Dietmar Tacke: „Auch Kontinuität ist wichtig“

Sparkassenfussionen finden eher im Backoffice-Bereich statt, sagt Dietmar Tacke, die Filialen bleiben vor Ort. (Fotos: Andreas Wiedenhaus)

Über die Zukunft der Kirche wird nicht nur in der Theologie oder in Gremien nachgedacht. Auch „­normale“ oder gar ehemalige Katholiken machen sich Sorgen. Was können sie aufgrund ihrer Expertise in anderen Bereichen beitragen? Darum geht es in dieser Reihe. Heute: Sparkassenchef Dietmar Tacke. 

Herr Tacke, wie blicken Sie auf die Kirche, die nicht mehr Ihre Kirche ist?

Dietmar Tacke: Mit einem kritischen Blick, der aber nicht nur negativ ist. Vereinzelt bin ich auch dabei. Palmsonntag etwa war ich in Menden in einer Messe mit Musik aus der Johannes­passion, am Karfreitag bin ich die Kreuztracht dort mitgegangen. Das ist für mich eine starke Kombination von der Erinnerung an Christus und dem eigenen Reflektieren.

Aber Ihr Blick ist kritisch genug, sodass Sie inzwischen ausgetreten sind. 

Dietmar Tacke: Ganz genau. Vor dreieinhalb Jahren habe ich nach einer wirklich intensiven Zeit in der Kirche einen Schlussstrich gezogen, weil ich den Eindruck hatte, dass die Missbrauchsaufarbeitung so unzureichend ist, dass diese Kirche für mich keine Heimat mehr sein kann. Meine Frau ist allerdings noch dabei. Mit ihr diskutiere ich viel über die Themen der Kirche. 

Würden Sie trotzdem sagen, dass unsere Gesellschaft eine Institution wie die Kirche braucht?

Dietmar Tacke: Ja, das würde ich sagen, aber die Institution muss sich dramatisch ändern. Sie muss sich dem Glauben in der heutigen Zeit anpassen. Die Strategie der Vergangenheit, die alte Welt in die neue zu retten, ist nicht mehr zeitgemäß und da wäre eine nachhaltige Veränderung notwendig. Denken Sie nur an die Fragen: Wie organisiere ich Macht, wie das Topmanagement und wie die Finanzen? Auch die Tatsache, dass Frauen in der Kirche nur in Teilbereichen tätig sein können, ist zumindest in der westlichen Welt nicht mehr vermittelbar. 

Wie machen Sie es bei der Sparkasse, wie organisieren Sie Macht?

Dietmar Tacke: Relativ einfach: Wenn wir in Richtung Topmanagement gehen, durchlaufen wir verschiedene Stationen, wo wir für diese Führungsaufgaben ausgebildet werden. Und wir werden von einem Gremium gewählt, das uns dann auch laufend kontrolliert; das ist der Verwaltungsrat. Wir sind nicht allein, es gibt immer ein Vorstandsteam. Auch das ist wertvoll, weil in einem Team immer unterschiedliche Gesichtspunkte gewürdigt werden. Wir haben immer nur Fünf-Jahres-­Verträge, wobei die Möglichkeit der Wiederwahl nicht begrenzt ist. Und wir werden von den Wirtschaftsprüfern regelmäßig kontrolliert. Das scheint in Rom in den letzten Jahren nicht ganz so gut gelungen zu sein. Dieses alles muss zu umfassender Transparenz führen.

Und was ist mit den Frauen?

Dietmar Tacke: Wir haben in den Sparkassen deutlich mehr Frauen als Männer. In den Bereichsleitungen ist die Zahl der Frauen allerdings noch unterdurchschnittlich und im Topmanagement gibt es leider nur sehr vereinzelt Frauen. Ich erlebe seit vielen Jahren, dass Frauen die Qualifizierung fürs Topmanagement nicht so sehr anstreben. Da geht es um Gesamtbanksteuerung oder Regulatorik, die auch bei Frauen keine Begeisterung auslösen. Aber in den nächsten Jahren wird eine neue Generation von Frauen kommen, sodass wir versuchen werden, diese in entsprechende Positionen zu begleiten. 

Heißt das, für die Frauen, die jetzt da sind, gibt es keine Verwendung?

Dietmar Tacke: Doch, doch! Aber in den Gesprächen ist immer deutlich geworden, dass Frauen eher die Leitung in bestimmten Bereichen anstreben. Aber im Sparkassenverband Westfalen-­Lippe haben wir seit Jahren mit Prof. Dr. ­Liane Buchholz eine Frau an der Spitze.

