„Glauben muss man teilen“ – Interview mit Heinz Paus

Libori in Paderborn: der Inbegriff von Volkskirche. Die Erfahrung, mit dem Glauben als etwas Selbstverständlichem aufzuwachsen, verflüchtigt sich im Moment zusehends. (Archivfoto: Wiedenhaus)

Wie hältst du es mit der Religion?“, fragt das Gretchen den Dr. Faust. In Zeiten der Kirchenkrise fragen wir in der Fastenzeit bei Menschen der Kirche nach. In dieser Folge bei Heinz Paus, dem Präsidenten des Bonifatiuswerkes. Mit Heinz Paus sprachenClaudia Auffenberg und Andreas Wiedenhaus.

Gibt es einen Vers im Glaubensbekenntnis, über den Sie stolpern, der Ihnen schwer über die Lippen kommt?

Heinz Paus: „Ja, und zwar ziemlich am Anfang der Satz „geboren von der Jungfrau Maria“. Ich frage mich, weshalb dieser Aspekt der Geburt Jesu ausdrücklich erwähnt wird, während andererseits nichts dazu gesagt wird, wie Jesus gelebt hat und was er verkündet hat – für mich das Kernthema unseres Glaubens.“

Haben Sie darüber einmal mit jemand gesprochen?

Heinz Paus: „Ja, aber auch viel darüber gelesen. In diesem Zusammenhang fällt mir ein Zitat ein, das mich sehr bewegt: „Wie weiß ich, was ich glaube, bevor ich es nicht aufgeschrieben habe?“ Im Moment bin ich damit beschäftigt, das, was ich im Laufe meines Lebens zum Thema Glaube gelesen, gehört, im Kopf gespeichert und vielleicht im Kopf neu zusammengesetzt habe, aufzuschreiben. Damit ich mir selbst darüber klar werde, was ich glaube. Wenn man dazu in einem gewissen Alter die Zeit hat, ist das ja auch eine Chance, diesen Schatz zu betrachten und auch zu schauen, was wichtig ist und was nicht so wichtig – also Dinge, über die ich stolpere, die ich nachvollziehen kann oder die nicht so eine zentrale Bedeutung in meinem Leben haben.“

Wie umfangreich sind diese Aufzeichnungen bisher?

Heinz Paus: „Ich habe da handschriftlich schon viel gesammelt und bin im Moment dabei, daraus einen Text zu formen. Bisher sind gut zehn Seiten zusammengekommen. Vorher hatte ich meine Familiengeschichte aufgeschrieben, und nachdem dieses Projekt abgeschlossen ist, geht es darum, was ich glaube.“

Welche literarische Form hat das? Ist das eine Art Katechismus?

Heinz Paus: „Ich schreibe es für mich auf mit dem Anspruch, es in eine Form zu bringen. Als Jurist versucht man immer, Dinge sprachlich zu fassen und zu definieren. Beim Glauben gerät man dabei an seine Grenzen, weil Sprache den Glauben nicht wirklich abbilden kann. Das gilt für die Worte, aber auch für Sprachbilder, etwa für das des guten Hirten. Es ist den Menschen heute nicht mehr sehr nahe. Natürlich lebt er für seine Schafe, aber lebt er auch von seinen Schafen? Deshalb finde ich es immer sehr spannend, wie Literatur, Musik und bildende Kunst sich mit der Frage nach Gott auseinandergesetzt haben. Das beeindruckt mich sehr, weil ich als Jurist zwar mit Worten umgehen kann, in diesem Zusammenhang aber schnell an Grenzen stoße.“

Gott als Allmächtiger – gehört das auch zu diesen Bildern?

