27.07.2021

„In der Not verbunden“

Die Almebrücke in Schloß Neuhaus kann dem Wasserdruck nicht standhalten und zerbirst in den frühen Morgenstunden des 17.Juli 1965. (Foto: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn)

Die verheerende Hochwasserkatastrophe der vergangenen Wochen hat tragische Spuren der Verwüstung hinterlassen. Was es konkret bedeutet, wenn eine Flutwelle das Leben einer Dorfgemeinschaft grundlegend verändert, darüber spricht der Bischof von Osnabrück, Franz-Josef Bode. Im Juli 1965 hatte er als 14-Jähriger miterleben müssen, wie die Heinrichsflut sein Heimatdorf Etteln erreichte. 200 Menschen wurden damals von den Wassermassen eingeschlossen. Vier Kinder und ihre Großmutter ertranken. Auch das Haus von Bodes Familie stand zwei Meter unter Wasser. Kein Buch blieb trocken. Sein Klavier, das ihm die Eltern geschenkt hatten, war zerstört.

Herr Bischof, was lösen die Bilder der Flutkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz bei Ihnen aus?

Mir kommen viele Bilder der sogenannten Heinrichsflut am 16.Juli 1965 in meinem Heimatort Etteln wieder in den Sinn: das unglaubliche Ausmaß der Zerstörung durch das ungebändigte Wasser der Altenau, der schnelle, immer weiter ansteigende Pegel durch den Starkregen und die große Angst der Menschen um ihr Leben und die Sorge um das Vieh. In Etteln sind über 1000 Schweine und ebenso viele Rinder ertrunken. Der Tod von vier Kindern im Alter von ein bis sieben Jahren und ihrer Oma unter dramatischen Umständen hat unser Dorf tief erschüttert. Und auch die Nachfolgeprobleme waren nicht leicht zu lösen: Räumarbeiten, die Einteilung der karitativen und finanziellen Hilfen, die Flurbereinigungsfragen, die zu viel Unfrieden geführt haben. Eine Dorfgemeinschaft wird durch solche Erfahrungen für lange Jahre „irritiert“. 

Was hat Sie damals getröstet (vor allem in den Wochen danach)?

Ich war damals 14 Jahre alt. Mein Klavier – ein Geschenk, über das ich mich kurz vorher noch so sehr gefreut hatte – zerfiel im Wasser in seine Einzelteile. Alle Schulbücher waren zerstört und viele andere Dinge, die mir lieb waren. Zuallererst war tröstlich, dass so viele Menschen plötzlich zur Hilfe da waren und wir uns alle in der Not verbunden wussten. Getröstet hat mich die Resolutheit meiner Mutter, die nicht lange herumjammerte über die völlige Zerstörung unseres Ladens und sofort anfing, den schrecklichen, einen halben Meter hohen Schlamm in die zurückgehende Flut zu schieben.

Getröstet hat mich auch, dass die nicht so stark Betroffenen in großer Solidarität zu uns standen und dass der Sonntagsgottesdienst trotz Wasser in der Kirche gefeiert wurde. Die Beerdigung der Toten war ein Zeugnis ungebrochenen Vertrauens auf den Gott, der mit den Menschen leidet und aushält. Vor allem hat mich der feste Glaube der Mutter der vier ertrunkenen Kinder beeindruckt. 

Nie wieder solle eine Flut kommen und die Erde verderben, hat Gott dem Noah versprochen (Gen9,11). Hat Gott sein Versprechen gebrochen oder gar vergessen?

Eine Frau schrie damals genau diese Frage aus ihrem Fenster gegen den Himmel angesichts der steigenden Wassermassen. Ich habe das heute noch im Ohr. Und es war seinerzeit auch meine Frage, da ich schon mit dem Gedanken spielte, Priester zu werden. Ich denke, die Erzählung von der Sintflut in Genesis 9 will deutlich machen, dass Gott auch nach leidvollsten Erfahrungen, die im Weltbild jener Zeit eine Strafe waren, doch einen absolut neuen Anfang setzt.

Der Bogen in den Wolken soll doch das Zeichen sein, dass es nichts geben wird, dem Gott nicht eine neue Wendung geben könnte. Dass er diesen Weg geht, das Leid nicht abzuschaffen, sondern es dann in Jesus Christus sogar ganz irdisch mit durchzustehen, ist das tiefste Geheimnis unseres Glaubens. Es bedeutet aber, dass Menschen sich auch in diesen äußersten Situationen getragen wissen dürfen, weil Gott sie mit uns aushält. Der durchgehaltene Glauben der Mutter der ertrunkenen Kinder und ihr Vertrauen in Gott sagt mir darüber mehr als viel theologisches Ringen nach Worten und Erklärungen.

0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen