Stumme Zeitzeugin

Die Kirche ist täglich von 9 bis 18 Uhr für alle Interessierten geöffnet. Als besonderes Angebot können alle Besucher und Besucherinnen in ein „Anliegenbuch“ ihre Sorgen, Gedanken und Wünsche schreiben, die dann Pastoralreferentin Hildegard Himmel und die evangelische Pfarrerin Antje Hirland im Gebet oder im Gottesdienst aufgreifen.

Drei kuriose Karrieren: Vom Klosterabt zum Direktor einer „Kranken- und Irrenanstalt“, vom Koch zum Pfleger und vom Mönch zum ersten Patienten. Was war geschehen? Um 1748 schenkt Adam Heinrich Todt, der durch den Kupferbergbau reich geworden ist, den Kapuzinern Land für einen Klosterbau in Marsberg. Es wird eifrig gebaut, doch bereits 1812 erfolgt die Aufhebung des Kapuzinerklosters und der Umbau zu einer Heilanstalt beginnt. 

Enormer Zulauf

Die drei Mönche starten ihre zweite Karriere. Doch nicht lange, ab 1816 übernimmt der preußische Staat mit weltlichem Personal die Betriebsführung. Küster Gerd Rosenkranz erzählt: „Die damals sogenannten ‚Wärterinnen und Wärter‘ begannen mit einem Knochenjob. Denn noch gab es keine Wasserleitungen. Sie holten das Wasser in Eimern aus der Glinde, dem Diemel-Zufluss, der unmittelbar neben den Kliniken vorbeifließt.“ 55 Jahre später, 1871, übernehmen Vinzentinerinnen aus Paderborn die Pflege der Patientinnen. Der Zulauf ist enorm: Die neuen revolutionären Behandlungsformen sorgen für eine Antragsflut. 

Am 28.Mai 1872 wird die Klinikkirche dem „Hl.Johannes von Gott und St.Dionysius“ geweiht. Zentral auf dem parkähnlichen Klinikgelände der LWL-Einrichtungen Marsberg gelegen, ist die Kirche von imposanten und seltenen Bäumen umgeben. Küster Rosenkranz sagt: „Man wollte den Kranken etwas Gutes tun. Bis zum 18.Jahrhundert wurden psychisch Kranke angebunden, in Keller gesperrt und sich selbst überlassen. Die Blumen, Bäume und die frische Luft waren dazu ein großer Gegensatz.“

Kirche als Wegbegleiter

Hinter der Kirchentür zaubern durch farbige Glasfenster fallende Sonnenstrahlen ein mystisch-buntes Spiel von Licht und Schatten auf den Boden. Früher waren die Wände dunkel, heute sind sie weiß gestrichen. Ein Kreuzweg unbekannter Herkunft zeigt ausdrucksstarke Bilder. Die Machart lässt eine Arbeit aus den Werkstätten der Einrichtungen vermuten. „Die Kirche ist nicht nur Wegbegleiterin von Patientinnen und Patienten, Nutzerinnen und Nutzern, sondern auch von ganzen Generationen von Marsberger Familien, die in den Einrichtungen arbeiten“, so Rosenkranz. „Früher waren hier viele Patienten mit schwersten geistigen Behinderungen. Damals gab es nur wenige Behandlungen von Süchten.“

Die Krankheitsbilder wandeln sich, die Kirche bleibt. Heute sind die LWL-Einrichtungen am Standort Marsberg ein modernes psychiatrisch-psychotherapeutisches Behandlungszentrum für Menschen mit psychischen Störungen und Suchtkranke. Die Kirche als geschützter Raum der Begegnung ist nach wie vor von zentraler Bedeutung. Die Besucher und Besucherinnen beten nicht nur, sondern singen, spielen Akkordeon oder lesen. Ein Gotteshaus im wahrsten Sinne des Wortes: ein Zuhause. „Viele geistliche Angebote spielen sich inzwischen direkt auf den Stationen ab. Früher blieben die Menschen Jahrzehnte, heute beträgt der Aufenthalt oft nur wenige Tage oder Wochen“, sagt Rosenkranz. Als Simultankirche nutzen evangelische und katholische Christen den Sakralbau. Seit einigen Jahren feiern auch russisch-orthodoxe Gläubige in der Klinikkirche ihren Gottesdienst.

(jw)

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