8 Min.
07.11.2025
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Friedhöfe sind Spiegel unserer Gesellschaft

Begräbnisstätten unterliegen einem stetigen Wandel. Beispielhaft stellen wir einige auf der Fläche des Erzbistums vor.

Von Patrick Kleibold, Andreas Wiedenhaus und Wolfgang Maas
Erzbistum Paderborn

Begräbnisstätten sind so alt wie die Menschheit selbst. Zu den weltweit berühmtesten gehört das Tal der Könige in Ägypten. In den Grabhöhlen sollten die Leichname der Könige ihre ewige Ruhe finden. Solche Bestattungsfelder waren im alten Ägypten jedoch die Ausnahme. Friedhöfe im heutigen Sinne gab es nicht. Die Toten wurden auf dem eigenen Land oder in der Wüste verscharrt. Anders war es bei den Griechen und Römern, die außerhalb der Städte erste Felder zur Bestattung angelegt hatten. Dort wurden Bürger der einfachen Bürgerschicht beerdigt. Reiche und angesehene Bürger wurden üblicherweise innerhalb der Stadtmauern beigesetzt. Sklaven wurden in Steingruben verscharrt und Mittellose eingeäschert.

Das Aufkommen des Christentums veränderte die Begräbniskultur grundlegend, da die Christen auch im Tod in der Gemeinschaft vereint sein wollten. So entstanden erste gemeinschaftliche Grabstätten. Bis zum 4. Jahrhundert wurden die Toten in unterirdischen Grabkammern beerdigt. Dabei seien manche Riten nicht dezidiert christlich. „Entworfen hat die Kirche sie nicht unbedingt alle selbst. Auch die frühen christlichen Bestattungsriten und bestimmte Gebete sind Übernahmen aus römischer und jüdischer Kultur“, sagte der Paderborner Lehrstuhlinhaber für Liturgiewissenschaft, Prof. Dr. Stephan Wahle.

Ein weiterer Wandel setzte mit der Anerkennung des Christentums durch Kaiser Konstantin ein. Von da an entstanden vielerorts Kirchen, um die herum Grabstätten angelegt wurden, die Kirchhöfe. Die Idee war, die Nähe Gottes zu den Toten zum Ausdruck zu bringen. Kritik an diesem zentralen Bestattungsort kam schnell auf und ab dem Mittelalter wurde gefordert, die Leichen nicht in unmittelbarer Nähe der Wohngebiete zu begraben. Beschleunigt wurde diese Entwicklung durch die Pest, wodurch außerhalb der Städte und Dörfer immer mehr Friedhöfe entstanden.

„Der schönste Friedhof der Welt“

Einen der berühmtesten und ältesten Kirchhöfe in Westfalen umgibt die Wormbacher Kirche im Sauerland. Die Wormbacher selbst sprechen gerne vom „schönsten Friedhof der Welt“. Nur die Sage weiß von diesem Kirchhof zu berichten, schriftliche Dokumente über sein Alter gibt es nicht. In früherer Zeit wurden die Verstorbenen von weit her auf sogenannten Totenpfaden zur Bestattung nach Wormbach gebracht. Mitten zwischen den Gräbern erhebt sich ein Lebensbaum wie ein Symbol für ein friedliches Miteinander von Leben und Tod.

Typisch für den Wormbacher Kirchhof sind die einheitlich gestalteten Gräber mit Holzkreuzen.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Vor allem wegen seiner schlichten Holzkreuze und weil er geschützt wird von einem dichten Kranz 300-­jähriger Linden, gilt der Ort als einer der schönsten Kirchhöfe. Das Besondere: Alle Grabkreuze sind ähnlich gestaltet. „Auf diesem Kirchhof sollen hölzerne Kreuze stehen. Aber aus einem Holz, das auf demselben Boden gewachsen ist; ebenso wie die Menschen, die dort begraben liegen, mit ihrem Denken und Tun“, sagte der damalige Pastor August Rüsing (1894–1978). Und es gibt auf dem Kirchhof nur Einzelgräber. Die Verstorbenen werden der Reihe nach nebeneinander bestattet, Paare liegen dementsprechend nicht nebeneinander in einer Gruft. Auch dieser Gedanke geht auf Rüsing zurück. Alle Menschen seien vor Gott gleich, ob verheiratet, alleinlebend, arm oder reich. Daher seien auch alle gleich zu bestatten, war Rüsing überzeugt. Diese Tradition hat sich bis heute gehalten.

