„Richtungsweisender Beschluss“ – Rüdiger Althaus im Interview

Im Interview mit dem Dom: Prof. Dr. Rüdiger Althaus (61) ist Kirchenrechtler an der Theologischen Fakultät in Paderborn und zugleich Mitglied im Domkapitel. Weiterhin ist er Mitglied im Synodalforum „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“, das den Beschluss vorbereitet hat. Der Synodalversammlung gehört er allerdings nicht an. (Foto: Patrick Kleibold)

Die Zustimmung war groß, als die Synodalversammlung Anfang Februar beschloss, künftig ­Gläubige an der Bischofsbestellung zu beteiligen. Doch langsam macht sich Ernüchterung breit: Die Sache scheint komplizierter als gedacht. Ein Gespräch mit dem Paderborner Kirchenrechtler Rüdiger Althaus.

Herr Prof. Althaus, war der Beschluss der Synodalversammlung, Gläubige an der Bestellung eines Bischofs zu beteiligen, ­naiv, raffiniert oder scheinheilig?

Rüdiger Althaus: „Der Beschluss war ja nicht spontan, sondern geht letztlich auf die Frage zurück: Was sind die Konsequenzen, wenn das II. Vaticanum in der Kirchenkonstitution Lumen Gentium sagt, alle Getauften bilden das Volk Gottes. Ausgehend davon haben schon in den späten 1960er- und 1970er-­Jahren eine Reihe Publikationen deutlich gemacht, die Ernennung eines Bischofs allein „von oben“ gehe nicht, sondern es müsse eine wie auch immer geartete Beteiligung des Volkes Gottes geben. Die Publikationen hatten allerdings insbesondere eine freie Ernennung durch den Papst vor Augen, weniger, dass es in Deutschland gerade mit dem badischen und dem preußischen Konkordat Sonderregelungen gibt. Übrigens hat auch Joseph Ratzinger damals sehr pointiert darauf hingewiesen, ein Bischof könne nicht allein „von oben“, aber auch nicht nur „von unten“ bestellt werden.“

Und warum ist dieser Gedanke noch nicht umgesetzt?

Rüdiger Althaus: „Dieser Ansatz wurde zwar von der Würzburger Synode aufgegriffen, stand aber nie groß im Bewusstsein. Allerdings haben sehr wohl verschiedene Domkapitel bei den diözesanen Räten nachgefragt, welches Profil ein neuer Bischof haben soll und zum Teil auch nach konkreten Namen. Beispielsweise war das in Paderborn 1973 und 2002 der Fall.“

Hatten diese Befragungen Einfluss auf das Ergebnis?

Rüdiger Althaus: „Das vermag ich nicht zu sagen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man sich davon völlig unbeeindruckt gezeigt hat. Wa­rum sollte man sonst im Vorfeld fragen? Man hätte sich ja ganz formal darauf berufen können, dass dies Sache des Domkapitels ist.“

Aber dennoch ist die Theologie des Konzils vom Volk Gottes an dieser Stelle bislang nicht institutionalisiert worden. Warum nicht? Möchte Rom das nicht aus der Hand geben?

Rüdiger Althaus: „Offiziell hat Rom sich dazu bislang nicht geäußert, aber es wird immer mal wieder erzählt, dass manchmal im Nachhinein der Hinweis gekommen sei, die Befragung anderer Gläubiger sei nicht statthaft gewesen, aber da war ja schon alles gelaufen. Allerdings ist aus Deutschland auch nie öffentlich die Initiative ergriffen worden, eine solche Beteiligung förmlich zu institutionalisieren.“

Durch die Synodalversammlung gibt es diese Initiative jetzt.

Rüdiger Althaus: „Richtig, es war der erste Beschluss auf dem Synodalen Weg, und er ist mit einer guten Mehrheit, auch der Bischöfe, durchgegangen. Dieser Beschluss hat natürlich eine starke symbolische Wirkung, denn der Bischof steht ja vom theologischen Verständnis und der gesellschaftlichen Repräsen­tanz her für eine Diözese und damit einen Teil des Volkes Gottes.“

Rüdiger Althaus
Rüdiger Althaus (Foto: Patrick Kleibold)

Trotzdem gibt es nun Probleme, daher noch mal die Eingangs­frage: War das ­naiv, raffiniert oder scheinheilig?