Sie haben eingangs schon von notwendigen Veränderungen gesprochen. Auch die Sparkasse hat oder hatte doch lange das Image eines biederen, aber soliden Geldinstituts. Wie gehen Sie Veränderungen an? 

Dietmar Tacke: Ganz wichtig ist, zu erkennen, dass wir Kunden haben. Hat man das in der katholischen Kirche erkannt, dass man Kunden hat und in einem Wettbewerb steht? Die Sparkassen wissen das. Wir betreiben regelmäßig Marktforschung: Wie verändert sich das Kundenverhalten? Wir bilden Zielgruppen, also wir fragen uns: Wo setzen wir unsere Schwerpunkte, wo machen wir etwas Besonderes? Die hohe Kunst für das Management besteht darin, dieses in ein Kon­strukt zu bringen, um unternehmerisch erfolgreich zu sein. In den letzten Jahren war die Sparkasse sehr erfolgreich darin, die Änderungen der jungen Kundengruppe mitzugehen. Wir haben seit Jahren Deutschlands erfolgreichste Banking-­App, vielfach ausgezeichnet. Da scheint es uns gelungen zu sein, die jungen Leute, die ihre Bankgeschäfte über ihr Smartphone erledigen wollen, zu begleiten. Parallel kommt natürlich die Frage: Lässt man alle Geschäftsstellen auf? Wenn dort nur noch eine einzige Zielgruppe auftaucht und wenn man vor Ort der letzte ist, weil der Lebensmittelhändler, der Bäcker, der Metzger weg sind, muss man fragen: Ist es noch sinnvoll, dort zu sein? Wir haben uns dafür entschieden, Geldautomaten und Überweisungsterminals dort zu belassen und die Beratung zu zentralisieren. Rückblickend war das gut und erfolgreich, denn aktuell wächst wieder unsere Kundenanzahl.

Das ist die Sicht der Sparkasse. Aber ist es nicht für die mutmaßlich ältere Kundschaft in den entlegenen Stadtvierteln oder Dörfern ein Problem?

Dietmar Tacke: Die Erfahrung ist eine andere. Wir haben einmal in einem kleinen Lebensmittelgeschäft ein solches Terminal aufgestellt, sodass die Kunden dort ihr Geld abholen konnten. Da kamen monatlich maximal vier, fünf Leute. Unsere Filialen müssen dort sein, wo die Nahversorgung ist, also wo die Menschen ihr Geld brauchen und denken Sie an die bargeldlose Bezahlung. 

Kirche entwickelt sich ja auch ähnlich, aber mit dem Effekt, dass viele Leute wegbleiben. Woran liegt es, dass die Sparkassen das nicht erleben – vielleicht daran, dass Sie ein Angebot machen, das man im alltäglichen Leben braucht? 

Dietmar Tacke: Wir haben unsere Kunden bei diesem Veränderungsweg früh und konsequent begleitet. Daher haben wir den vermeintlichen Kulturschock der älteren Kundschaft – „Jetzt muss ich an den Automaten!“ – hier so nicht erlebt. Genauso betreuen wir sie jetzt, wenn sie digital mit uns kommunizieren möchten. 

Aber als wir zu Ihnen ins Haus gekommen sind, standen im Eingangsbereich zwei lange Schlangen nicht am Geldautomaten an, sondern bei Ihren Service-­Mitarbeiterinnen. Vertraut man richtigen Menschen nicht doch noch mehr?

Dietmar Tacke: Das hat sicher mit Vertrauen zu tun, aber auch mit Gewohnheit. Außerdem sind jetzt Ferien, da nutzen viele die Zeit, um ihre Finanzangelegenheiten zu erledigen. Aber die stationäre Kundenfrequenz ist signifikant zurückgegangen, die digitalen Kontakte dagegen deutlich gestiegen. Die Menschen schauen fast jeden Tag in ihre Sparkassen-­App. Die meisten unserer Kunden sind heute ­hybride Kunden, die digital und in Präsenz mit uns arbeiten. 

Sparkassenfussionen finden eher im Backoffice-Bereich statt, sagt Dietmar Tacke, die Filialen bleiben vor Ort. (Fotos: Andreas Wiedenhaus)
Sparkassenfussionen finden eher im Backoffice-Bereich statt, sagt Dietmar Tacke, die Filialen bleiben vor Ort. (Fotos: Andreas Wiedenhaus)

Dennoch: Wie wichtig ist das, was man in der Kirche „personales Angebot“ nennt?

