7 Min.
12.04.2024
Foto / Quelle: © Dieter Schonlau

„Wen man liebt, den lässt man nicht untergehen“

Über 4 000 Nächte haben Dieter Schonlau und seine Ehefrau Sandra Hanke im Regenwald verbracht. Mit der Kamera fangen sie die atemberaubende Vielfalt des Dschungels ein.

Text: Patrick Kleibold / Fotos: Dieter Schonlau

Ein grüner Ozean aus Farnen, Moosen, Lianen und Urwaldriesen hoch wie Kirchtürme. Farbenprächtige Schmetterlinge und Vögel, leuchtende Pilze, wild lebende Orang-Utans und Blumen in allen Farbschattierungen machen die Faszination der Tropen aus. Der tropische Regenwald ist der artenreichste, zugleich älteste und der wohl spannendste Lebensraum der Welt. Ein natürliches Wunder unserer Erde, das durch die Gier der Menschen nach immer mehr Besitz massiv bedroht ist.

Zwei Menschen, die sich mit dem Raubbau an der Natur nicht abfinden wollen, sind Sandra Hanke (56) und Dieter Schonlau (61). Um diesem Lebensraum seine Geheimnisse zu entlocken, ist den beiden Naturfotografen keine Strapaze zu groß. Seit 37 Jahren reist das Paar aus Paderborn in die Dschungel dieser Erde – von Sumatra bis Surinam, von Bolivien bis Borneo. Mit ihren Bildern geben sie einen Blick hinter den grünen Vorhang und setzen sich damit für den Erhalt dieser Wunderwelt ein.

Von vielen als grüne Hölle bezeichnet, haben die beiden Abenteurer jedoch einen anderen Blick auf die Regenwälder: „Dicht am Äquator liegt eine Landschaft von unvergleichbarer Schönheit. Wenn spärliche Sonnenstrahlen durch die Kronen der Baumriesen dringen, Brüllaffenrufe die dampfende Luft erfüllen, eine Anakonda im seichten Wasser ein Sonnenbad nimmt, dann spüren wir: Der Dschungel ist ein gewaltiges Abenteuer und ein einzigartiges Geschenk. Um seine großen und kleinen Wunder erleben zu können, schlafen wir in Hängematten, nehmen Tausende von Insektenstichen hin und schleppen unsere schwere Kameraausrüstung durch feuchtheißes Klima“, erzählt Dieter Schonlau.

Seine Faszination für den Regenwald habe schon früh begonnen. Solange er zurückdenken kann, sei er fasziniert von Bildern und Geschichten aus dem Dschungel. Seine Mutter habe ihm erzählt, dass er schon als Kind Dschungelforscher werden wollte, obwohl er das Wort damals noch gar nicht richtig aussprechen konnte. „Forscher bin ich zwar nicht geworden, aber der Wunsch, selbst einmal durch Urwälder zu streifen und geheimnisvolle Lebewesen zu entdecken, steckt seit jenen Kindertagen in mir“, beschreibt er seine Faszination, die er mit seiner Frau Sandra teilt. Kennengelernt haben die beiden sich 1986 in einer Diskothek. Schnell stellten die beiden fest, dass ihre Traumwelten auf denselben Breitengraden liegen. So beschlossen sie, gemeinsam dorthin aufzubrechen, um das Leben in den Regenwaldregionen der Erde und auch dessen Zerstörung zu dokumentieren.

Foto / Quelle: © Dieter Schonlau

Mehr als 4 000 Nächte im Zelt

„Der Regenwald ist ein lebenswichtiges Organ unseres Planeten. Doch momentan ist die Menschheit dabei, dieses Organ für immer zu zerstören. Die Abholzung hat erschreckende Dimensionen angenommen“, berichtet Sandra Hanke. „Mit unseren Bildern und Geschichten möchten wir Menschen begeistern: Sie mögen den Regenwald lieben! Denn wen man liebt, den lässt man auch nicht untergehen“, sind die beiden überzeugt.

Einen Blick auf die Entwicklung der vergangenen Jahre macht deutlich: Das Engagement der beiden ist wichtiger denn je. Ihr Anliegen geht uns alle an. Jährlich werden riesige Flächen des Regenwaldes abgeholzt – „für Holz, Papier, Umwandlung in Ölpalm- oder Sojaplantagen, Rinderweiden oder zur Ausbeutung von Bodenschätzen“, berichtet der Verein „Abenteuer Regenwald“.