Und es gibt noch eine weitere Besonderheit: An jedem der Bäume, die den Kirchhof umgeben, hängen Kreuze, die an gefallene Soldaten des Zweiten Weltkrieges erinnern. Die Geschichte dahinter: Kurz vor Kriegsbeginn hatte der Pastor einige junge Männer in die Kirche geholt und ihnen gesagt: „Jungens, es wird Krieg geben, und das ist etwas anderes als ein Fußballspiel. Es ist wohl so, dass ihr nicht alle auf diesem Kirchhof begraben werdet. Einige werden eilig verscharrt, im fremden Land, weit von zu Haus, an einem Weg, in einem Wald, in einem Roggenfeld. Aber auch diese Einzelnen werden nicht vergessen. Geht heraus und sucht für eure Familie eine Linde aus. Dieser Baum bleibt der Familie. Solltet ihr in einem fremden Land fallen, dann darf man ein Kreuz daran hängen mit eurem Namen drauf.“ Noch heute erinnern die Kreuze an den Verlust und den Schmerz so vieler Familien. An einigen Bäumen hängt nur ein Kreuz und die Familie hatte selbst in der Trauer Grund zur Dankbarkeit, denn an anderen Linden hängen sogar drei oder vier Kreuze.

Ein Park? Ein Friedhof?

Viel Natur gibt es auch auf dem Dortmunder Hauptfriedhof, der sich im Stadtteil Brackel bis an die Bundesstraße 1 erstreckt. Durch die alten und oft stattlichen Bäume stellt sich schnell die Frage: „Ist das ein Park oder ein Friedhof?“ Die Antwort ist eindeutig: „Beides.“

Es ist kalt an diesem Vormittag. Wer vom Eingang gegenüber der Europaschule – die passende Adresse lautet „Am Gottesacker“ – die Anlage betritt, kommt schnell ins Staunen. Ein großzügiger Teich wird sichtbar, Nebel steigt vor Bäumen mit bunt gefärbten Blättern auf. Über eine breit angelegte Steintreppe geht es hinunter, breite Wege laden zum Spazieren ein – oder eben zum Joggen. Denn auch das ist möglich und sogar an diesem Herbstvormittag sind einige wenige Menschen unterwegs, die Sport machen. Ein paar Gänge weiter sieht sich eine Gruppe neugieriger Mädchen und Jungen um. Die Kindergartenkinder haben ein Eichhörnchen entdeckt, das flink über den Weg huscht. Schnell auf einen Baum geklettert – und weg ist das Tier. Die Kinder ziehen ruhig weiter. Ihr Ziel könnte der Spielplatz sein, der am östlichen Rand des Friedhofes zu finden ist. Auch das ist hier kein Widerspruch.

Letzte Ruhestätten inmitten eines ausgedehnten Parks bietet der Hauptfriedhof Dortmund.
Foto / Quelle: Wolfgang Maas

Tatsächlich kann man lange unterwegs sein, ohne ein Grab zu sehen. Zum Teil müssen Besucherinnen und Besucher auch genauer hinschauen, um letzte Ruhestätten zu entdecken. Sie liegen etwa einsam mitten auf einer grünen Wiese oder etwas versteckt umrandet von Sträuchern. Und trotz der Nähe zur viel befahrenen Bundesstraße 1 ist es hier still, der Lärm der Großstadt bleibt außen vor.

Über 100 Jahre ist der Hauptfriedhof in Dortmund alt. Rund 115 Hektar ist er laut der Stadt Dortmund groß und damit fast zweimal so groß wie der Westfalenpark. Die Stadt spricht aufgrund der in den 1920er-­Jahren akribisch geplanten Anlage auch von einem „Gesamtkunstwerk“. Der Hauptfriedhof ist auch im Hinblick auf die Industrialisierung im Ruhrgebiet ein Kind seiner Zeit. Die immer weiter wachsende Bevölkerung wirkte sich auf die Bestattungskultur aus. Die Verwaltung wollte einen großen Friedhof umsetzen, die im 19. Jahrhundert im Stadtgebiet eingeweihten Anlagen sollten aufgegeben und als Parks weiter genutzt werden. Denn an Grünflächen herrschte immer größerer Mangel.

Allerdings ging dieses Konzept nicht auf. Die vier ehemals aufgegebenen Friedhöfe werden längst wieder als solche genutzt und die Bevölkerung, die diese bereits als Parks angenommen hatte, nutzt diese weiter. Jogger, Menschen mit Hunden oder Schulklassen sind dort zu finden – und das Miteinander funktioniert.

Trend „Memoriam-Gärten“

Der kommunale Friedhof in Wiedenbrück wurde Ende des 19. Jahrhunderts am Rand der historischen Innenstadt angelegt. Während auf einem neuen Teil Einzelgräber sowie ein Rasengrabfeld angelegt sind, prägen im ursprünglichen Bereich der alte Baumbestand und viele Familiengruften das Bild. Hinzu kommen eine Priestergruft sowie eine Grabstätte der Franziskaner-­Patres aus dem bis 2020 bestehenden Kloster und die Schwesterngräber der Vinzentinerinnen aus dem örtlichen Krankenhaus. Außerdem gibt es noch ein gesondertes Grabfeld, auf dem Menschen, die in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges zu Tode kamen, bestattet sind.

