Was haben Kinderbibeln mit Diskriminierung zu tun?
Der Turmbau zu Babel, Jesus und Lazarus – Kinderbibeln veranschaulichen typische Szenen aus dem Alten und Neuen Testament. Aber wie kann mit diesen Bildern ein Zeichen für eine offene Gesellschaft gesetzt werden?
„Begeben Sie sich auf eine Reise in das Kinderzimmer Ihrer Kindheit“, sagt Anne Bezzel. „Stellen Sie sich das Bücherregal vor und bewegen Sie Ihre Augen durch die Reihen.“ Während etwa zehn Menschen in einem Kreis sitzen, über ihnen das Gemäuer eines mittelalterlichen Kellerwerks, fragt die Bildungsreferentin: „Welche Bibelgeschichten kommen Ihnen in den Sinn?“
Was wie eine kleine spirituelle Reise wirkt, ist Teil einer Veranstaltung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und der Amadeu-Antonio-Stiftung zum Thema Rassismus, die in Erfurt stattfand. Während eine Harfe erklingt, denken Gemeindemitglieder, Geistliche und Kirchenmitarbeiter darüber nach, wie sie sensibler für Diskriminierung werden können.
Jesus mit weißer Haut?
Diese sei eng mit den Bildern verbunden, „die in unserem Kopf aufkommen, wenn wir über das nachdenken, was wir als Kind gelesen und gesehen haben“, sagt Bezzel. „Wir wissen zum Beispiel oft gar nicht, wieso wir uns Gott und die Welt des Alten und Neuen Testaments so vorstellen, wie wir es tun.“ Wieso etwa werde Jesus meistens als weißer Mensch gezeigt, obwohl er in Bethlehem, im heutigen Westjordanland geboren wurde?
Friederike Wulff-Wagenknecht, ebenfalls Bildungsreferentin, holt ein Buch hervor: eine Seite aus einer Kinderbibel mit einem Bild von Menschen, die in einem Kreis sitzen. Vor ihnen liegen belegte Brotstücke, über ihren Köpfen ist eine brennende Flamme zu sehen. In dem Haus, in dem die ersten Christen Pfingsten erleben, sitzt auch ein Mann mit jüdischer Kopfbedeckung.
Für die Referentin ist das ein Beispiel dafür, wie man Kindern ein partnerschaftliches Verhältnis von frühen Christen und Juden zeigen kann. Denn der Maler des Bildes zeige jüdische Symbole wie etwa die Kippa, die in anderen Kinderbibeln nicht dargestellt würden. Zudem gebe es auch Bibeln, die Jüdinnen und Juden getrennt von Christinnen und Christen zeige – aus der Sicht Wulff-Wagenknechts ein Beispiel dafür, wie das Trennende der Religionsgemeinschaften hervorgehoben werde. Dies präge sich schon früh in den Köpfen von Kindern ein.
Sie zeigt im Workshop eine andere Malerei aus einer Kinderbibel: Jesus im Tempel, umgeben von als jüdisch erkennbaren Gelehrten. Um sie herum liegen Rollen der Thora der jüdischen Schrift. Wulff-Wagenknecht berichtet, dass sie die Geschichte, als Jesus unbemerkt Maria und Josef verlässt, um mit den Gelehrten zu diskutieren, anders kennengelernt habe – ohne jüdische Symbole und ohne den Bezug zum Pessachfest. Die Malerei in dieser Kinderbibel hingegen zeige eine anregende Diskussionen zwischen den Beteiligten und vermittle Dialog statt Trennung. Als Gegenbeispiel zeigt sie ein Bild mit jüdischen Gelehrten, die Jesus kritisch beäugen.
Rassismus als "Alltagsproblem"
„Rassismus ist ein Alltagsproblem“, sagt Nathalie Eleyth, evangelische Theologin und Religionswissenschaftlerin vom Institut für Sozialethik der Universität Zürich. Sie denkt über die Bibelpassagen hinaus und wirft den Blick darauf, wie in Deutschland über Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gesprochen werde: „Wenn wir an Rassismus denken, dann geht es in Deutschland häufig sofort um dessen schlimmste Eskalationsstufen, zum Beispiel Genozid“, sagt sie.
Häufig sei Rassismus aber viel subtiler und fange schon bei dem an, was die Forscherin „Mikroaggressionen“ nennt. Dazu zähle etwa, wenn jemandem, der keine weiße Hautfarbe habe, wohlmeinend gesagt werde, dass er gut Deutsch spreche. Denn dahinter stehe die Vorstellung, dass die Person eigentlich gar nicht „von hier“ sein könne, weil sie „weiß“ sein müsse, um gut Deutsch zu sprechen. Das Lob sei also nur ein vermeintliches Kompliment, mahnt Eleyths.
Wie die Kirche sensibler für Rassismus werden kann – das lässt sich diskutieren. Der Ton der Harfe, der wiederum am Ende des Workshops erklingt, bietet noch etwas Anderes: die Besinnlichkeit, die es braucht, um über eigene Erfahrungen nachzudenken – und sich auf die Mitmenschen vielleicht ein Stückchen reflektierter einzulassen.