Leiden als Erlösung? – Vortrag von PD Langenfeld beim 37. Ärztetag

Theologe PD Dr.Aaron Langenfeld. (Foto: Patrick Kleibold)

„Ich wär’ sautraurig, wenn ich gehen müsste“, sagte einmal Christoph Schlingensief. Das Buch über das Krebsleiden des 2010 verstorbenen Regisseurs wurde zum Bestseller und war Anlass für zahlreiche öffentliche Gespräche über den Tod und das Leiden. Nun hat die Corona-Pandemie diese Themen erneut in den Fokus der Gesellschaft gerückt, doch der Umgang damit ist nach wie vor ein Tabuthema. Zwei Drittel der Deutschen glauben, dass die Gesellschaft den Tod nicht wahrhaben wolle und aus dem Alltag verdränge. Und so rückt auch die bewusste Auseinandersetzung damit ins Abseits. Beim Ärztetag im Erzbistum Paderborn sprach PD Dr. Aaron Langenfeld, designierter Lehrstuhlinhaber für Fundamentaltheologie und Vergleichende Religionswissenschaft an der Theologischen Fakultät Paderborn, zum Thema „Leiden als Erlösung“.

Leiden und Schmerzen sind unausweichliche Teile des Lebens

„Das Leiden darf nicht als etwas verstanden werden, das keine Relevanz im menschlichen Leben hat. Es braucht so etwas wie einen anthropologischen Realismus, denn Leiden und Schmerzen sind unausweichliche Teile des Lebens. Gerade die Corona-Pandemie hat sehr deutlich gezeigt, dass wir im öffentlichen Raum verlernt haben, realistisch zu sein und sehr neurotisch versuchen zu verdrängen, dass Leiden und Sterben alltägliche Gegenstände des Lebens sin“, sagt PD Dr.Aaron Langenfeld. In der Theologie ginge es nicht um die Frage, was Leiden ist, sondern ob und wie Betroffene vernünftigerweise damit leben können, sagt Langenfeld.

Auch wenn die Theologie nicht erklären wolle, was Leiden an sich sei, so spiele im Christentum das Leiden durch den Kreuzestod Jesu und in der Tradition als Anteilnahme am Erlösungsgeschehen eine zentrale Rolle. „So wie Christus sein Schicksal im freien Willen auf sich genommen und am Kreuz gelitten hat, so hat der Leidende Anteil an dem, was im Kreuz passiert ist. Durch das Leiden oder in der Annahme des Leidens verliert das Leiden selbst die absolute Macht über den Menschen“, referiert Langenfeld einen breiten Strang theologischer Leid- und Erlösungsvorstellungen. Und genau in diesem Moment, in dem das Leid die Gewalt über uns verliere, würden wir zu freieren Menschen, unabhängig von der Sorge um uns selbst.

Glaubenszweifel als Ausdruck des Glaubens

Mit Blick auf diesen Umgang mit dem Leiden entlieh Langenfeld in seinem Vortrag vor der Ärzteschaft eine Perspektive von Albert Camus. „Sisyphos war dazu verdammt, einen Stein immer wieder aufs Neue einen Berg hinaufzurollen. Und in dem Moment, in dem er die Aufgabe annimmt, verlieren die Götter ihre Macht über ihn. Es ist nicht länger einfach nur sein Schicksal, sondern seine Freiheit, die er durch die Annahme des Leidens gewonnen hat.“ Und eben diese Idee finde sich auch im Christentum wieder. „Wenn wir das Leiden und den Schmerz in unserem Leben annehmen, so gewinnt Gott– der sich in der Schwäche und im Leiden des Kreuzes uns Menschen zeigt– an Raum.“ Zu diesem Prozess gehörten sicherlich auch Glaubenszweifel, die jedoch nicht als Ausdruck des Nichtglaubens, sondern in der Tradition des Buches Hiob vielmehr als Ausdruck des Glaubens zu verstehen seien. Der eigentliche Unglaube wäre die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid.

Allerdings habe die Theologie auch lernen müssen, dass eine allzu schnelle Übertragung des Kreuzesgeschehens in die Leidensgeschichte des Einzelnen oftmals nicht nur zu einer Rechtfertigung, sondern zu einer regelrechten Glorifizierung des Leidens geraten kann. „Es droht die Gefahr der Vorstellung, dass Erlösung durch das Leiden herstellbar wird, dass der Mensch ein gutes Leben führt, wenn er nur hinreichend viel leidet.“

Glaube hat eine Resilienzfunktion

Beim Ärztetag sagte der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker zu den 120 anwesenden Ärztinnen und Ärzten, Krankheiten seien inzwischen durch neue medizinische Möglichkeiten in vielen Fällen heilbar, dennoch hätten Schmerz und Leiden ihre „existenzielle Rätselhaftigkeit“ bis heute nicht verloren. Kultur und Religion könnten in einer leidvollen Situation Halt geben und als Fundamente „Sinn- und Werthaftigkeit vermitteln, wenn wir sie am nötigsten brauchen“. Daran knüpft auch Langenfeld an. „Ich möchte nicht das Leiden rechtfertigen und dem Leiden einen Sinn geben, aber ich möchte die Möglichkeit offenhalten, dass Menschen für sich selbst im Leiden noch einen Sinn finden können. Theologisch betrachtet ist Leiden unausweichlicher Teil, aber nicht das Eigentliche des Lebens. Es bleibt somit immer die christliche Hoffnung, das gut werden kann, was noch nicht gut ist.“

Der Austausch mit den Medizinern auf dem Ärztetag habe Langenfeld gezeigt, dass der Glaube auch eine Resilienzfunktion habe. „Menschen, die glauben, sind offenbar in der Regel eher in der Lage, Ressourcen freizusetzen, um den Leiden einen Sinn abzutrotzen. Sie geben weniger schnell auf, sondern sie versuchen in der leidvollen Situation noch was zu entdecken, was sie mitnehmen können und woran sie reifen und wachsen können.“ Diese Erkenntnis habe ihn sehr beeindruckt, sagt er, denn genau an dieser Stelle treffen soziologische Untersuchungen und theologische Vorstellungen ineinander. Insofern ginge es darum, dass der Glaube eine Ressource sein könne, auch im Blick auf den Begriff der Erlösung, die uns freimache von der absoluten Macht des Leidens.

Mit Patienten über den Glauben sprechen

Eine Frage, mit der Langenfeld mehrfach konfrontiert wurde, war die Frage danach, wie Ärzte gegenüber den Patienten ihrem Glauben Ausdruck geben könnten und ob es aus theologischer Sicht übergriffig sei, wenn ein Arzt zu einem schwer kranken Patienten sagen würde, ich bete für Sie. Langenfeld verneint dies: „Für einige Ärzte ist es ein wichtiges Thema, wie sie mit dem Glauben im Gespräch mit den Patienten umgehen. Ich meine, dass eine Ärztin oder ein Arzt durchaus seine Hoffnung zum Ausdruck bringen und Rechenschaft über das, was er glaubt, ablegen darf. Warum sollten wir nicht über die eigene Hoffnung sprechen?“

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