Rüdiger Althaus: „Nichts davon! Die Schwierigkeit besteht darin, dass in Deutschland aufgrund der Konkordate unterschiedliche Regelungen zu beachten sind. Grob gesagt: In Bayern gibt es eine mehr oder weniger freie Ernennung durch Rom aufgrund von Kandidatenvorschlägen bayerischer Bischöfe und Domkapitel, während im Geltungsbereich von Baden- und Preußenkonkordat eine Wahl vorgesehen ist: Das Domkapitel und auch die Bischöfe des ehemaligen preußischen Rechtsbereichs reichen bei einer Vakanz Vorschlagslisten in Rom ein – es liegen dort also etliche Listen Rom vor – und „unter Würdigung“ dieser benennt der Heilige Stuhl dem Domkapitel drei Kandidaten zur Wahl.“

Nach dem Beschluss der Syno­dalversammlung sollen die Gläubigen an der Erstellung einer solchen Liste mitwirken. Wenn schon so viele in Rom vorliegen und Rom sich nicht einmal verbindlich daran halten muss, ist das dann nicht eine Pseudomitwirkung?

Rüdiger Althaus: „Es sollen jeweils so viele weitere Gläubige sein, wie das Domkapitel Mitglieder hat. Allerdings dürften diese Vorschläge zumeist aus dem Blickwinkel der Diözesen kommen, aber nicht unbedingt überdiözesane Belange einbeziehen. Aber es müssen die verschiedenen Aspekte einfließen. – Es ist übrigens nicht daran gedacht gewesen, die Wahl zu einer „Volksabstimmung“ zu machen. Viele Gläubige kennen die Kandidaten kaum oder gar nicht, und das Ganze könnte möglicherweise – wie mitunter im politischen Bereich – zu einer starken Polarisierung führen und Personen beschädigen.“

Ist das nicht eine sehr negative Sicht auf bewährte demokratische Verfahren?

Rüdiger Althaus: „Wenn ich mir einzelne parteipolitische Wahlkämpfe anschaue, ist diese Sorge nicht ganz von der Hand zu weisen. Aus negativen historischen Erfahrungen wird z. B. der Bundespräsident auch nicht direkt vom Volk, sondern von einer besonderen Versammlung gewählt.“

Aber im Ergebnis bringt ein solches Verfahren nicht unbedingt die Schlechteren ins Amt.

Rüdiger Althaus: „Ein solches Verfahren bedürfte einer weitergehenden theologischen Reflexion und ginge über den Synodalbeschluss hinaus. Zudem würde es eine grundsätzliche Anfrage auch an das Konkordat stellen. Verhandlungen darüber aber würden bedeuten, dass alle Fragen, die das Verhältnis Staat – Kirche betreffen, auf den Prüfstand kämen, und in der heutigen gesellschaftlichen und politischen Situation weiß man nie, wie das ausgeht. Zudem stünde dann die „Bischofswahl“ eventuell grundsätzlich zur Disposition, weil sie nur im deutschen Sprachraum anzutreffen ist.“

Welche Rolle gibt das Konkordat dem Domkapitel bei der Bestellung eines Bischofs?

Rüdiger Althaus: „Das Domkapitel ist das agierende Gremium. Wie auch immer andere beteiligt werden: Es kommt formal letztlich auf den Beschluss des Domkapitels an. Das bedeutet aber nicht, dass das, was die anderen Vertreter der Gläubigen sagen, völlig belanglos ist.“

Sehen Sie denn als Kirchenrechtler überhaupt die Möglichkeit, dass diese Gläubigen qualifiziert an einem solchen Verfahren mitwirken können?

Rüdiger Althaus: „Die sehe ich schon. Wenn man Synodalität und Beratung in der Kirche ernst nimmt – und die Kirche als Ganze ist ja Or­gan des Heiligen Geistes –, dann müssen die, die nach Beratung fragen, den erbetenen Rat auch annehmen und ernsthaft bedenken. Es wäre auch denkbar, dass die Gläubigen mit abstimmen, doch muss aufgrund des Konkordates bei einer Mehrheitsentscheidung aller die Mehrheit des Domkapitels gesichert sein.“

Aber damit bleibt doch die Abstimmung der Gläubigen rein symbolisch.

Rüdiger Althaus: „Wenn die Gläubigen sagen: „Den wollen wir nicht“, wird es für das Domkapitel schwierig, ein solches Votum zu überstimmen. Daher sollte ein solcher Konfliktfall vorab geregelt werden.“

In den ganzen Diskussionen ist immer vom Päpstlichen Geheimnis die Rede, überhaupt taucht das Wort geheim sehr oft auf. Warum ist das alles so geheim?