Wir alle hören von den erschreckenden Nachrichten aus den Tropen, sind darüber bestürzt und rufen nach Veränderungen. Einen großen Anteil daran, dass wir von dem Raubbau und zugleich auch von der Schönheit des Regenwaldes erfahren, haben Sandra und Dieter. Mit ihren faszinierenden Bildern sensibilisieren sie für die „umfassende sozio-­ökologische Krise“, wie sie Papst Franziskus in seiner zweiten Enzyklika „Laudato si – Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ nannte. Franziskus sprach davon, dass Umweltschutz, Armutsbekämpfung und der Einsatz für Menschenwürde untrennbar zusammengehören und wendete sich zugleich an „alle Menschen guten Willens“, den Raubbau an der Natur so schnell wie möglich einzustellen.

„Machen wir mit der rücksichtslosen Ausbeutung so weiter wie bisher, verschwindet nicht nur der Schöpfungsreichtum von unserem Planeten. Es ist fraglich, ob die Menschheit ohne die grüne Lunge der Erde überhaupt existieren kann“, sagt Dieter Schonlau. Mit seiner Frau hat er mehr als 4 000 Nächte im Zelt oder in selbst gebauten Unterschlüpfen verbracht. Sie haben auch mit Ureinwohnern zusammengelebt, sie bei der Jagd begleitet und Tiere in ihrer natürlichen Umgebung erlebt. Die Geschichten, die die beiden erzählen, machen den Zuhörer – der noch niemals im Regenwald war – sprachlos. Ihre Leidenschaft und ihre Energie sind ansteckend.

Der Geruch von Moos und Fäulnis

„Im Dschungel finde ich meinen inneren Frieden, spüre das Leben“, sagt Dieter. Besonders magisch wirke der Dschungel bei Nacht. „Anders als am Tag achtet man auf jede Kleinigkeit. Ein Geruch von frischem Moos und Fäulnis mischt sich mit dem Duft der Blüten. Um uns herum erklingt die Nachtmusik unzähliger Geschöpfe, und Glühwürmchen auf Partnersuche führen ihre Tänze auf. Auf unseren Wanderungen benutzen wir nur Wege, die wir schon bei Licht erkundet haben. Doch mit dem Wiedererkennen ist das so eine Sache. Alles scheint dichter zusammenzurücken, aus grünen Vorhängen werden Mauern.“

Und hinter diesen grünen Vorhängen die Schönheit der Tierwelt zu entdecken, ist nicht immer ganz einfach, wie Dieter sich an ein ganz besonderes und äußerst seltenes Ereignis erinnert. Damals an diesem Tag war er mit seiner Fotoausrüstung hoch auf einen Baum geklettert, um das morgendliche Lichtspiel über dem Urwald einzufangen. Als „Lichtjäger auf der Lauer“, wie er sich selbst bezeichnet, lag er in etwa 40 Metern Höhe auf einer Baumplattform inmitten des dichten Regenwald-­Blätterdaches. Morgen für Morgen wartete er in dieser Höhe auf diesen einen und so lange herbeigesehnten magischen Moment.

Ein leises Knacken in einer Baumkrone

Doch welche Magie er an diesem Tag spüren durfte, war ihm zuvor nicht bewusst. Vielleicht hätte er nicht einmal davon zu träumen gewagt. „Es war irgendwann am siebten oder elften Tag, als ich frühmorgens – zu dem Zeitpunkt, als die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg durch das Blätterdach fanden – ein leises Knacken aus der Krone eines nahen Baumes hörte“, schildert Dieter seine Erinnerungen. Er schaute genauer hin. Seine Bewegung fror im selben Moment ein. Es war eine Orang-Utan-­Mutter mit ihrem Kind auf Wanderschaft. Sie waren auf der Suche nach neuen Nahrungsgebieten. Schnell positionierte der Paderborner seine Kamera, um die Mutter und das vor ihr hergehende Junge einzufangen. „Ich kann nicht sagen, wie lange es dauerte, bis sie im dichten Grün verschwunden waren. Ich hockte nur da – starr vor Glück. Später stellte ich fest, dass ich nur zwei Fotos gemacht hatte. Sollte mich das ärgern? Es ärgert mich nicht. Die Bilder sind auf meiner inneren Festplatte gespeichert“, erzählt Dieter freudestrahlend.