Heinz Paus: „Ja, das beschäftigt mich auch sehr. Ich habe, wenn ich vom Schöpfer spreche, nicht das Bild aus dem Buch Genesis vor Augen. Ich glaube, dass er den Urimpuls gesetzt hat für diesen ewigen Prozess des Werdens und Vergehens. Er hat die Entwicklung, in die wir als Menschen gestellt sind, in Gang gesetzt und er begleitet jeden von uns auf diesem Weg. Die Gesetzmäßigkeiten, die wir sowohl in den kleinsten als auch den größten Zusammenhängen etwa mit Blick auf den Kosmos feststellen, sind nicht nur faszinierend, sie sind für mich auch der Beweis, dass dahinter ein Schöpfungsplan steht.

Mein großes Interesse in diesem Bereich hat vielleicht auch mit einem Großonkel zu tun, der als Pfarrer später noch in Physik promoviert hat. Ich habe ihn zwar persönlich nicht kennengelernt, aber vieles wurde in der Familie tradiert, und ich habe einiges von ihm gelesen. Diese Verbindung scheint eine Art Urgrund zu sein, aus dem ich schöpfe: Dass nämlich Glaube und Vernunft sich nicht widersprechen, sondern letztlich alles ineinandergreift und alles nach einem Urplan geschaffen ist.“

Seit wann sind Sie eigentlich katholisch?

Heinz Paus: „Ich bin im Münsterland in einem sehr volkskirchlichen Umfeld aufgewachsen. Meine Eltern hatten in Alstätte bei ­Ahaus die Gaststätte direkt gegenüber der Kirche. Ich war der einzige – überlebende – Sohn meiner Mutter. Zwei Söhne und ihr erster Mann waren bei einem Bombenangriff auf unser Dorf umgekommen. Sie hatte aus erster Ehe eine Tochter, ich stamme aus der zweiten Ehe und bin 1948 geboren. Eigentlich war geplant, dass ich die Gaststätte und die Landwirtschaft übernehmen sollte. Ich verdanke es dem Bruder des späteren Bischofs von Limburg, Franz Kamphaus, dass es sich anders ergab. Dieser Bruder war bei uns Vikar und er bewegte meinen Vater, mich auf die Höhere Schule zu schicken. Ich könne doch Pastor werden, und dem könne sich mein Vater doch nicht entgegenstellen. Auf dem Gymnasium hatte ich Franz Kamphaus dann als Religionslehrer, der mich sehr geprägt hat.“

Wer hat sie anfangs mit dem Glauben vertraut gemacht?

Heinz Paus: „Meine Eltern, die mir das Urvertrauen zu Gott vermittelten. Das Bild meiner Mutter zum Beispiel, wenn sie vor dem Anschneiden auf dem Brot ein Kreuzzeichen mit dem Messer machte, ist mir bis heute präsent. Wie sie trotz ihres schlimmen Schicksals – sie wurde mit 13 Jahren Vollwaise, musste ihren ersten Mann und fünf ihrer Kinder zu Grabe tragen – geglaubt und auf Gott vertraut hat, war mir immer ein Vorbild. Und zwar weniger durch das, was sie mir erzählt hat, sondern dadurch, wie sie ihren Glauben gelebt hat. Sie hat mir ein Urvertrauen mitgegeben, das mich bis heute nicht verlassen hat. Ich weiß, dass ich in Gefahren kommen kann, dass ich sterben muss, aber ich weiß auch, dass da jemand ist, auf den ich mich verlassen kann und dass es ein gutes Ende für mich nimmt.“

Aus der Idee des Vikars, dass sie Geistlicher werden könnten, ist allerdings nichts geworden.

Heinz Paus: „Nein, bei mir nicht; allerdings sind von den drei Jungen aus meiner Volksschulklasse, die Abitur gemacht haben, zwei Priester geworden. Die Idee des Vikars hat mir den Weg zur Höheren Schule gebahnt, meinem Lebensplan entsprach sie nicht.“

Sie haben eben schon von der Allmacht Gottes gesprochen, welche Vorstellung haben Sie von ihm?

