Paketboten zwischen Weihnachtsstress und Knebelverträgen
Alles für die Bescherung: Immer mehr Menschen lassen sich Pakete kommen, statt selbst einzukaufen. Doch der Komfort hat Folgen.
Die Lieferung verzögert sich aufgrund des hohen Bestellaufkommens. So ähnlich warnen Paketdienstleister die Kunden im Weihnachtsgeschäft vor längeren Wartezeiten. Für den Verbraucher ist das ein bisschen ärgerlich. Für die Paketboten bedeutet diese Zeit wiederum blanken Stress, verbunden mit teils hunderten Lieferungen am Tag. Hinzu kommt, dass die Zusteller oft ohnehin mit unfairen Verträgen und Arbeitsbedingungen geschlagen sind. Der Jurist Klaus Körner spricht von Lohnraub, der Menschenrechtler und Priester Peter Kossen von moderner Sklaverei.
„Was im logistischen Dienst läuft, ist Wilder Westen“, erläutert Körner. Der pensionierte Rechtsanwalt berät Arbeitnehmer bei der „Aktion Würde und Gerechtigkeit“, die sich auf die Beratung von Migranten spezialisiert hat. Körner wirft den meisten großen Paketdienstleistern vor, gezielt die Rechte ihrer Zusteller zu untergraben – meist durch die Nutzung von Subunternehmern. „Sie umgehen die Höchstarbeitszeit, den Mindestlohn und den Kündigungsschutz“, beklagt der Anwalt.
Rennen für den Achtstundentag
Zu den widrigen Vertragsbedingungen kommt das steigende Arbeitspensum, sagt Körner. Laut dem aktuellen „Bericht zum Paketmarkt“ der Bundesnetzagentur stieg das Paketvolumen in Deutschland zwischen 2020 und 2024 von 3,7 Milliarden auf knapp 4,5 Milliarden Pakete im Jahr. Was das in Arbeitszeit bedeutet, verdeutlicht eine Rechnung der Gewerkschaft Verdi für 2023. Für dieses Jahr verzeichnete sie pro Paketboten eine Arbeitslast von bis zu 300 Paketen täglich, bei bis zu 220 Stopps. Bei einem Achtstundentag blieben damit pro Stopp nur 2,18 Minuten, Pause nicht mitgerechnet. „Das kann der Zusteller nur schaffen, wenn er von Haustür zu Haustür rennt“, meint Körner.
Ein solches Pensum ist nach Ansicht des Anwalts schwer mit Arbeitnehmerrechten vereinbar. „Deshalb schieben Dienstleister die Verantwortung gerne an Subunternehmer. Wenn etwas arbeitsrechtlich Fragwürdiges passiert, können sie behaupten: Wir haben von nichts gewusst.“
Körner hat schon einige Zusteller beraten, die mit ihrem Arbeitgeber in Streit gerieten. Oft erhielten Paketboten trotz Überstunden weniger Geld als vereinbart. Manche würden in Urlaub oder Krankheit nicht bezahlt oder verlören nach Krankheit einfach ihren Job – als Frau sogar während der Schwangerschaft.
Selbst von Gewalt weiß Körner zu berichten. „Ein Klient konnte an einem Tag nicht alle Pakete ins Auto laden, obwohl er schon den Beifahrersitz vollgestapelt hat“, erinnert er sich. Der Subunternehmer habe den Zusteller am Telefon zur Rede gestellt und ihn an einen Rastplatz zitiert, um dort die restlichen Pakete einzuladen. „Stattdessen wartete der Chef mit einem Knüppel, verprügelte meinen Klienten, ließ ihn verletzt liegen und fuhr mit dem Lieferwagen weg.“
Probleme mit der Sprache
Es sind Geschichten, die auch Peter Kossen (Aktion Würde und Gerechtigkeit) aus seiner Arbeit kennt. Leider sei es oft schwer, juristisch dagegen vorzugehen. Ein Problem sei die Sprachbarriere. „Viele Zusteller kommen aus Rumänien oder Bulgarien. Sie unterschreiben Arbeitsverträge, die sie gar nicht verstehen“, sagt der Priester. Formal seien diese oft unfairen Verträge bindend, da es in der Verantwortung des Unterzeichners liege, sich über den Inhalt im Klaren zu sein. Viele gingen dann zu Dienstleistern oder Subunternehmern, die ihre Sprache sprechen. „Leider kommt es immer wieder vor, dass die Paketboten auch von Landsleuten ausgebeutet werden.“
Rechtlich wünschen sich Kossen und Körner, dass Bund und Länder die Nutzung von Subunternehmern eingrenzen – so wie es in der Fleischindustrie mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz von 2021 Regel ist. Auch vermehrte Kontrollen zur Einhaltung von eigentlich verpflichtender Zeiterfassung wären hilfreich. Dafür bräuchten die Behörden aber deutlich mehr Personal.
Nach Ansicht Kossens liegt es aber auch am Verbraucher, Paketboten das Leben leichter zu machen. Wer im Netz bestellt, könne Unternehmen auswählen, die wie etwa UPS auf Subunternehmen weitgehend verzichten. „Außerdem sollte man auf Expresszustellungen verzichten, die erhöhen den Stress nur“, meint Kossen. Und spätestens zu Weihnachten schade es nicht, seinen Zustellern zur Anerkennung ein Trinkgeld oder ein kleines Geschenk zu überreichen.