Oh du schreckliche
Perfektionsdruck um Weihnachten wird für chronisch Kranke zur Qual.
Die Tage sind gezählt – Advent und Weihnachten rücken näher. Für viele Menschen gehört diese Phase zu den stressigsten im Jahr. „Für Menschen mit chronischen Schmerzen kann die Weihnachtszeit besonders belastend sein“, sagt Martina Janning, Coachin für Rheuma-Betroffene und Stressmanagement-Trainerin. Schmerzen könnten sich bei Menschen mit chronisch-entzündlichen Schmerzen in der Adventszeit noch steigern, erklärt die Expertin. „Stress und Schmerz schaukeln sich bei ihnen gegenseitig hoch.“
Schmerzen sind grundsätzlich ein Warnsignal. „Bei chronischen Schmerzen ist der Körper sowieso schon im Daueralarm“, sagt Janning, die selbst Rheuma hat. „Kommt der Weihnachtsstress noch obendrauf, werden die Schmerzsignale stärker wahrgenommen.“ Menschen mit chronischen Erkrankungen sind außerdem oft schneller erschöpft. Bei Stress kommt es zu körperlicher Anspannung; Muskeln ziehen sich zusammen. Auch das kann Schmerzen verschlimmern.
Nach Weihnachten bräuchte man eine Auszeit
Die Phase fängt meistens im Advent an, steigert sich dann bis zu den Feiertagen und erreicht einen ersten Höhepunkt an Heiligabend. An Silvester kann das Stresslevel noch einmal zunehmen. „Im Grunde kommt erst dann Entspannung, wenn Weihnachten vorbei ist“, sagt Janning. „Optimal wäre es wahrscheinlich, direkt danach in den Urlaub zu fahren.“ Erste Warnsignale sind Missempfindungen, innere Unruhe oder schnelle Gereiztheit. „Das zeigt, dass unsere Nerven angespannt sind“, sagt Janning. Dann sollten Betroffene besser die Notbremse ziehen und sich eine Auszeit verschaffen. An den Festtagen ist das oft schwierig. Bescherung, Weihnachtsessen, Besuch bei der Oma: Die Festtage sind oft durchgetaktet. Was also tun?
„Viele Betroffene gehen dann erst einmal auf die Toilette“, erklärt Janning. „Für sie ist das ein Rückzugsraum.“ Kurze Spaziergänge könnten helfen abzuschalten. „Auch gedanklich können Sie aus einer Situation heraustreten“, rät Janning. „Stellen Sie sich vor, Ihre Umgebung aus der Vogelperspektive zu sehen. Sie zu beobachten, nicht mehr zu bewerten.“
Ebenso können Angehörige helfen. „Treffen Sie frühzeitige Absprachen“, lautet ein Tipp der Expertin. Zum Beispiel: „Überlegen Sie, wie Rückzugsmöglichkeiten geschaffen werden können.“ Gesundheitliche Einschränkungen sollten vorher besprochen werden. „Das Weihnachtsessen ist mit Gerichten wie der Weihnachtsgans oft sehr fleischlastig“, sagt Janning. „Viele Menschen mit chronisch-entzündlichen Schmerzen möchten das aber nicht essen. Fleischkonsum kann Entzündungen weiter befeuern.“
Wichtig sei es, mit den Menschen im Umfeld offen zu kommunizieren und klar zu sagen, wenn Ruhepausen benötigt werden. „Manche Betroffenen haben Schuldgefühle und fragen sich: Was denkt diese Person jetzt von mir?“, sagt Janning. „Man sollte sich aber zugestehen, dass Pausen keine Schwäche sind, sondern Selbstfürsorge.“ Hilfreich sei, wenn Menschen mit chronisch-entzündlichen Schmerzen erklären, wie sie sich in Stresssituationen fühlen: „Klare Kommunikation kommt allen Beteiligten zugute. Ansonsten bleiben Sie in einer Endlosschleife von Schmerz und Stress hängen.“
Gute Planung ist alles
Auch wenn Termine mit anderen Menschen bereits arrangiert sind: Rückzug ist erlaubt. Treffen können bei akuten gesundheitlichen Problemen auch abgesagt werden. „Sagen Sie: Heute geht es nicht so lange bei mir. Oder: Lass uns nächste Woche treffen“, empfiehlt die Coachin.
Janning rät dazu, schon frühzeitig vor der Adventszeit eine Liste mit anstehenden Aufgaben und Terminen anzulegen. Mit zwei Seiten: einer mit Muss-Aufgaben und einer anderen mit Kann-Aufgaben. „Pausen sollten in die Muss-Liste eingeplant werden“, sagt sie. „Außerdem 30 Prozent an Puffer. Selbst diese Zeit ist am Ende oft aufgebraucht.“
Vor allem aber sei es für Patientinnen und Patienten sinnvoll, die eigenen Erwartungen zu senken. „Man sollte sich von der Idee verabschieden, dass Weihnachten perfekt sein muss“, sagt Janning. Auch wenn andere Menschen die Erkrankung nicht immer verstehen könnten – der Stress verbindet: „Es gibt genug andere, die an Weihnachten auch ihre Ruhezeit brauchen.“