Dietmar Tacke: Wir müssen differenzieren zwischen Service und Beratung. Letztere ist das wichtigere, also wenn ein Kunde z. B. Geld anlegen möchte. Da setzen wir auf Qualitätsberatung. Wir haben sehr viel in Weiterbildung investiert, um unsere Mitarbeitenden zu qualifizieren. Es gibt immer wieder Testkäufe, um zu prüfen, ob wir die Qualität erreichen, die wir uns vorgenommen haben. Das machen nicht alle Banken, aber ich glaube, nur über nachgewiesene Qualität kann man sich in der Zukunft definieren. 

Das Vertrauen der Kunden ist für Banken existenziell. Wie schaffen Sie Vertrauen in der digitalen Welt, wem vertraut man da?

Dietmar Tacke: Da müssen Sie vermutlich jüngere Leute fragen. Ich komme noch aus einer Welt, in der Kundennähe und langjährige Beziehungen zu Kunden wichtig waren. Ich kann mich erinnern, dass während meiner Ausbildung Kunden darauf bestanden, von einem bestimmten Mitarbeiter beraten zu werden. Wenn der nicht da war, sind sie wieder gegangen, obwohl wir genauso gut hätten beraten können. Und heute ist diese persönliche Bindung bei der Beratung, weniger im Service, ein Pfund, mit dem man agieren kann. Auch Kontinuität ist wichtig, also dass wir weiterhin vor Ort präsent sind. Wenn es ganz schlimm kommt, kann sich ein Kunde den Vorstand „packen“. Das ist bei Großbanken nahezu unmöglich. Bei Fusionsprozessen erleben wir, dass sich Kommunen sehr schwertun, den Vorstandssitz abzugeben, weil man lieber einen Ansprechpartner vor Ort haben möchte. Vertrauen hat also schon mit Nähe zu tun. 

Warum fusionieren Sparkassen überhaupt?

Dietmar Tacke: Weil die Regulatorik einen „platt“ macht. Die Gesetze und Regelungen, die uns die EZB oder der Gesetzgeber aufgeben, werden immer komplexer. Die europäischen Regulatoren kennen das deutsche Modell der Sparkassen und Volksbanken nicht. In den meisten Ländern gibt es drei, vier Großbanken und dann lange nichts mehr. In Deutschland ist es genau umgekehrt: Im Privatkundenbereich sind die Sparkassen und Volksbanken führend. Fusionen führen übrigens nicht dazu, dass wir uns aus der Fläche zurückziehen. Sie finden eher im Backoffice-­Bereich statt. Die Kundenwelt bleibt unverändert. 

Könnte das auch ein Modell für die Kirche sein: Präsenz vor Ort, Fusion im Backoffice?

Dietmar Tacke: Ich glaube nicht, denn die Kirche hat ja ein anderes, nämlich ein personelles Problem. Die Anzahl der Priesteranwärter nähert sich dem Nullpunkt. Die Sparkassen sind da im Rekruting erfolgreicher unterwegs. Fakt ist ja auch: Die Anzahl der Kirchgänger ist ernüchternd. Da muss man sich durchaus fragen: Ist das noch das Format, das wir brauchen? Ich bin überrascht, wie gut die Liveübertragungen aus den Gottesdiensten während der Corona-­Zeit angenommen worden sind, aber das könnte jetzt ein Problem werden, wenn die Leute weiterhin zu Hause bleiben. Da stellt sich die Frage: Wie stellt man da die Nähe wieder her, wie kommt man wieder in Kontakt?

Als Sparkasse könnte Ihre Antwort lauten: Wir schaffen ein Angebot, das die Leute wirklich brauchen.

