21.12.2022

Der gerettete Erlöser

„Triegel trifft Cranach““heißt das Kunstprojekt, das seither für Diskussionen sorgt. 1519 hatte Lucas Cranach d. Ä. einen Flügelaltar für den Westchor des Naumburger Doms geschaffen, dessen Mittelteil 1541 zerstört wurde. Seit diesem Sommer ist in der Mitte ein Werk des Malers Michael Triegel zu sehen. Nun gibt es Streit, ob der Dom dadurch seinen Weltkultur­erbe-Status verlieren könnte. Die Naumburger schicken das Werk daher erst einmal auf Reisen. Ab diesem Wochenende wird es im Paderborner Diözesanmuseum zu sehen sein. Mehr dazu in der nächsten Ausgabe.

In diesem Jahr ist die Menschheit besonders in Not. Doch wer kann sie retten – wir selbst, wir allein? Der christliche Glaube sagt etwas anderes. Im Advent stellen uns Theologinnen und Theologen fünf biblische Beispiele vor.

„Christ, der Retter ist da.“ Diese Worte werden Jesus schon an der Wiege gesungen: vom Engel in Mt 1,21 und an Weihnachten von uns. Aber wie kann ein Baby ein Retter sein? Das Matthäusevangelium spitzt es noch zu. Das Neugeborene wird sofort von den Machthabern verfolgt, weil es als Bedrohung angesehen wird. Der entsetzliche Kindermord in Bethlehem zeigt, wozu Herrschergestalten imstande sind, die meinen, ihre Macht sichern zu müssen und dabei über Leichen gehen. Und Jesus? Er ist vom Tod bedroht wie alle anderen Kinder. Der Himmel greift ein. Der Mann Mariens erhält den Auftrag, sein Stiefkind und dessen Mutter nach Ägypten in Sicherheit zu bringen. Das ist mehr als eine Fluchtbewegung.

Sowohl Jesus als auch Moses mussten zuerst selbst gerettet werden

Der kleine Jesus wird damit in die Rolle des Mose hineingenommen: Die große Anführergestalt, der von Gott auserwählte Mensch, der sein Volk aus der Fremdherrschaft und Sklaverei in die Freiheit führen sollte, musste zuerst selbst gerettet werden. In keiner Kinderbibel fehlt die anrührende Szene, wo Mose von seiner Mutter in ein Binsenkörbchen gelegt und im Schilf des Nils versteckt wird, um nicht mit den anderen Erstgeborenen zusammen getötet zu werden, wie der Pharao es angeordnet hat (Ex 2,3). Was bedeutete es für Mose, dass diese Ereignisse am Anfang seines Lebens stehen?

Die Geburtsgeschichte eines Menschen geht sein ganzes Leben mit ihm mit und prägt es zutiefst, wie wir es beispielsweise anhand der Generationen wissen, die (früher – und heute wieder) im Krieg geboren wurden. Was bedeutet es, wenn ein Leben sofort nach der Geburt vom Tod bedroht wird? Und wenn die Eltern es wunderbarerweise schaffen, es zu retten? Dann werden sowohl Bedrohung als auch Rettung das ganze Leben begleiten. 

Mose, der gerettet wurde, wird zum Zeugen der Rettung

Bei Mose ist noch eine weitere Wahrheit in dieser Dimension seines Lebens enthalten. Er wird später am brennenden Dornbusch von Gott berufen werden, das Volk aus der Todeswelt Ägypten herauszuführen. Zuvor aber hatte er als junger Mann beobachtet, wie ein ägyptischer Aufseher einen Sklavenarbeiter, einen Bruder!, schlug. Mose schaut sich um und erschlägt den Ägypter (Ex 2,11). Aus gutem Willen ist er selbst zum Mörder geworden. Diese Form von Gegengewalt funktioniert nicht, um die Sklaverei des ganzen Volkes zu beenden. Gott hat andere Pläne. Er befreit wirklich sein Volk von der Gewaltherrschaft, und Mose spielt dabei eine entscheidende Rolle, aber anders, als er es früher angezielt hatte. Am Schilfmeer ist er nicht mehr Macher, sondern Botschafter: „Bleibt stehen! Und seht die Rettung des Herrn – wie er euch heute rettet!“ (Ex 14,13). Mose, der gerettet wurde, wird zum Zeugen der Rettung. 

Als Geretteter leben. Diese Mose-Linie setzt sich in Jesus fort. Er zeigt seinen Jüngern, dass es zuerst darum geht, sich selbst retten lassen zu können, wie sie es bei der Stillung des Seesturms erleben (Mt 8,25f.). Anschließend fragen sie sich: „Wer ist denn dieser?“ Sie sagen hier nicht: „Christ, der Retter ist da.“ Anscheinend geht es (noch) nicht um das Bekenntnis, um die richtigen Worte. Vielmehr muss man noch herausfinden, was Rettung bedeutet, wer und was in Jesus aufscheint und welche Konsequenzen das haben wird, jenseits von Worten. 

Wichtig ist zu wissen, dass „retten“, „helfen“, „erlösen“ und auch „heilen“ als Worte gleichermaßen zur Übersetzung des einen Wortes im griechischen und auch hebräischen Urtext taugen. 

„Wer sein Leben erlösen/retten will, wird es verlieren“ (Mt 18,25)

Jesus rettet, indem er den Menschen ihre Rettungskräfte zuspricht. Wie er zu der blutflüssigen Frau sagt: „Dein Vertrauen hat dich erlöst“ (Mt 9,22). Die letzte Konsequenz in der Nachfolge führt dann aber in eine andere Richtung: „Wer sein Leben erlösen/retten will, wird es verlieren“ (Mt 18,25). Jesus durchleidet es am eigenen Leibe: Als er am Kreuz hängt, sehen die Menschen für ihn nur einen Ausweg: „Wenn du Gottes Sohn bist – rette dich selbst.“ Und als er in den Todeskampf eintritt, dann bleibt in ihrer Sicht als Fazit über sein ganzes Leben: „Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten.“ Und schließlich fällt ihnen ein: „Wir wollen sehen, ob Elija ihn rettet.“ Das ist das letzte Wort zum Thema „Retten“ im Matthäusevangelium. Und Jesus stirbt mit einem lauten Schrei. Die Rettung führt nicht am Tod vorbei. Ostern öffnet Dimensionen, die vorher unvorstellbar waren. Jesus wird gerettet.

Alles, was wir selbst tun und beitragen können, hängt von diesem einen Punkt ab: ob wir uns als Gerettete begreifen.

Sind wir noch zu retten? Ja.

Egbert Ballhorn Professor für Exegese und Theologie des Alten Testaments – TU Dortmund und Vorsitzender des Katholischen Bibelwerk e. V.

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