Wozu sind Sie da, Xenia Nickel?

Die Jüdische Kultusgemeinde Paderborn ist eine kleine Gemeinde, die oft nicht wahrgenommen wird. Das Mahnmal am Standort der Alten Syna­goge kennen zwar sehr viele Paderborne­rinnen und Paderborner, doch dass es im Stadtzentrum eine Syna­goge gibt, das weiß die große Mehrheit nicht. Als Vorsitzende der Kultusgemeinde möchte ich das ändern. Ich möchte dazu beitragen, dass unsere Gemeinde mit ihren derzeit 70 Mitgliedern größer wird und dass in einigen Jahren mindestens jeder zweite Paderborner weiß, dass es hier eine Syna­goge gibt.

Doch damit sich die Menschen für uns inte­ressieren, müssen wir uns als Gemeinde weiter öffnen. Wenn Türen verschlossen sind, wirkt das eingebildet und arrogant. Es erweckt den Anschein, als wollten wir allein bleiben und niemanden hereinlassen. So etwas ist nicht schön und darf nicht sein. Als Vorsitzende, die die Gemeinde nach außen repräsentiert, möchte ich eine neue Willkommenskultur prägen, sodass sich alle Menschen – egal, woher sie stammen oder welchen Glauben sie haben – eingeladen fühlen uns zu besuchen, um unsere Gemeinde und unsere Kultur kennenzulernen. Die Synagoge ist ein Gotteshaus, das jedem offenstehen soll.

Erste kleine Schritte haben wir bereits gemacht und das Interesse an uns wird größer. Wöchentlich besuchen uns zwei bis drei Schulklassen, die im Rahmen des Religions- oder Geschichtsunterrichtes mehr über den jüdischen Glauben und seine Geschichte erfahren möchten. Auch Politiker und Verbände kommen mit Interesse zu uns – und immer häufiger auch Interessierte, die einen Schabbatgottesdienst erleben möchten. Das stimmt mich hoffnungsvoll für die Zukunft.

Xenia Nickel: „Jeder sollte zu seinem Glauben stehen dürfen.“

Doch zuvor gibt es noch viel zu tun. Als ich diese Funktion übernommen habe, wusste ich, dass es nicht einfach werden wird. Und auch jetzt gebe ich mich keinen Illusionen hin. Ich stehe mehr in der Öffentlichkeit, die Erwartungen an mich sind größer geworden und natürlich auch mein Bekanntheitsgrad. Anders lässt es sich nicht erklären, dass ich auch Drohbriefe erhalten habe. Das ist nicht schön, aber ich bin kein ängstlicher Mensch. Ich lasse mir von niemandem die Freude an meinem Glauben nehmen, denn die Religion ist meine Leidenschaft. Und ich weigere mich, Unterschiede zu machen zwischen Moslems, Christen oder Juden. Wir alle sind Menschen, egal, welchen Glauben wir leben. Nur ein Beispiel: Meine Mutter ist Jüdin, mein Vater ist russisch-­orthodox, mein Mann ist Katholik und mein Schwager ist Moslem. Wir alle sind gleich. Und wir alle feiern gemeinsam Weihnachten.

Jeder sollte zu seinem Glauben stehen dürfen. Ich jedenfalls schäme mich nicht für meinen Glauben, doch hin und wieder habe ich das Gefühl, als würden sich andere dafür schämen, dass ich eine Jüdin bin. Sie schauen verlegen auf den Boden oder nach links und rechts. Für meine Kinder wünsche ich mir: wenn sie in zehn Jahren zu jemandem sagen, dass sie Juden sind, dass diese Person nicht verlegen auf den Boden sieht, sondern lächelt und sagt: „Du bist Jude, cool.“

Xenia Nickel

Zur Person Xenia Nickel

Xenia Nickel (42) stammt gebürtig aus der Ukrai­ne. Mit 18 Jahren ist sie mit ihren Eltern nach Deutschland gezogen. Sie arbeitet im Büro des Paderborner Landrates und unterrichtet derzeit geflohene ukrai­nische Kinder in der Realschule in der Paderborner Südstadt.

Aufgezeichnet und fotografiert von Patrick Kleibold

Unsere Reihe Menschen im Erzbistum

Wozu bist du da, Kirche von Paderborn? Diese Frage stellte der emeritierte Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker dem Zukunftsbild voran, auf dessen Basis das Erzbistum entwickelt wird. Wozu bist du da? Diese Frage kann sich auch jeder Einzelne stellen. Denn die Grundannahme des Zukunftsbildes ist eine biblische, dass nämlich jeder Mensch berufen ist, dass jede und jeder das eigene Leben als von Gott angenommen betrachten darf, dass es einen Sinn dieses Lebens gibt. Die Aufgabe des Menschen besteht darin, die Frage für sich zu beantworten.

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