Wo wird man Gott suchen? – Über die Zukunft von Kirchbauten

Die Kirche St. Gertrud in Köln ist ein Werk des im Juni vergangenen Jahres verstorbenen Architekten Gottfried Böhm. Gerade Nachkriegskirchen stehen aktuell zur Disposition. Stefanie Lieb setzt sich dafür ein, die Möglichkeiten, die sie durch ihre spezielle Raum- und Lichtästhetik bieten, als Chance bei einer Umnutzung zu sehen. (Foto: KNA)

„TRANSARA“ ist ein Forschungsprojekt überschrieben, das sich der Zukunft von Kirchenbauten widmet, die nicht mehr benötigt werden. Prof. Dr. Stefanie Lieb befasst sich dabei als Kunst- und Architektur­historikerin unter anderem mit der Frage, welche weiteren Nutzungsmöglichkeiten es gibt. Mit Stefanie Lieb sprach Andreas Wiedenhaus.

Fabriken werden zu Wohnraum, Schlösser zu Museen: Warum ist die Umnutzung von Kirchen so schwierig?

Die Transformation von Sa­kral­bauten ist deshalb so kompliziert, weil diese aus dem­Glauben heraus von ­Gläubigen für Gläubige und zu einem ganz bestimmten Zweck – dem ­Gottesdienst – ­gebaut ­worden sind, und man ihnen ­diese ­spezifische Nutzung auch ­ansieht. ­Damit gehören sie eben nicht zur Alltagsarchitektur. 

Wohingegen Fabriken zu einem völlig profanen Zweck errichtet wurden.

Grundsätzlich gibt es diesen Unterschied zwischen profaner und sakraler Architektur, andererseits geht es bei unserem Forschungsprojekt auch um die Frage, ob man diese starke Trennung so streng beibehalten kann. 

Aber der Stellenwert von Sa­kralbauten ist schon ein besonderer, und er wird von gläubigen und nicht gläubigen Menschen anerkannt.

Auch das ist Teil unserer Forschung: der Punkt, was die nach wie vor starke Wirkung von Kirchenarchitektur ausmacht. Dazu gehört sicherlich die innere Gestaltung mit den besonderen Ausstattungselementen wie zum Beispiel dem Altar. Auf der anderen Seite – und diesen Bereich bearbeite ich als Kunst­historikerin innerhalb des ­Projektes – geht es auch um den Blick in die Geschichte und die Frage, ob es diese strikte Unterscheidung immer gab. Dann wird man feststellen, dass man Kirchen nicht nur für den ­Gottesdienst aufgesucht hat, sondern um sich beispielsweise mit anderen Menschen zu treffen. Diese ­Multifunktionalität von Kirchenräumen in ihrer Geschichte sollten wir ebenfalls berücksichtigen. 

Das Besondere stellt das ja nicht infrage!

Genau, das spürt man sofort, wenn man einen Kirchenraum betritt. Unabhängig von der Haltung zum Glauben besuchen Menschen Kirchen, weil sie eben besondere Orte sind. Der Kölner Dom wird wohl in erster Linie aus touristischem Interesse besichtigt. Dieser große allgemeine Zuspruch ist auf jeden Fall eine Chance. Wobei man nicht vergessen darf, dass Menschen, die zum Gebet in eine Kirche kommen, sich davon gestört oder bedrängt fühlen können. Das ist ein Reibungspunkt. Trotzdem kann man beides ermöglichen. Zentral ist dabei, Kirchen als öffentliche Räume zu begreifen und sie offen zu halten.  

Wer sollte beteiligt sein, damit die Umnutzung einer Kirche gelingt?

Es ist gar nicht so einfach, alle, die dazugehören, an einen Tisch zu bringen: Wenn eine Kirche profaniert wird, sind das zuerst einmal natürlich die Gemeindemitglieder. Oft ist dabei Trauer und auch Wut im Spiel. Diese Gefühle kann man aber auch in eine positive Richtung lenken. Letztlich kommt es dabei auf gelungene Kommunikation an: zu zeigen, dass man diesen Kirchenraum erhält und einer angemessenen neuen Nutzung zuführt. Mit Blick auf Kosten und Finanzierung sollte man Immobilienfachleute dazu holen. Die gehören im Übrigen auch zu unserem Forschungsprojekt.