Dunkle Leiber im Schatten des Dschungels

Bei einer Tour im Regenwald von Sumatra hatten sie das Glück, eine Herde von Waldelefanten zu erleben. Ihre Erinnerung hielten sie nach der Reise schriftlich fest: „Das Ästeknacken wurde lauter, und hin und wieder konnten wir eine Art Grollen wahrnehmen. Die Waldelefanten mussten direkt vor uns sein. Und dann sahen wir sie: massige, dunkle Leiber, die meisten noch im tiefen Schatten des Dschungels. Es war eine Herde von mehr als 15 Tieren. Mit den Vorderbeinen scharrten einige von ihnen den Waldboden auf, schaufelten sich mit dem Rüssel Erde ins Maul, um dann genüsslich zu kauen. Plötzlich wurde uns klar, warum diese Gruppe Sumatra-­Elefanten immer wieder dieselbe Stelle im Regenwald aufsuchte: Im Boden mussten Mineralien sein – die Dickhäuter wussten es intuitiv.“

Doch es sind nicht allein die großen Tiere, die die Faszination Dschungel für die beiden Paderborner ausmachen. Eines Tages fiel ihnen etwas Metallisch-­Pinkiges auf. Sie schauten genauer hin und konnten es kaum fassen. Es war ein winziger Kolibri, etwas größer als eine Hummel. „Über zwei Stunden konnten wir diese männliche Elliot­elfe, die nur in Guatemala vorkommt, bei ihrem Balzritual beobachten. Sie spannte ihre winzigen Halsfedern zu einem Federkranz, bis sie im richtigen Winkel zum Sonnenlicht hockte und dieser Kranz in Pink aufleuchtete.“

Geschichten wie diese haben die beiden Paderborner in Hülle und Fülle zu erzählen: Einmal kam ein ausgewachsener Puma auf ihn zu, andere Male sahen sie Schlangen oder Insekten, die nur den wenigsten bekannt sind. Trotz all dieser Begegnungen, Angst haben sie nicht im Regenwald. Wovor auch? In all den Jahren haben sie höchstens ein Dutzend Mal gefährliche Schlangen gesehen. Und bis jetzt ist ihnen nichts Ernsthaftes passiert. „Zum einen liegt das an unserer Erfahrung, zum anderen an vielen Vorsichtsmaßnahmen. Natürlich gibt es Lebewesen, die zur Jagd oder Abwehr hochgiftige Substanzen einsetzen, und andere, die durch Bisse oder Stiche gefährliche Krankheiten übertragen können. Wir schlafen deshalb immer unter einem Moskitonetz, verwenden Insektenschutzmittel, tragen selbst bei größter Hitze lange Kleidung und auch auf den kürzesten Wegen festes Schuhwerk. So eine Expedition ist eben kein Spaziergang im Garten Eden“, sagt Dieter.

Begegnungen mit indigenen Völkern

So faszinierend die Natur der Regenwälder auch ist, zu den tiefsten Eindrücken zählen für Sandra und Dieter ihre Begegnungen mit Menschen. In West-­Malaysia verbrachten sie mehrere Wochen bei den Orang Aslis, den Ureinwohnern einer einst waldreichen Region. Ihre Siedlung liegt in einem abgelegenen Tal des Taman-Negara-­Nationalparks. „Sandra und ich können uns nicht erinnern, jemals so enthusiastisch begrüßt worden zu sein. Unser Zelt durften wir nicht aufbauen, schließlich waren wir Gäste. In einer Hütte hatten die Orang Aslis bereits einen Bereich für uns mit Tüchern abgetrennt.“ Auch mit einigen indigenen Völkern vom Volk der ­Trios!s in Surinam verbindet die beiden eine Freundschaft. Sie alle seien extrem offen und gastfreundlich. Oft durchstreiften sie mit ihnen die entlegensten Regionen und lernten bei jedem Schritt dazu.

Viele ihrer Reiseträume sind bereits in Erfüllung gegangen. Der nächste folgt im ­April dieses Jahres. Dann reisen Dieter und Sandra nach Borneo und begleiten ein indigenes Volk, das sie vor Jahren kennengelernt haben. Sicher ist: Auf dieser Reise werden sie sicherlich wieder täglich etwas erleben, das sie zuvor noch nie gesehen haben. Und bestimmt nehmen sie uns auch zukünftig mit ihren Bildern auf eine Reise mit in die Wunderwelt Dschungel. Was kann es Schöneres geben, als sich mit solchen faszinierenden Bildern für den Erhalt der Schöpfung einzusetzen?

Foto / Quelle: © Dieter Schonlau

Hintergrund

Von Paderborn in den Dschungel: Seit 37 Jahren bereisen der Paderborner Tierfotograf Dieter Schonlau und seine Frau Sandra Hanke die Regenwälder dieser Welt. Was sie dabei gesehen und erlebt haben, präsentieren sie in ihrem Bildband „Dschungelleben – Von Lebensträumen und bedrohten Wäldern“. Zwölf Jahre Arbeit stecken in dem selbst verlegten Buch, das zum Preis von 44 Euro nur über die Webseite von Dieter Schonlau erhältlich ist. 

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