Doch wie auf anderen Friedhöfen auch nimmt die Zahl aufgelassener Gräber und Grüften zu, nicht zuletzt weil es überwiegend Urnenbestattungen gibt, die weniger Platz und Pflege benötigen. Diesem Trend hat eine Initiative der Friedhofsgärtner Rechnung getragen: Vor zehn Jahren wurde ein sogenannter Memoriam-­Garten inmitten des alten Friedhofes angelegt. Die Anlage für Urnenbestattungen ist gestaltet wie ein kleiner Park, Sitzmöglichkeiten laden zum Verweilen ein. Jeder Verstorbene wird auf einem Grabmal mit Namen und Lebensdaten genannt. Namenlose Bestattungen gibt es nicht. Ein Aspekt, den der damalige Pfarrdechant Meinolf Mika bei der Eröffnung der Anlage 2015 besonders hervorhob: „Uns ist im Glauben der Name unendlich wichtig“, sagte er. So behalte der Mensch auch im Tod seine Würde.

Gleichzeitig ist der Wandel offensichtlich: Zwei Memoriam-­Gärten gibt es auf dem Wiedenbrücker Kommunalfriedhof.
Foto / Quelle: Andreas Wiedenhaus

Die Ansicht des Geistlichen, dass diese Alternative „wirklich schön“ sei, teilten offensichtlich viele: Im Jahr 2022 waren alle Grabstellen vergeben. Vor Kurzem wurde der zweite Memoriam-­Garten eingeweiht. „Es geht darum, die veränderten Bestattungs- und Erinnerungsformen mit dem Wunsch in Einklang zu bringen, unsere Friedhofskultur zu erhalten und für die Zukunft zu bewahren“, beschreibt der Wiedenbrücker Friedhofsgärtner Roland Wagner die Intention. Zusammen mit den Friedhofsgärtnerinnen Sylke Klasen und Tanja Vossel engagiert er sich in der „Arbeitsgemeinschaft Friedhof Wiedenbrück“.

Der zweite Memoriam-­Garten schlägt außerdem eine Brücke zu einer Besonderheit des Wiedenbrücker Friedhofes: Zwei historische Grabsteine wurden in die Anlage integriert. Auf dem Friedhof gibt es eine Vielzahl von Grabmalen, die von Künstlern aus der sogenannten Wiedenbrücker Schule, einer besonderen Spielart des Historismus im 19. Jahrhundert, gestaltet wurden. Ein Rundgang lädt dazu ein, sie genauer zu betrachten.

Kolumbariumskirche Siegen

Blau- und Gelbtöne in ganz unterschiedlichen Abstufungen: Wohl niemand, der die Kolumbariumskirche Heilig Kreuz in Siegen betritt, wird sich dem faszinierenden Zusammenspiel der Farben entziehen können. Seit 2021 ist das Gotteshaus unter dem Leitwort „Vom Tod zum Leben“ Gemeindekirche, Urnenfriedhof und Ort der Trauerpastoral. Dominierend ist die Kathedralwand, die das Urnenfeld von der Gemeindekirche mit 120 Plätzen trennt: Der Blick wird durch das Glas zum Auferstehungskreuz im Chorraum der Kirche geleitet. Blau ist die prägende Farbe in der gesamten Kirche. „Sie soll die Bedeutung des Begreifens der Endgültigkeit des Todes und der Treue Gottes unterstreichen“, sagt Gemeindereferentin Irmtrud von Plettenberg. Sie ist für die Trauerpastoral in der Kirche verantwortlich.

Die Kolumbariumskirche Heilig Kreuz in Siegen erstrahlt in Blau- und Gelbtönen.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Auf einem der Sitzplätze im Urnenfeld hat Liliane Frank-­Lecomte Platz genommen. „Ich komme jeden Tag hierher, um meinen Mann zu besuchen“, sagt sie lächelnd, „ich entzünde eine Kerze und denke an ihn.“ Gemeinsam mit ihrem Mann, der an einer unheilbaren Krankheit litt, habe sie den Platz für die Urne ausgesucht, berichtet sie: „Hier war auch unser Stammplatz beim Gottesdienst.“ Dass ihr Ehepartner seine letzte Ruhe genau an diesem Ort gefunden habe, sei ein Geschenk für sie beide, fügt sie noch hinzu und lässt den Blick durch die Kirche auf die gläserne Wand und das Kreuz gleiten.

Hintergrund

Einäscherungen und Urnenbeisetzungen werden hierzulande immer beliebter. Bestattungen im Friedwald und auf See sind schon länger möglich; nun haben Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt als erste Bundesländer die bis dahin geltende Friedhofspflicht stark gelockert: Flussbestattungen auf Rhein, Mosel und Nahe sind damit ebenso erlaubt wie die Verarbeitung der Asche zu einem Diamanten. Auch kann eine Urne nun auf dem heimischen Kaminsims verwahrt werden. Die Lockerung um die Friedhofspflicht erregt die Gemüter. Kirchliche Stimmen mahnen, dass Gräber und Friedhöfe Orte der Erinnerung seien – und wichtig für die Trauerverarbeitung.

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