„Gott zeigt sich in Prozessen“ – Interview mit Dr. Peter Klasvogt

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Herr Dr. Klasvogt, „Kirche neu erfinden“ heißt Ihr Buch. Geht das überhaupt, die Kirche neu erfinden?

Dr. Klasvogt: „Ja und nein! Der Titel ist doppeldeutig gesetzt: Kirche neu finden, Kirche neu erfinden. Und damit spielt dieses Buch. Können wir die Kirche neu erfinden? Nein, können wir nicht, sie ist von Jesus Christus gestiftet. Aber sie lässt sich neu finden, und wir müssen zu verstehen suchen, was die angemessene Gestalt der Kirche in unserer Zeit ist. Der Titel ist angelehnt an das Buch des Organisationspsychologen Frederic Laloux: „Reinventing organizations“ (Organisationen neu erfinden). Auch ihm geht es um die Weiterentwicklung einer Organisation.“

Laloux bewegt sich in der Wirtschaft und betrachtet überschaubare Organisationen. Die Kirche ist dagegen global und sehr alt, seit mindestens 50 Jahren hat es verschiedene Versuche gegeben, etwas in ihr zu verändern: Konzil, Würzburger Synode, aktuell der Synodale Weg, der weltweite synodale Prozess. Können Sie Menschen verstehen, die die Hoffnung auf Veränderungen aufgegeben haben?

Dr. Klasvogt: „Ja, ich kann jeden verstehen, der daran verzweifelt. Gerade das Zweite Vatikanische Konzil hatte unglaubliches Hoffnungspotenzial. Das war in einer Zeit, in der man insgesamt sehr dynamisch nach vorne gedacht hat. Die Würzburger Synode hat zehn Jahre später erfolgreich mit dem Narrativ der Hoffnung versucht, der Kirche eine zeitgemäße Gestalt zu geben. Unter Johannes Paul II. und Kardinal Ratzinger gab es dann die Tendenz, das abzusichern, was vorhanden war. Die Angst vor der Disruption, dem Zerbrechen, war sehr groß. Heute haben wir mit Franziskus einen Papst, der sinngemäß sagt: Wir können den Status Quo nicht einfrieren, sondern Gott zeigt sich in Prozessen. Franziskus setzt bei Paul VI. an, der ja der eigentliche Konzilspapst war. Er hat die Leitbegriffe Dienst und Dialog in das Konzil eingebracht. Genau darüber reden wir heute: Wir brauchen eine dienende und eine dialogische Kirche.“

Aber Paul VI. hat im Vorfeld der Enzyklika „Humanae Vitae“ genau dieses Prinzip verlassen und eben nicht auf die von ihm eingesetzte Kommission gehört. Das hat damals mindestens für so viel Ärger gesorgt wie der Inhalt des Schreibens.

Dr. Klasvogt: „Ja, das ist die Tragik dieses Papstes. Da war er ängstlich und hat gezaudert. Dennoch halte ich ihn für den größten Papst des 20. Jahrhunderts. Er hat Gremien initiiert: Kommissionen, Bischofskonferenzen, Pastoralräte – das alles wäre ohne Paul VI. nicht denkbar. Er hatte nicht nur eine Vision, sondern sie auch sehr konsequent umgesetzt und der war Erste, der mit „Populorum Progressio“ das Thema der Entwicklung aufgebracht, also wirklich global gedacht hat. Daran knüpft Franziskus heute an.“

Das Wort zaudern, mit dem Sie gerade Paul VI. beschrieben haben, würde manchen zu Franziskus einfallen. Er setzt Dinge in Gang, entscheidet aber nicht, wenn es darauf ankommt.