Dietmar Tacke: Anders: Wir decken einen Bedarf, den die Leute haben. Das ist die Aufgabe der Marktforschung. Die Marktforscher ­fragen nach den Bedürfnissen der Kunden und wir versuchen, unsere Produkt- und Dienstleistungswelt darauf zu fokussieren. Sparkassen und Volksbanken sind ja Verbundorganisationen. Sie haben vor Ort ­eigenständige Vorstände und zusätzlich Verbände. Bei einem Konzern gibt es oben die Spitze, die entscheidet, und dann wird das eins zu eins im ganzen Unternehmen umgesetzt. Das ist bei uns nicht so. Bei uns überlegt jede Sparkasse, was sie neu entwickeln kann. Und wenn etwas erfolgreich war, übernehmen andere Sparkassen diese Strategien. Eine solche Systematik ist in der katholischen Kirche nicht vorgesehen. Aus Rom kommt alles und das regionale Management, wenn ich die Bischöfe mal so bezeichnen darf, sind die Umsetzer. So kommt natürlich keine Individualität auf und man kann auf Erkenntnisse der Marktforschung nicht reagieren. Bei der Sparkasse gibt es manchmal in ausgewählten Filialen Pilotprojekte. Es wird etwas ausprobiert und bei Erfolg von anderen übernommen. Das wäre für mich bedeutsam, um näher an die Bedürfnisse der Gläubigen heranzukommen: Was wollen die, was bewegt die, was begeistert die?

Was denken Sie über den Syno­dalen Weg?

Dietmar Tacke: Da sind im Vorfeld die Bedürfnisse der Gläubigen, der Bischöfe und Roms miteinander vermischt worden und dann gab es einen Kompromiss, mit dem viele Gläubige unzufrieden waren. Und dann kommt aus Rom die „Klatsche“: Ist nicht vorgesehen und damit sind alle Überlegungen hinüber. Das ist das Gegenteil von Kunden- oder Gläubigen-­Orientierung. Im Ergebnis ist man z.­T. auf dem Stand der Würzburger Syno­de von vor 50 Jahren. Aber wir sind uns doch einig, dass in den letzten 50 Jahren bei den Gläubigen eine Weiterentwicklung erkennbar ist – um es mal vorsichtig zu sagen. 

Wie organisieren Sie bei der Sparkasse Veränderungen?

Dietmar Tacke: Aktuell befassen wir – also die Sparkasse Hemer-­Menden – uns mit dem Thema Arbeitgeber­attraktivität. Wir müssen uns nach innen optimieren, damit wir nach außen agieren können. Parallel kommt vom Sparkassenverband ein ähnliches Projekt. Das lassen wir im Herbst bei uns einfließen und dann haben wir im vierten Quartal das fertige Konzept: von uns erarbeitet, mit Inhalten aus der überregionalen Ebene angereichert. Wichtig ist, dass der Vorstand auch mitmacht. Das könnte man ja auch auf die Kirche übertragen: Ein neuer Erzbischof für Paderborn müsste signalisieren, dass er die Veränderungsprozesse ­mitmachen will. Aber womöglich hat er dann das Pro­blem, dass der „Draht aus Rom“ schnell glüht. 

Sie haben jetzt mehrfach den Verband genannt. Was ist dessen Aufgabe?

Dietmar Tacke: Der Verband koordiniert viele fachliche Dinge, er bereitet etwa die Fragen der Regulatorik auf und gibt uns dann Empfehlungen. Zweitens prüft er uns jedes Jahr. Und drittens bietet er über die Sparkassenakademie in Dortmund Weiterbildung an.

Könnte man diese Arbeitsweise Subsidiaritätsprinzip nennen?

Dietmar Tacke: Ja, das ist so. 

Das hat ja mal die Kirche erfunden. 

Dietmar Tacke: Lebt sie es denn? Die Sparkassen und Volksbanken leben es seit 100 Jahren sehr erfolgreich. Wir wachsen damit im Augenblick sogar. Die Kirche wäre schon froh, wenn sich Austrittszahlen reduzieren würden. Man könnte mal fragen: Welche Ziele hat die Kirche? Wir in der Sparkasse definieren operative und strategische Ziele und brechen die dann auf die Jahre herunter. Im Erzbistum Paderborn gibt es einen Zukunftsprozess, den ich mir angeschaut habe. Mir fehlte da das Konkrete. Es sind jede Menge gute Aussagen darin, aber wenig, was messbar ist, ob bzw. womit man nun erfolgreich unterwegs ist. 

Was verbindet Sie mit der Sparkasse Hamburg oder München oder Paderborn?

Dietmar Tacke: Dass wir eine große Sparkassenfamilie sind, aber sonst relativ wenig. Wir sind regional aufgestellt, auch mit unserem Benchmark-­Prinzip. Wenn wir sehen, dass eine Sparkasse mit etwas Erfolg hat, tausche ich mich auf Vorstandsebene mit den Kollegen aus. Wenn das für uns passt, versuchen wir es bei uns einzuführen. Die Mitarbeitenden akzeptieren diesen Weg eher, als wenn eine externe Unternehmensberatung kommt und Vorschläge macht. 

