Ehemalige Priester: „Macht in der Kirche ist Gift“

Die emeritierten Priester Herbert Korfmacher, Paul Jakobi und Johannes Sprenger sehen viele gute Entwicklungen im Synodalen Weg. Die Kirche müsse nun weiter mutig nach vorne gehen. (Foto: kna)

Der katholischen Kirche weht der Wind rau ins Gesicht. Rufe nach Veränderungen können nicht länger ignoriert werden. Wie ehemalige Priester im Erzbistum Paderborn auf die Kirchenkrise blicken und welche Hoffnungen sie an die Kirche von morgen knüpfen, darüber hat Der Dom mit ihnen gesprochen.

Erzbistum. „Die Missbrauchs­problematik ist für mich schmerzlich bedrückend. Angesichts der ‚Erosion und den Verfall des Glaubens‘, wie Papst Franziskus sagte, ist der Kirchenaustritt für viele der letzte Tropfen in ihrer Entwicklung von der Kirche weg“, sagt Johannes Sprenger (80), der vor seinem Ruhestand 25 Jahre in Meschede tätig war. „Selbst im Gespräch mit älteren Menschen erlebe ich, wie das am Fundament ihres Glaubens nagt. Und wen wundert es, wenn sie in der Tageszeitung jeden Morgen die nächsten negativen Schlagzeilen lesen. Ich tue mir das seit Längerem schon nicht mehr an.“

Vertikales Schisma der Kirche muss überwunden werden

Enttäuschung und Trauer erlebt auch Altpriester Herbert Korfmacher (91), der im Jahr 2017 sein 60-­jähriges und damit diamantenes Priesterjubiläum feiern konnte. Es sei traurig, dass die katholische Kirche nicht mehr als moralische In­stanz gesehen werde. „Wir müssen dringend das vertikale Schisma in der katholischen Kirche überwinden – so wie es bereits Professor Eugen Biser vor gut 30 Jahren gefordert hat – denn ansonsten begünstigen wir Strukturen, die Machtmissbrauch und spirituelle und sexualisierte Gewalt begünstigen“, sagt Korfmacher.

Ähnlich sieht das der ehemalige ­Propst am Dom zu Minden, Paul Jakobi (94). Er ist der Überzeugung, dass gerade die hie­rarchischen und festgefahrenen Strukturen der katholischen Kirche den sexuellen Missbrauch begünstigt haben. „Ich habe immer ein kritisches Kirchenbild gehabt. Mir war auch bewusst, dass die Kirche, der Papst und alle seine Angestellten ihre Schwächen haben. Aber Verbrechen in diesem Ausmaß habe ich nicht erwartet“, sagt Jakobi. Die Gründe dafür lägen nicht nur in der Institution Kirche, sondern auch in Einzelpersonen. „Viel zu lange hat die Kirche Kritik abgewiesen und mit Repressionen und Angst reagiert. In unserer Kirche braucht es mehr Kritikbereitschaft und Offenheit. Sie muss lernen zu delegieren und zu beteiligen. Und das merken die Menschen auch: Sie lassen sich nicht länger von macht­besessenen Priestern an der Nase herumführen. Und das ist auch gut so. Macht in der Kirche ist Gift“, sagt Jakobi.

Ehemalige Priester – Was sich ändern muss

Was konkret sich innerhalb der katholischen Kirche ändern müsse, sei laut Korfmacher nicht einfach zu beantworten. Auf jeden Fall gehöre das Diakonat der Frauen dazu. „Eine Öffnung ist absolut überfällig. Wir müssen diesen Schritt endlich wagen. In den Gemeinden, in denen ich eingesetzt war, haben sich gerade die engagierten Frauen immer als Glücksfall he­rausgestellt. Wir brauchen sie, ansonsten werden wir unsere in Schieflage geratene Kirche nicht wieder aufrichten können“, ist Korfmacher überzeugt.

Jakobi sieht das Zölibat, das Diakonat der Frauen und das Konzept der „viri probati“ als entscheidende Themen an, die dringend diskutiert werden müssten: „Wir brauchen einen neuen Status der Laien“, sagt Jakobi. Er selbst sei ein großer Verfechter des Konzeptes der „viri probati“, sprich verheiratete Männer, die alle Aufgaben eines Priesters erfüllen. Dringend müssten zudem die Vo­raussetzungen dafür geschaffen werden, dass Frauen alle Rechte bekommen, die heutzutage nur Männer in der Kirche haben. Zugleich fordert er die „längst überfällige“ Änderung des Zölibats. Die Kirche habe das Prinzip der Freiwilligkeit zu beachten. Zwänge und das Spielen mit Ängsten dürften in unserer Kirche keinen Raum haben.

Viele Priester sind einsam

Die Kritik am Zölibat wird seit einigen Jahren lauter. Auch Paul Jakobi fordert eine Änderung des ­Zölibats. Die Kirche habe das Prinzip der Freiwilligkeit zu beachten. (Foto: kna)

„Ein Leben ohne sexuelle Betätigung kann schwer sein. Gerade das Nichtverarbeiten der Sexualitätsproblematik der Priester löst Probleme aus. Viele Priester sind einsam. Und es gibt viele, die abends weinen, weil sie diese Einsamkeit nicht ertragen können. Das Zölibat schafft einen Sexualstau und es stellt sich die Frage, wie dieser dann entladen wird. Es gibt zwar Ansätze für eine geistliche Umlenkung, doch diese funktionieren nicht bei allen gleich. Und dann wagen sich manche Priester an Kinder heran, weil sie die Macht über sie haben und sie einschüchtern und zum Schweigen bringen können“, sagt Jakobi.