Wenn die Kirche ein Denkmal ist, sind natürlich die Denkmalschützer mit im Boot. Die gelten ja häufig als Bremser, wenn andere Nutzungen diskutiert werden. Doch nach meiner Erfahrung stimmt das so pauschal nicht. Der Denkmalschutz kann einiges dazu beisteuern, wenn es darum geht, die besondere Geschichte des Bauwerkes bei den Planungen zu berücksichtigen. Und beim Stichwort Planungen ist man natürlich bei den Architekten, die die konkreten Ideen entwickeln. Wenn alle Beteiligten an einem Tisch offen diskutieren und Ideen einbringen, kann die Transformation gelingen. Ziel unseres Forschungsprojektes ist es in diesem Zusammenhang, konkret vor Ort dabei zu sein, statt im Elfenbeinturm Theorien zu entwickeln. 

[…]

Sie heben eben schon einige Sparten genannt – welche Fachleute gehören noch zur Forschungsgruppe?

Als Architekt zum Beispiel Ulrich Königs, der selbst schon Kirchen gebaut hat. Theologen gehören ebenfalls dazu, nicht zuletzt, weil das Projekt einen theologischen Schwerpunkt hat. Zum Beispiel geht es um die Frage, wie der sa­krale Raum der Zukunft aussehen kann, wie man sich in Zukunft als Gemeinde versammelt, wo man Gott suchen und Transzendenzerfahrungen machen wird. Ein evangelischer Liturgiewissenschaftler aus Leipzig gehört dazu, auf katholischer Seite Professor Albert Gerhards aus Bonn. Religionswissenschaftler sind ebenso Teil des Teams. Sie erörtern Fragestellungen über den christlichen Glauben hi­naus, etwa mit Blick auf Räume der Stille, die von vielen Religionen genutzt werden. 

Konkret mit Blick auf Projekte gefragt: Sind Teilnutzungen von Kirchen – etwa mit einem inte­grierten Gemeindehaus – eine Lösung? Kann man verschiedene Ideen buchstäblich unter einem Dach zusammenfassen?

Multifunktionale Nutzungen – diese Meinung vertreten beispielsweise die Theologen im Forschungsprojekt – sind eine gute Lösung: etwa, dass in einer Kulturkirche ein sakraler Ort bestehen bleibt. Manchmal ergeben sich interessante Zusammenhänge, zum Beispiel bei einer Kirche in Mönchengladbach, die jetzt als Kletterkirche genutzt wird. Sie ist verkauft worden, Kletterwände sind eingebaut worden. Im Rahmen dieser völlig anderen Nutzung hat sich aber ergeben, dass Gruppen die Kirche für die Firmvorbereitung nutzen: Es wird geklettert und gleichzeitig darüber reflektiert, was das Nach-oben-­Klettern eigentlich im theologischen Sinne bedeutet. Plötzlich gibt es wieder Anknüpfungspunkte. Es ist immer eine gute Lösung, auch nach der Umwidmung, einen Andachtsraum in der Kirche zu behalten, gerade mit Blick auf die Gemeindemitglieder, für die das Gebäude „ihre Kirche“ bleibt. 

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Unser Blick auf Architektur wandelt sich stetig, Beton­bauten aus den Sechzigern und Siebzigern werden heute meist abgelehnt. Da kommt schnell der Abriss ins Spiel. Was geht dabei verloren?

Vieles wurde bereits abgerissen, wenn man zum Beispiel ins Bistum Essen schaut, wo man eine ganze Reihe von überzähligen Kirchen beseitigt hat. Dann kam die Denkmalpflege und hat auf die Bremse getreten. Viele dieser Nachkriegskirchen waren kunsthistorisch noch gar nicht aufgearbeitet. Ich habe mich wissenschaftlich eingehend mit Nachkriegskirchen befasst und breche immer wieder eine Lanze für sie. Sicherlich gibt es Qualitätsunterschiede, aber grundsätzlich haben sie Beachtung verdient. Aber wenn es darum geht, sich von einer Kirche aus den Fünfzigerjahren zu trennen oder von einer neogotischen, fällt die Entscheidung meistens für den Erhalt der neogotischen.