Rüdiger Althaus: „Letztlich geht es darum, dass Personen nicht beschädigt werden sollen.“

Wodurch könnte eine Person beschädigt werden?

Rüdiger Althaus: „Etwa, wenn jemand schon mal nicht als der für eine bestimmte Diözese beste Kandidat gewählt wurde, kann er in der öffentlichen Wahrnehmung schnell allgemein als ungeeignet empfunden werden.“

Gibt es irgendwo auf der Welt ein Bistum, in dem die Gläubigen den neuen Bischof mitbestimmen können?

Rüdiger Althaus: „Nach meiner Kenntnis heute nicht. – Übrigens ist das gültige Preußenkonkordat eine Engführung der vorherigen Regelung. Im 19. Jahrhundert hat das Domkapitel die Kandidaten selbst ausgesucht und dann aus der eigenen Liste gewählt. Rom hat die Wahl nach Prüfung lediglich bestätigt. Und ich kann mir gut vorstellen, dass das Kapitel im Vorfeld Erkundigungen – auch bei Gläubigen – eingeholt hat. Allerdings hatte die weltliche Autorität eine starke Stellung: Der Gewählte brauchte die Bestätigung des Königs. Bei den Wahlen war ein Wahlkommissar des Königs anwesend, und der sagte mitunter deutlich, wen der König bestätigen wird und wen nicht. Das war sicher auch nicht vorteilhaft.“

In Paderborn wird die Frage nach der Mitwirkung der Gläubigen jetzt akut. Sie ausdrücklich als Kirchenrechtler gefragt: Glauben Sie, dass es trotz aller Hürden gelingen wird?

Rüdiger Althaus: „Es ist angedacht und initiiert, dass Gläubige einbezogen werden. Wenn man so etwas anstößt, hält man das Ganze nicht für belanglos. Denn wa­rum macht man sich sonst diesen Stress? Man hätte sich auf den rein formalen Standpunkt zurückziehen können: Es gibt noch keinen Synodalen Rat und auch noch keine vom Sy­nodalen Weg geplante Musterordnung. So hätte man sagen können: „Wir brauchen noch nicht zu handeln, weil die rechtlichen Vorgaben fehlen.“ Der Beschluss des Synodalen Weges empfiehlt ja nur ein solches Vorgehen, und wenn ein Domkapitel signalisiert, diese Empfehlung anzunehmen, bedeutet das doch ein Ernstnehmen. Paderborn ist wahrscheinlich die erste Diözese, die einen neuen Bischof sucht. Danach kommen mit Rottenburg-­Stuttgart, Magdeburg und Münster weitere. Es wird wichtig sein, die Erfahrungen zusammenzubringen, neudeutsch: zu evaluieren, und zu fragen: Was hat funktioniert, was hat nicht gut oder gar nicht funktioniert?“

In der Berichterstattung über den Beschluss und die Fragen werden Sie genannt als jemand, der bei der Lösung helfen könnte. Welche Rolle spielen Sie hinter den Kulissen?

Rüdiger Althaus: „Na, irgendein Schlaufuchs hat wohl herausgefunden, dass ich nicht nur Kirchenrechtler, sondern auch Mitglied im Dom­kapitel bin.“

Sind Sie im Kontakt mit Rom?

Rüdiger Althaus: „Unmittelbar nicht. Aber ich gehe davon aus, dass ein Aufsatz von mir zu dem Thema, der demnächst in der Zeitschrift „Theologie und Glaube“ erscheinen wird, auch dort bekannt werden wird.“

In diesem Text liefern Sie für die Beteiligung der Gläubigen auch eine Art pastorale Begründung.

Rüdiger Althaus: „Anlass zum Schreiben war der Beschluss der Synodalversammlung, den ich unabhängig von Paderborn in einen größeren Zusammenhang und im Sinne eines Diskussionsbeitrages auch konkretisieren wollte. Denn das Kirchenrecht muss ja einen Sitz im Leben des Volkes Gottes haben. Und letztlich folgt das Recht der Theologie und der Praxis: Gesetze werden nicht am grünen Tisch gemacht, sondern begegnen irgendwelchen Herausforderungen und Fragen. Deswegen sollte man jetzt Erfahrungen sammeln und daraus lernen. Jedenfalls sollte man nicht erst auf eine Rahmenordnung warten, sondern sie aus den Erfahrungen heraus füttern.“

Aber über allem hängt das Damoklesschwert Rom, das am Ende nicht mitmacht und das Ganze kippt.

