haben muss. Dann setzt er sich auf eine Bank. „Hier hat man mehr Beinfreiheit als vorne“, sagt er. Wenn er schon erzählen soll, dann bitte bequem.

Wobei Wagner das mit dem Erzählen-Sollen gar nicht recht verstehen kann. Dass er sich sagenhafte 80 Jahre lang um die Kapelle gekümmert hat, insbesondere bei Schulmessen, Maiandachten und Patroziniumsfesten? „So ist es halt gekommen.“

Wagners Bericht beginnt mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, da war er acht: „1945 kamen die Franzosen. Da war in der Schul‘ a Weil‘ nix. Aber hier in der Kapelle hatten wir Religionsunterricht beim Pfarrer.“ So sei er Messdiener geworden, wohl noch vor der Erstkommunion, mit nicht mal neun Jahren. „So genau weiß ich’s net mehr.“ Mit ungefähr 14 wurde Wagnerdann Mesner (für Norddeutsche: Küster), also zuständig für Gewänder und Geräte für den Gottesdienst. Später fiel ihm noch das Amt des Kapellenpflegers zu, quasi ein Hausmeisterposten.

Empfindliche Pfarrer

„Es kam alles automatisch“, sagt der alte Herr. Der Glaube sei damals selbstverständlich gewesen, der Zusammenhalt auch. Wenn die Älteren etwas erbeten hätten, habe man’s gemacht. „Damals war die Kapelle etwa zur Maiandacht gestopft voll, heute ist sie oft zu drei Vierteln leer.“ Noch ein Bild aus jener Zeit: „Wir hatten daheim Milchvieh, sechs Kühe. Wer acht hatte, galt schon als Großbauer.“

Milch gab’s in der Kapelle nun nicht zu trinken, Messwein schon. Allerdings wäre der mal beinahe gefroren. „1956, da hatten wir 30 Grad Kälte“, erzählt Wagner. „Da hab ich den Wein noch mal extra in a Haferl gepackt“, in ein schützendes Gefäß also. Früher seien die Winter schon härter gewesen. „Anwärmen müssen hab ich oft was. Die Pfarrer und Kapläne waren da manchmal a bisserl empfindlich, die ham’s net so kalt trinken mögen.“

Kapelle Sankt Rochus am 26. August 2025 in Weißach.
Foto / Quelle: Christopher Beschnitt/KNA

Wagner lächelt. Dann fällt ihm die Sängerin ein. „Auweh!“ hätten sie immer gerufen, wenn sie sahen, dass diese eine Dame aus dem Nachbarort wieder zur Singstunde der Schulkinder in die Kapelle kam. „Sie hat so laut gesungen, aber auch so falsch – wir haben immer darauf gewartet, dass der Lehrer vom Harmonium fällt.“ Wagner lacht, er strahlt. Er wirkte die ganze Zeit schon freudig. Sicher, sein Gang ist gebückt, die Stimme aber kräftig, der Blick fest, die Wangen sind rosig. Jetzt, da ihm all die Anekdoten aus 80 Jahren Kapellendienst in den Sinn kommen, vielleicht noch etwas rosiger als vorhin.

Zwei Tierbesuche

Da wären noch zwei Tierbesuche: „Bei einem Sterberosenkranz huschte plötzlich aus dem Altarraum ein Mäuschen hervor. Ein paar Frauen standen sofort auf den Kniebänken! Da war’s mit der Andacht erst mal vorbei“, erzählt Wagner unter Lachen. Und Nummer zwei? „Als mal ein Fenster kaputt war, hat sich ein Vogel oben auf dem Altarbild eingenistet.“ Die Maus habe später noch die Orgelpfeifen angenagt. „Wahrscheinlich, um an die Fliegen ranzukommen, die im Herbst immer da reinsausen.“ Und der Vogel habe – hoch oben überm Jesuskopf – erfolgreich gebrütet.

Der alte Mann lächelt. „Man möcht’s net missen“, resümiert er seine 80 Jahren Kapellendienst. Nicht bloß das Kuriose, sondern freilich auch das Schöne: zum Beispiel den Gottesdienst zur Goldenen Hochzeit, den er 2018 hier in der Kapelle mit seiner Frau Else feiern durfte. „Es ist a Gnad‘, wenn man über a so lange Zeit so viel erleben darf.“

Eine lange Zeit ist nicht jedem vergönnt. Josef Wagner weiß das: Er hat zwei Töchter und sechs Söhne, außerdem acht Enkel; von den Söhnen sind jedoch drei schon gestorben. Krebs, eine mutmaßlich verschleppte Grippe. „Wir hoffen, dass sie alle wohlbehalten im Himmel angekommen sind, die Buben“, sagt der Vater, die Stimme nach wie vor kräftig, den Blick aber nun abgewandt in den Altarraum.

Mesner tot, Schlüssel weg

Wagner verweist auf einen weiteren Toten, einen Mesner aus einem Nachbarort. Ganz plötzlich sei der verschieden: „Und keiner wusst‘, wo der Schlüssel für die Sakristei liegt.“ Über das Fenster seien die Leute dann eingestiegen. So weit habe er es in seinem Fall nicht kommen lassen wollen, betont Wagner – daher habe er sich nun Nachfolger gesucht. Zwei Frauen und ein Mann übernähmen fortan seine Aufgaben.

Und was macht Josef Wagner künftig? Wohl noch mehr Musik. Für die Kapelle hat er schon mit seiner Familie Benefizkonzerte zwecks Restaurationsarbeiten gespielt. Er baut auch leidenschaftlich gerne Alphörner. Das aber ist zwar ebenfalls eine schöne, nur dann doch eine andere Geschichte.

KNA
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