Ich habe eine Zeit lang Nachkriegskirchen für die Denkmalliste inventarisiert und dabei oft die Erfahrung gemacht, dass auch in den betreffenden Gemeinden das Bewusstsein dafür fehlte. Da lohnt es sich, Aufklärungsarbeit zu leisten, damit auch diese Architektur entsprechend gewürdigt wird. Was man auch nicht vergessen darf, ist der ökologische Aspekt: Bauen im Bestand ist mit Blick auf Umweltbilanz und Ressourcenschonung immer die bessere Lösung! 

[…]

In den kommenden Jahren stehen sehr viele Kirchen zur Disposition. Gab es in der Geschichte schon einmal einen ähnlichen Prozess?

In der Reformation hat man Kirchen aufgegeben bzw. sie während des Bildersturmes ihrer Ausstattung beraubt. Man hat nach neuen Ausdrucksformen gesucht. Dann die Phase zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter Napoleon, als viele Kirchen – darunter sehr viele Klosterkirchen – zu profanen Zwecken genutzt oder auch abgerissen wurden. Solche Wellen traten in der Kulturgeschichte immer mal wieder auf.

In den 1970er-­Jahren gab es eine Entsakralisierungsbewegung, und es kam ein neuer Typus von Gemeindezen­tren oder sogenannten Ladenkirchen auf. Man wollte statt sakral anmutender Kirchen multifunktionale Gebäude mit einem eher profanen Charakter. Dort gab es Gottesdienste, Altentreff und Jugendzen­trum – ein breit gefächertes und lebendiges Angebot unter einem Dach. Der niedrig­schwellige Charakter sollte auch in der Architektur zum Ausdruck kommen. Unabhängig davon: Auch in der aktuellen säkularisierten Gesellschaft gibt es das Bedürfnis nach sa­kralem oder transzendentem Erleben, und entsprechend stellt sich die Frage, welche Räume es dazu braucht. Denn dass es außerhalb des Privaten solche Möglichkeiten braucht, ist mittlerweile allen Beteiligten klar. 

Als Kunst- und Architektur­historikerin beobachten Sie die Entwicklung schon länger. Gibt es für Sie mit Blick auf Umnutzungen rote Linien – Stichwort Kneipe in der Kirche?

Es existiert ja in Bielefeld das bekannte Beispiel eines Restaurants in einer ehemaligen Kirche. Solange man die sa­krale Anmutung noch erkennt und diese im Konzept gewürdigt wird, ist das nicht die schlechteste Lösung. Wichtig ist, dass mit der Ausstattung kein Schindluder getrieben wird. Auf der anderen Seite sind viele Kirchen sehr robust, um es einmal so zu sagen: Es muss sehr viel geschehen, damit die sakrale Atmo­sphäre verloren geht. Sie steckt quasi im Gebäude, allein durch die Vorstellung, dass dort über lange Zeit Gottesdienste gefeiert wurden und Menschen gebetet haben. Man spürt diese Atmosphäre einfach.

Das Beispiel Holland, wo man ohne Tabus ehemalige Kirchen für alles mögliche nutzt, zeigt allerdings meines Erachtens ganz klar die Grenzen auf, weil der ursprüngliche Zweck, Charakter und Atmosphäre schlicht miss­achtet werden. Reine Gewerbebetriebe bzw. Kommerz passen definitiv nicht. Kirchenbauten sind auch nicht für eine kurzlebige Nutzung gedacht nach dem Motto, wir probieren mal dieses und dann jenes. Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Kirchen sind eben keine Wegwerf­architektur.

Das gesamte Interview finden Sie in der aktuellen DOM-Ausgabe. Schauen Sie mal rein. Es wird sich lohnen.

Infos zu Stefanie Lieb

Prof. Dr. Stefanie Lieb ist Kunsthistorikerin und Studienleiterin für Kunst an der Katholischen Akademie Schwerte. Die Außer­planmäßige Professorin am Kunsthistorischen Institut der Universität zu Köln ist seit 2020 Projektleiterin für Kunstgeschichte in der interdisziplinären DFG-­Forschungsgruppe ­TRANSARA zu Sakralraumtransformationen (Kirchenumnutzungen) in Deutschland.Foto: privat

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