Und zugleich habe die Kirche zu solchen Fällen zu häufig geschwiegen, immer weil sie Sorgen um ihren Ruf hatte. Dies müsse sich dringend ändern und die Täter müssten mit allen Mitteln zur Verantwortung gezogen werden. Korfmacher sieht das genauso. Er habe jedoch die ernsthafte Sorge, „dass einige Bischöfe die Aufarbeitung verzögern werden und dass das Leid der Betroffenen weiterhin in den Hintergrund rückt“.

Kleine Hoffnungszeichen

Neben allen Herausforderungen und Sorgen sieht Korfmacher aber auch erste Anzeichen dafür, dass die katholische Kirche in Deutschland auf einem guten Weg sei. „Beim Synodalen Weg zeigen sich viele gute Entwicklungen. Diese müssen nun zu Papier gebracht und von einer überzeugten Mehrheit der Bischöfe in Rom vorgetragen werden. Die Bischöfe müssen deutlich machen, dass neue Entwicklungen keine Gefahr für die Kirche sind, sondern sie bereichern können“, sagt Korfmacher. „Der Synodale Weg hat bis jetzt großartige Entwürfe gemacht. Nun muss dringend ein Konzil folgen, auf dem das alles festgeschrieben wird“, fügt Jakobi hinzu.

Doch nicht nur auf Ebene der Deutschen Bischofskonferenz geschieht derzeit viel. Auch das Erzbistum Paderborn versucht mit dem Zielbild 2030+ Türen aufzustoßen und neue Wege zu gehen. „Bei den einzelnen Schritten im Zielbild 2030+ finde ich richtig, dass eine Erneuerung in allen kirchlichen Bereichen vom Evangelium, von der Gemeinschaft mit Jesus Christus ausgeht. Das + bringt zum Ausdruck, dass es hier um eine bleibende Aufgabe geht, damit die im Zukunftsbild formulierten Ziele nicht zu Worthülsen werden“, sagt Sprenger.

„OutInChurch“ – Wichtiger Schritt zur Weiterentwicklung

Im Synodalen Weg vermisse er jedoch diesen Ansatz. Die Themen seien zwar bedrängend, aber in der Vorgehensweise lohne sich ein Blick nach Frankreich, wo es ebenfalls den Missbrauchs­skandal gibt. Dort hat der Erzbischof von Lyon in einem Interview seinen Einsatz für den dortigen Missions­kongress begründet: Er nennt die derzeitige Krise vor allem „eine Verdunklung des Gottessinns“. „Wir alle sind Sünder, und manche sogar noch Schlimmeres. Wir verkündigen aber Jesus Christus nicht, weil wir denken, wir seien etwas Besseres. Wir verkündigen Jesus Christus, weil er kommt, um uns von unseren Sünden zu befreien. Das müssen wir bescheiden und demütig, aber auch mutig tun“, zitiert Sprenger den französischen Bischof.

Korfmacher und Jakobi teilen gleichermaßen die Sorge, dass viele Wege in Rom nicht mitgegangen würden. Sie sehen die Gefahr, dass Rom mit Blick auf die Weltkirche die Bedenken aus Deutschland nicht teilen werde. Trotzdem müsse die katholische Kirche in Deutschland mutig diesen begonnenen Weg weitergehen. Ein wichtiger Schritt zur Weiterentwicklung der Kirche sieht Jakobi in der Initiative „Out­In­Church“. „Ob jemand homosexuell oder transsexuell ist, muss völlig unerheblich sein.“ Die Kirche laufe schon lange der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher, das müsse sich endlich ändern. Diese Ini­tiative könne ein guter Anstoß dafür sein.

Persönliche Wünsche der ehemaligen Priester

Wird sich die Kirche von der Diskussion um Missbrauch und Vertuschung und der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung erholen? „Ja“, sagt Jakobi. Der Heilige Geist werde sich noch zeigen und die Kirche in die richtige Zukunft lenken. Auch Sprenger und Korfmacher teilen trotz aller Bedenken und Sorgen die Hoffnung.

„Nun kann man lesen, dass das bisherige Ergebnis des Sy­nodalen Weges Rückenwind auf dem Weg in die Bischofs­synode der Weltkirche sei. Ich bete da­rum, dass es neben diesem Wind auch noch den Wind des Heiligen Geistes gibt – und dass man den im Gepäck hat, wenn man zurückkommt. Schließlich hat der Papst in seinem Brief mehrfach den ‚Sensus Ecclesiae‘ als unsere kirchliche DNA angemahnt, den Sinn für die ganze Kirche, der in einer Weltbischofskonferenz zum Ausdruck kommt“, sagt Sprenger.

Einen persönlichen Wunsch äußerte Korfmacher mit Blick auf die Entwicklung der ­Gemeinden in Deutschland. „Wenn wir nicht vor Ort in kleinen Einheiten Kirche lebendig werden lassen, dann verlieren wir auch in den Flächen. Die großen Flächengemeinden werden die Communio nicht fördern, es braucht die Kirche vor Ort.“

Appell an alle Gläubigen

Zugleich müsse sich die Kirche der Zeit und den Bedürfnissen der Menschen anpassen, sagt Jakobi und endet mit einem Appell an alle Gemeindemitglieder und Gläubigen, der Kirche treu zu bleiben: „Bleiben Sie bitte! Die katholische Kirche ist ein zusammengekrachtes Haus, und das muss wieder aufgebaut werden. Das geht nicht, wenn Sie weglaufen. Das geht nur von innen und gemeinsam. Nur wer an dem Neubau des Hauses mitwirkt, kann beeinflussen, wie es zukünftig aussehen wird.“

(Patrick Kleibold)

Weitere aktuelle Kirchenthemen finden Sie in der aktuellen DOM-Ausgabe. Schauen Sie mal rein, es lohnt sich bestimmt.

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