Fadenkreuz statt Kreuz – Friedenstheologe meldet sich zu Wort

Fadenkreuz statt Kreuz

Krieg in der Ukraine: Der Friedenstheologe Prof. Dr. Thomas Nauerth kritisierte bei einem Vortrag in Bielefeld den „Mythos erlösender Gewalt“. Auch ein Verteidigungskrieg mit modernen Waffen führt seines Erachtens immer zu verheerendem und unverantwortlichem Leid unter der Zivilbevölkerung.

Bielefeld. Gibt es einen gerechten Krieg? Selbst, wenn es sich dabei um einen Verteidigungskrieg handelt – kann die Anwendung militärischer Gewalt durch einen Staat überhaupt als „gerecht“ bezeichnet werden? Wichtige, elementare Fragen sind das in dieser Zeit des russischen Angriffskrieges auf die Ukrai­ne. Und auf beide Fragen antwortet Thomas Nauerth mit einem klaren Nein. Der katholische Theologe und Universitätslehrer sprach im Pfarrheim der Heilig-Geist-­Gemeinde in Bielefeld-­Dornberg auf Einladung der Initiative „­BILDungsPUNKT“.

Prof. Dr. Thomas Nauerth lehrt Religionspädagogik an der Universität Osnabrück und ist engagiert auch im Bereich der Friedenstheologie. Die derzeitigen Diskussionen und vorherrschenden Meinungen in Fernseh-­Talkshows und Presseartikeln zum Krieg in der Ukraine sowie die allermeisten Einlassungen von Politikerinnen und Politikern dazu („militärische Sprache“) machen den 60-­Jährigen immer wieder fassungslos: Die Vorstellung, in der modernen Welt mit massiven militärischen Mitteln einen Zustand des Friedens zu befördern und schließlich auch zu erlangen, sei ebenso unrealistisch wie verantwortungslos, ist er überzeugt.

Waffenlieferungen sorgen für mehr zivile Opfer

Friedenstheologe Prof. Dr. Thomas Nauerth

Durch fortgesetzte und verstärkte Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine würden die vor allem zivilen Opferzahlen weiter erhöht, genauso wie auch das Maß an Zerstörung des Landes. Wenn schon die „Lehre vom gerechten Krieg“ bemüht werden solle – die Nauerth allerdings zurückweist –, müsse feststehen, dass die militärische Verteidigung zum Ziele einer Beendigung des Krieges führt. Diese Voraussetzung sei aber im Falle des Russland-Ukraine-­Krieges keineswegs gegeben – wegen der Übermacht der russischen Seite. Prof. Nauerth. „Was würde man denn wohl vernünftigerweise etwa den Luxemburgern raten für den Fall, dass sie von Frankreich oder Deutschland angegriffen werden?!“

Doch, wie gesagt, Thomas Nauerth lehnt die berühmte und bis in die Antike (Aristoteles, Cicero) zurückreichende Lehre vom gerechten Krieg (bellum iustum) ohnehin rundweg ab; sein Argument ist hier, dass ein Verteidigungskrieg mit modernen Waffen immer ganz automatisch zu verheerendem und unverantwortlichem Leid und Tod unter der Zivilbevölkerung führen muss – wie in der Ukrai­ne ja derzeit zu beobachten sei.

In der heutigen Gesellschaft überwiege die Vorstellung, bedauerte der Referent, „Gewalt nur durch Gewalt überwinden zu können – ein Verhängnis, das uns trübt“. Er sprach hier von einem tief verwurzelten „Mythos erlösender Gewalt, der tragend ist für die gesamte Moderne“. Gewalt sei „die herrschende Religion“, wie bereits ein Blick auf die Inhalte von Filmen und Fernsehsendungen und sogar Kinder-­Zeichentrickserien klar zeige: „Es gibt einen unüberwindlichen Helden, der durch Gewalt die Ordnung wiederherstellt.“ Prof. Nauerth: „Alle denken, Konflikte seien nur durch Gewalt zu lösen – nach dem Motto: ‚Fadenkreuz statt Kreuz‘.“ Leitlinie dabei sei – neben dem „Mythos erlösender Gewalt“ – eine Art „Sühne/Schuld/Strafe-­Paradigma“. Der identifizierte Aggressor müsse umfassend seine Schuld eingestehen, sodann sühnen und hart bestraft werden.

Evangelium: Gegenentwurf zu Gewaltmythos

Der christliche Weg sei hingegen ein komplett anderer, das Evangelium geradezu ein Gegenentwurf zum oben skizzierten Gewaltmythos. Der Friedenstheologe betonte: „Hier geht es, vor allem auch nach den Lehren und Weisheiten des heiligen Franz von Assisi, um Streitschlichtung und Mediation, um Interessenausgleich und Kommunikation auf Augenhöhe, letztendlich um die Bereitschaft zur ehrlichen Vergebung – mit einem Wort: um Versöhnung.“ Der Aggressor solle zunächst nicht bestraft, sondern verstanden werden in den Motiven seines Handelns. Diesem Verständnis von Konfliktbewältigung freilich liegt – ganz wichtig – ein bestimmtes, grundsätzlich positives Menschenbild zugrunde, das Thomas Nauerth so beschrieb: „Ganz tief drin in jedem Menschen – auch dem schlimmsten Gewalttäter – ist etwas, das man ansprechen und erreichen kann.“

Russische Sicherheitsinteressen

Bezogen auf den Krieg in der Ukraine (Nauerth: „Ein Verbrechen des Putin-­Regimes“) und das vorrangige Ziel eines Waffenstillstandes heißt das für den Theologie-­Professor, dass auch die russischen Sicherheits­interessen in Zusammenhang mit der NATO-­Ausdehnung bis an seine Grenzen endlich ernst genommen werden müssen. An dieser Stelle formulierte er rhetorische Fragen: „Was wäre wohl passiert, wenn im Kalten Krieg plötzlich Mexiko seinen Beitritt zum Warschauer Pakt verkündet hätte? Oder, wie würde wohl China reagieren, wenn die Mongolei der ­NATO beitreten wollte?“ Tatsächlich habe die Welt ja 1962 in der Kuba-­Krise am Rande eines Atomkrieges gestanden.

Dass solche Sicht- und Heran­gehensweisen im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs in Deutschland kaum Chancen auf Gehör und Akzeptanz erhalten, kritisierte Thomas Nauerth sehr. Die oftmals geistig enge und ganz im so unseligen „Mythos erlösender Gewalt“ verhaftete Reaktion auf Konzepte gewaltfreier Konfliktlösung habe auch Papst Franziskus zu spüren bekommen, als er für die Kriegs­vorgeschichte Verantwortlichkeiten auch auf der westlichen Seite verortete. „Dass Franziskus zuallererst nach Moskau reisen möchte, um mit dem Aggressor zu reden, geht übrigens völlig konform mit den Konfliktlösungsstrategien des Franz von Assisi“, stellte sich Prof. Nauerth uneingeschränkt hinter den Pontifex.

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