Heinz Paus: „Ich kann ihn nicht beschreiben und nicht fassen. Während der Corona-­Zeit habe ich die Bibel einmal komplett gelesen, nachdem ich mir das schon lange vorgenommen hatte. Dort findet man unendlich viele Bilder von Gott und Annäherungen an ihn, aber ein komplettes Mosaik nicht. Ich habe kein endgültiges Bild von ihm. Als Mensch fühle und sehe ich etwas, was am Ende aber immer fragmentarisch bleibt. Ich muss mich damit abfinden, dass ich nicht alles erfassen kann, dass da am Ende etwas ist, was zu Lebzeiten verborgen bleibt, und das ich erst erkennen kann, wenn ich die Schwelle des Todes überschritten habe.

Ich habe die Vorstellung von jemand, der bei mir ist und den ich in manchen Situationen, etwa wenn ich in der Natur unterwegs bin, intensiver spüre, aber auch in besonderen Gottesdiensten. Ich erinnere mich an die Wanderung mit meiner Frau auf dem Jakobsweg, bei dem das in bestimmten Situationen in der Natur oder in Pilgerkirchen immer wieder aufschien.“

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Sie waren ja selbst lange Politiker, haben Entscheidungen von großer Tragweite getroffen. Wie hat sie diese Vorstellung dabei beeinflusst?

Heinz Paus: „Ich habe morgens immer gehofft, dass ich abends in den Spiegel schauen konnte, ohne mich für das, was ich tagsüber getan hatte, schämen zu müssen. Das habe ich auch in meinen Gebeten immer reflektiert; wohl wissend, dass man die Wahrheit nicht gepachtet hat und dass man fehlerhaft ist. Bei allen Entscheidungen – den lange vorbereiteten wie den kurzfristigen – kam es mir immer darauf an, mir treu zu bleiben und ein gutes Gewissen haben zu können. Wobei man akzeptieren muss, dass sich im Nachhinein etwas als Fehler herausstellen kann. Dann kommt es darauf an, dazu zu stehen.“

Haben Sie Ihren Glauben bei Gesprächen mit anderen Politikern zum Thema gemacht?

Heinz Paus: „Auf jeden Fall! Es gibt zum Beispiel einen Kreis von katholischen Politikern, der sich einmal im Jahr im Kloster Maria Laach trifft und zu dem ich seit über 30 Jahren gehöre. Da ist die Frage, welche Rolle der Glaube beim politischen Handeln spielt oder gespielt hat, immer wieder Thema. Zu diesem Kreis gehören zum Beispiel Bernhard Vogel, Erwin Teufel oder Alois Glück. Zum einen ist die Teilnahme am klösterlichen Leben bereichernd, zum anderen aber auch der Austausch mit Menschen, die in ähnlichen Situationen Entscheidungen getroffen haben, und welche Rolle der Glaube dabei für sie gespielt hat.“

Woran können Menschen, denen Sie sonst im Leben begegnen, merken, dass Sie katholisch, dass Sie Christ sind?

Heinz Paus: „Es war mir zum Beispiel bei Einweihungen hier in Paderborn immer wichtig, dass ein katholischer und ein evangelischer Geistlicher ein Segensgebet gesprochen haben. Den Menschen Gottes Segen zu wünschen liegt mir am Herzen. Ich habe auch immer begeistert an den kirchlichen Feiern zu Libori teilgenommen. Leider verdampft vieles von diesen volkskirchlichen Elementen zurzeit, was meiner Meinung nach den Zugang zu Gott erschwert. Diese Volkskirche, wie ich sie seit meiner Kindheit erlebt habe, gehört zu dem Urgrund, auf dem ich stehe. Diese Art, Glauben zu erfahren und zu fühlen, darf nicht fehlen, denn mein Glaube hat im Herzen mindestens so einen Platz wie im Kopf. Dieser Glaube bildet sich nicht nur beim Lesen frommer Bücher, sondern vor allem dadurch, dass er vorgelebt wird, gemeinsam mit anderen geteilt wird.“

Das heißt, der Gottesdienstbesuch hat für Sie einen hohen Stellenwert?