Dr. Klasvogt: „Das sehe ich anders! Man muss wissen, wie Prozesse initiiert werden und wie viele Räder ineinandergreifen müssen, bis sie eine Wirkung entfalten. Wir erleben einen Reformpapst, der seiner Kirche top down Reformschritte verordnet, die sehr mühsam sind. Es gibt viele Beharrungskräfte, aber wenn Sie die Einladung zum weltweiten synodalen Prozess sehen: Er hat Eile und er braucht Verbündete.“

Dr. Peter Klasvogt

P. Hagencord SJ, der verstorbene Leiter von Radio Vatikan, hat einmal über ihn gesagt: „Man erwartet Entscheidungen und bekommt Prozesse.“ In Deutschland hat man eher den Eindruck: Man bekommt Entscheidungen, die Prozesse verhindern, etwa in Köln. Man weiß auch nicht, wie er über den Synodalen Weg hierzulande denkt. Oder ist das alles wieder nur eine mäkelige Sicht aus Deutschland?

Dr. Klasvogt: „Der Brief, den er zu Beginn des Synodalen Weges an das pilgernde Gottesvolk geschrieben hat, ist wegweisend, den sollte man sich wirklich genau anschauen. Da steht etwas von Ermöglichung! Gleichzeitig gibt es in unserer Kirche Tendenzen, die römische Beobachter erschrecken lassen. Wenn etwa die Initiative „Maria 2.0“ mit Maximalforderungen auftritt oder wenn bei der Synodalversammlung die Frage aufgeworfen wird, ob es überhaupt noch Priester braucht. So etwas macht es in der Vermittlung schwierig und behindert die Schritte, die man jetzt schon gehen könnte.“

Was Sie als Maximalforderung bezeichnen, ist doch in der Gesellschaft längst akzeptiert. Ist das nicht ein großes Problem der Kirche, dass sie sich von gesellschaftlichen Entwicklungen ziemlich abgekoppelt hat und hinterherhinkt?

Dr. Klasvogt: „In ihrer konkreten Gestalt – nicht in ihrer sakramentalen Verfasstheit – muss die Kirche anschlussfähig sein für gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Franziskus sagt ja, dass der Geist uns Christen immer wieder herausfordert, auch durch gesellschaftliche Veränderungen und Aufbrüche. Aber es wäre zu einfach, sich lediglich dem gesellschaftlichen Erwartungsdruck zu beugen. In der gegenwärtigen Situation drehen sich die Forderungen nach einer Kirchenreform vor allem um organisatorische Fragen, um Strukturfragen, die sicher wichtig sind. Darüber werden die Gottesfrage, die Existenzfragen der Menschen leicht in den Hintergrund gedrängt: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was bedeutet es, mit diesem Gott durch die Zeit zu gehen?“

Das gesamte Interview ist in der aktuellen DOM-Ausgabe abgedruckt. Hier geht es zum E-Paper und zum Probe-Abo.

Mit Peter Klasvogt sprach Claudia Auffenberg

Info zum neuen Buch von Peter Klasvogt

Dr. Klasvogt: „Kirche neu erfinden. Lebendiger Organismus. Lernende Organisation“ lautet der Titel des neuen Buches von Dr. Peter Klasvogt. Inspiriert ist es von den Ideen des Organisationsberaters und Wirtschaftsphilosophen Frederic Laloux und dessen Werk „Reinventing Organizations“. Darin wirbt Laloux für eine evolutionäre Form der Unternehmensführung. In einer komplexen Welt könne es nicht mehr funktionieren, dass ein Firmenchef von oben alles überblickt und nach Plan steuert und entscheidet. Vielmehr müsse dies im Team bzw. nach Kompetenzen im Team geschehen. In seinem Buch stellt Laloux Firmen und gemeinnützige Einrichtungen vor, die so arbeiten, etwa den niederländischen Pflegedienst Buutzorg, der inzwischen auch in Deutschland aktiv ist. Diesen Ansatz überträgt Klasvogt auf die katholische Kirche.“

Das Buch ist im Bonifatius-Verlag erschienen, ISBN 978-3-89710-883-7

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