Rüdiger Althaus: „Es ist zu bedenken, welches Profil ein neuer Bischof braucht. Welche Anforderungen ergeben sich aus der Diözese, die er zu leiten hat? Und Rom hat da auch den Blick „von oben“: Was ist auf den verschiedenen Ebenen der Kirche notwendig? Auch eine Bischofskonferenz braucht verschiedene Charismen. Es wäre sicher nicht gut, wenn nur Professoren auf den Bischofsstühlen säßen. Wichtig ist jedenfalls, dass ein Bischof eine pastorale Ader hat, dass er zuhören kann, dass er sich beraten lassen kann …“

… und dass er linientreu ist?

Rüdiger Althaus: „Ach, was heißt schon linientreu? Chemisch rein zwischen progressiv und konservativ zu trennen, ist doch ein Ding der Unmöglichkeit. Es kommt darauf an, dass man die Tradition der Kirche im Herzen trägt, aber Papst Franziskus macht ja auch immer wieder deutlich, dass der Dialog mit der Welt wichtig ist. Die Kirche muss sich heute den Anfragen, die aus der Welt kommen, stellen. Das kann nicht dadurch geschehen, dass Altes einfach nur aufgewärmt wird, sondern dass wir unseren Glauben vertieft reflektieren: Was haben wir der Welt heute zu sagen? Das können auch mal Formulierungen sein, die Traditionalisten vielleicht als Häresie erscheinen. Die Frage ist: Wie können wir das Evangelium heute zur Sprache bringen? Vor dieser He­rausforderung stand ja schon Paulus, der den Heiden das predigte, was jüdischen Ursprungs ist.“

Zusammenfassend kann man sagen: Sie halten den Beschluss der Synodalversammlung für realisierbar?

Rüdiger Althaus: „Ich halte den Beschluss für richtungsweisend. In den nächsten Jahren wird die Praxis zeigen, wie er ganz konkret werden kann. Es muss dabei klar sein, dass es bei der Bestellung eines Bischofs nicht um ein machtpolitisches Taktieren geht, sondern welcher Kandidat für die besetzende Diözese am besten geeignet ist – in einem zutiefst geistlichen Prozess.“

Zum Schluss eine persönliche Frage: Wir haben anfangs viel von den Kandidatenlisten gesprochen. Haben Sie schon mal auf so einer Liste gestanden?

Rüdiger Althaus: „Na, das darf ich doch gar nicht wissen: Die Kandidaten, die nicht zum Zuge kommen, erfahren davon ja nichts! Da gilt doch das Päpstliche Geheimnis!“

Mit Rüdiger Althaus sprach Claudia Auffenberg

Info

Der Beschluss der Synodalversammlung sieht vor, dass eine Musterordnung erarbeitet und erlassen wird, mit der sich die Domkapitel selbst dazu verpflichten, Gläubige an der Bestellung eines Bischofs zu beteiligen. Der Synodale Rat einer Diözese soll dazu ein Gremium wählen, das so viele Mitglieder wie das jeweilige Domkapitel hat und dieses bei der Wahrnehmung seiner Rechte bei der Bischofsbestellung unterstützt. Für das Erzbistum Paderborn gilt das Preußenkonkordat, nach dem die Bischofsbestellung in zwei Schritten verläuft. Zunächst erstellt u. a. das Domkapitel eine Liste geeigneter Kandidaten, die nach Rom gesandt wird. Von dort kommt dann eine Dreierliste zurück, aus der das Kapitel seine Wahl trifft. Gemäß des Synodalbeschlusses soll das Gremium der Gläubigen an beiden Schritten beteiligt werden.

In Paderborn steht mit dem angebotenen Rücktritt von Erzbischof Becker nun erstmals nach dem Beschluss ein solches Verfahren an; zudem hatte das Domkapitel sehr bald nach der Synodalversammlung – allerdings noch vor dem Rücktrittsangebot – angekündigt, diesen Beschluss umzusetzen. Weil es aber in keinem Bistum, also auch in Paderborn, noch keinen Synodalen Rat gibt, ging das Domkapitel nun einen eigenen Weg, um ein Gremium aus Gläubigen zu bilden. Dies sorgte für erhebliche Verärgerung beim Diözesankomitee, das als solches nicht beteiligt war. Das Komitee ist die Vertretung der Laien in Pfarrgemeinderäten und Verbänden.

Weitere Berichte zur katholischen Kirche im Erzbistum Paderborn finden Sie in der aktuellen DOM-Ausgabe. Schauen Sie mal rein, es lohnt sich bestimmt.

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