Heinz Paus: „Ich schaffe es nicht jeden Sonntag, aber ich versuche, so oft wie möglich sonntags teilzunehmen. Altersbedingt gehe ich ja zu relativ vielen Beerdigungen. Dabei ist mir das Requiem immer besonders wichtig, gerade wenn es um Menschen geht, mit denen ich sehr verbunden war, deren Tod mir nahe geht. Da ist die heilige Messe genau die Form, in der ich Abschied nehmen kann und die mir Kraft gibt.

Die Kirche ist momentan von Skandalen geschüttelt, die Austrittszahlen sind immens. Generalvikar Hardt sprach kürzlich davon, dass Menschen die Kirche verließen, um ihren Glauben zu retten. Haben Sie schon einmal vor der Frage des Kirchenaustritts gestanden?

Heinz Paus: „Ich selbst noch nicht, aber ich habe Bekannte, die diesen Schritt gegangen sind. Diese Kirche ist für mich aber viel mehr als das, über das wir gerade diskutieren. Im Laufe der Jahrhunderte ist so viel an geistigem Reichtum in ihrem Umfeld entstanden; wie Künstler versucht haben, die Frage nach Gott umzusetzen – in Noten, Bildern, Skulpturen, Architektur. Dieser Schatz wäre nicht entstanden, wenn jeder für sich seinen Glauben vor sich hingelebt hätte. Missbrauch bin ich persönlich nie begegnet, hinzukommt, dass die gesamte Gesellschaft über Jahrzehnte dieses Thema ignoriert hat bzw. versucht hat, es als Einzelfälle zu sehen und zu vertuschen. Dieses Vorgehen war gerade für die Kirche völlig falsch, gerade angesichts der traumatisierten Opfer. Und dass das schwerste Sünden waren, stand ja nie außer Frage.“

Und Kirche ist hier in einer besonderen Rolle!

Heinz Paus: „Natürlich, trotzdem möchte ich sie nicht auf dieses Thema reduzieren. Hinzukommt, dass in der NS-­Zeit dieses Thema von den Machthabern instrumentalisiert wurde, um der Kirche zu schaden und sie in ihrer Gesamtheit in Misskredit zu bringen. Ich kann mir vorstellen, dass gerade diese Erfahrung bei vielen Kirchenvertretern in den Fünfziger- und Sechzigerjahren noch sehr präsent war, und man deshalb möglichst wenig an die Öffentlichkeit dringen lassen wollte. Grundfalsch aus heutiger Sicht! Auch in anderen Zusammenhängen hat man die Zeichen der Zeit nicht oder zu spät erkannt. Gut, dass es jetzt den Synodalen Weg gibt, der da hoffentlich bald Fortschritte bringt.“

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Heinz Paus arbeitete nach seinem Jurastudium zunächst als Rechtsanwalt. Bevor er von 1999 bis 2014 Bürgermeister von Paderborn war

Zur Person

Heinz Paus arbeitete nach seinem Jurastudium zunächst als Rechtsanwalt. Bevor er von 1999 bis 2014 Bürgermeister von Paderborn war, gehörte er für die CDU von 1980 bis 1999 dem Landtag in Düsseldorf an. 2013 wurde er zum Präsidenten des Bonifatiuswerkes gewählt. Heinz Paus ist verheiratet und hat zwei Söhne.

Info

„Wer soll das noch glauben?“ heißt unsere Interview-­Reihe in der Fastenzeit. Die Kirchenkrise bringt viele Menschen, vor allem ältere, ins Nachdenken: Was hat man uns früher in der Kirche, etwa in der Christenlehre, erzählt? Stimmt das eigentlich alles? Dabei geht es nicht nur um Kirchengebote, die aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar sind, wie etwa das Nüchternheitsgebot, sondern auch um wesentliche Glaubensinhalte. Bücher gibt es zu alldem genug. Wir fragen nach bei Menschen, die ehrenamtlich für diese Kirche stehen. 

Das vollständige Interview können Sie in der aktuellen DOM-Ausgabe nachlesen. Schauen Sie mal rein, es lohnt sich bestimmt.

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