Beim kirchlichen Nachdenken über die Zukunft ist oft Ökumene ein Thema, etwa die gemeinsame Nutzung von Gebäuden. Gibt es so etwas in Ihrem Bereich auch, eine Art Bankenökumene mit der Volksbank?

Dietmar Tacke: Ja, die gibt es zunehmend! Konkret vor Ort reden wir heute sehr wohl mit den Genossenschaftsbanken. Es gibt zum Beispiel gemeinsame Geldautomatenstandorte. Wir werden das auch zeitnah etablieren, sobald die EDV dahinter standardisiert ist. Das Ziel ist, dass ein Geldautomat in einer Volksbankfiliale sofort in den Sparkassenmodus springt, wenn jemand mit einer Sparkassenkarte kommt – und umgekehrt. 

Zum Schluss noch mal zu Ihrem Kirchenaustritt. Gibt es für Sie eine Art grüne Linie, an der Sie wieder eintreten würden?

Dietmar Tacke: Die Frage habe ich mir schon oft gestellt: Was muss passieren, damit ich wieder zurückfinde? Das Kernproblem sehe ich in Rom. In der „Konzernspitze“ findet man eine sehr betagte Crew vor, die wenig Bereitschaft zu Veränderungen zulässt. Und solange sich die deutsche Kirche oder das Paderborner Erzbistum da nicht freischwimmt, ist es schwierig. Das wäre für mich eine wesentliche Bedingung, dass man sich in Deutschland oder in Paderborn neu ausrichtet und mehr auf die Menschen eingeht. Man müsste auch bereit sein, jahrhundertealtes Denken abzulegen und sich zu fragen: In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Dieses Standesdenken und die eigene Rechtsprechung müssten eingesammelt werden. Man müsste ein Top­management haben, das zeitgemäß agiert, was kon­trolliert wird und das die Gläubigen aktuell mitnimmt und begeistern kann. 

Aber das wäre dann nicht mehr die katholische Kirche. 

Dietmar Tacke: Es wäre nicht mehr die römisch-­katholische Kirche, sondern vielleicht eine deutsche katholische Kirche. 

Ups, die will ja gerade niemand! 

Dietmar Tacke: Aber Sie haben mich nach einer grünen Linie gefragt und das wäre sie. Ich wünsche mir eine ­Kirche, in der ich mit den anderen Gläubigen etwas bewegen kann.

Könnten die evangelische oder die alt-­katholische Kirche eine Alternative sein?

Dietmar Tacke: Beide habe ich mir angesehen, aber nicht in Erwägung gezogen. Bei den Alt-­Katholiken spricht die räumliche Entfernung dagegen und zu den Evangelischen habe ich per se einen guten Kontakt. Die evangelische Kirche hat ja auch massiv mit Austritten zu kämpfen. Die Gemengelage ist für beide Kirchen schwierig. Einmal die zunehmende ­Individualisierung der Gesellschaft und dann der Missbrauchs­skandal. Das ist für das Topmanagement kein leichtes Unterfangen.

Was hat Ihre Frau zu Ihrem ­Kirchenaustritt gesagt?

Dietmar Tacke: Das waren sehr intensive Diskussionen mit ihr. Sie hatte schon länger die Sorge, dass ich irgendwann austrete. Aber in der Missbrauchsdebatte 2019 konnte sie nachvollziehen, dass für mich der Punkt erreicht war. Aber den ökumenischen Kirchentag in Osnabrück Mitte Juni haben wir uns beide vorgemerkt.

Mit Dietmar Tacke sprachen Claudia Auffenberg und Andreas Wiedenhaus

Zur Person
Dietmar Tacke (59) hat sein gesamtes berufliches Leben in der Sparkassenorganisation verbracht. Seit 1999 gehört er dem Vorstand der Sparkasse Hemer an, seit 2008 ist er dessen Vorsitzender. Geboren und katholisch sozialisiert wurde er im Münsterland, wo er sich in seiner Pfarrei ehrenamtlich engagierte. Auch nach seinem berufsbedingten Wechsel in den Märkischen Kreis engagierte er sich in der Gemeinde, 2019 ist er aus der katholischen Kirche ausgetreten. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Söhne.

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