4 Min.
18.12.2025
Es wird mit viel Liebe zum Detail gebaut.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Figuren wie du und ich warten auf Weihnachten

Nicht nur körperliche Arbeit, sondern auch viel Kreativität stecken in der Krippe im Hohen Dom. Die Gestaltung übernahmen wieder drei Gefangene der JVA Bielefeld-Senne.

Text: Wolfgang Maas / Fotos: Patrick Kleibold
Paderborn / Bielefeld

Der Gefangene ist verschwunden – ausgerechnet. Kira Niehues, Referentin Hoher Dom, kann die Figur einfach nicht finden. Und das ist schon ironisch, denn heute sind tatsächlich zwei Insassen und eine Insassin der JVA Bielefeld-­Senne im Dom. Sie bauen die Krippe auf, die aus vielen verschiedenen Figuren besteht. Jede symbolisiert Menschen oder Berufsgruppen, die man so tatsächlich im Alltag finden kann. Und dazu gehört eben auch der Gefangene, der auf der fertig aufgebauten Krippe neben einem Rettungssanitäter oder auch einem jugendlichen Fußballfan stehen kann.

Die Gäste im Dom merken von der verschwundenen Figur, die sie selbst repräsentiert, nichts. Gemeinsam mit Floristikmeister Frank Plempel und Heike Hofmann, die in der JVA als Ergotherapeutin arbeitet, haben sie sich vorbereitet. Noch ist jede Menge Platz. Von der Krippe steht lediglich das Podest. Darauf liegt Filz in verschiedenen Grüntönen, ein wenig Stroh ist noch aus dem Vorjahr übrig geblieben ebenso wie Flecken von brauner Erde. Am anderen Ende steht bereits die Kapelle, die der Liborikapelle in Paderborn nachempfunden ist.

Hinter der Krippe im Hohen Dom steckt viel Handarbeit.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Die beiden Männer und ihre Kollegin gehen nach draußen und holen alles, was sie für ihre Arbeit brauchen. „Das Material kommt von der JVA, das Moos von uns“, erklärt Kira Niehues. Schnell sind die Männer wieder zurück. Sie tragen kleine Tannenbäume über der Schulter, vier Stück sind es insgesamt. Immer mehr Kisten stapeln sich neben dem Podest.

Dann wird es lauter. Alle klettern auf das Podest, es wird gehämmert und schnell kann man einen Weg erkennen, der von der Kapelle wegführt – oder eben zu ihr hin. „Der Weg ist unsere Vorgabe“, erklärt Frank Plempel, der bereits zum dritten Mal mitarbeitet. Und der Weg ist wichtig. In einem Jahr gab es ihn nicht – was zu Protesten und Unverständnis führte.

Ja, dieses Jahr gibt es ihn wieder. Waldemar verteilt deshalb braune Steinchen. Der JVA-­Insasse tut dies sehr konzentriert und akribisch. Kein Wunder, denn er hat sie selbst während der Ergotherapie hergestellt. „Ich habe es so gut gemacht wie ich konnte“, sagt Waldemar später bei einer Zigarette. So ganz zufrieden ist er allerdings nicht: „Hätte besser sein können.“ Doch das finden Tanja und Tom, die heute gemeinsam mit ihm im Hohen Dom arbeiten, nicht. Aufmunternd klopfen sie ihm auf die Schulter, Waldemar lächelt schüchtern. Die Zigarettenpause ist zu Ende, weiter geht es.

Die Krippe hat bereits Formen angenommen. Der Kiesweg ist fertig, Tanja hat ihn sorgsam mit Moosmatten umrandet. Dazu kommen Stöcke, Holzscheite und Steine. Frank Plempel steht mit einer Drahtrolle mitten in der Krippe und verbindet die Tannenbäume mit der Kapelle – so weit, so konventionell. Doch dann kommen Requisiten auf das Podest, die man in einer weihnachtlichen Szenerie so nicht erwarten würde: ein Fußball, Buntstifte, ein blaues Gesellschaftsspiel, eine Keksdose, ein Zauberwürfel, grellbunte Textmarker, Schnellhefter und vieles mehr.

Die ersten Materialien werden gebracht.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Kira Niehues schaut aufmerksam und neugierig zu, was das Team so alles dabeihat. „Wir geben das Thema vor, das Konzept erstellt die JVA.“ Und das Thema orientiert sich an der alljährlichen Spendenaktion im Dom. Im vergangenen Jahr gingen zum Beispiel die Spenden, die im Opferstock neben der Krippe gesammelt werden, an die Frauen- und Kinderklinik St. Louise in Paderborn. Angeschafft wurden unter anderem Frühchen-­Boxen. Damals zierten Schleifchen und Schnuller die Krippe – eben Dinge, die man mit Babys und Kleinkindern assoziiert.

2025 wird die Kinder- und Jugendhilfe Paderborn „Bonny5“ unterstützt, die mit dem Geld ein Zirkusprojekt realisieren will. Deshalb arbeitet das Krippen-­Team mit Dingen, die ältere Kinder und Jugendliche repräsentieren – weniger Spielsachen, dafür Tagebücher oder auch Utensilien für die Schule. Frank Plempel schaut sich den Fortschritt zufrieden an. „Ich hätte gerne noch ein Kinderbett gehabt“, gibt der Floristikmeister zu. Denn „Bonny5“ sei nicht nur eine Einrichtung, in der man lernen könne, sondern in der man auch lebt. Doch ein solches Bett fand er leider nicht.

Das fertige Ergebnis.
Foto / Quelle: Patrick Kleibold

Wenig später hängen bunte und für einen Kirche ­ungewöhnliche Dinge an den Drähten. Es wirkt fast zufällig, was sich dort in der Krippe so alles ­wiederfindet – wenn man die Geschichte dahinter nicht kennt. Und so ­fallen auch die Reaktionen der Menschen, die an diesem ­Vormittag den Hohen Dom besichtigen, aus. Da gibt es diejenigen, die gezielt nachfragen. „Was gibt es in ­diesem Jahr? Wen unterstützt die Aktion?“ Kira Niehues gibt gerne Auskunft. Andere wiederum bleiben eine Zeit lang stehen, betrachten die Krippe schweigend.

Tanja, Tom und Waldemar habe es für heute geschafft. Sie räumen ihre Kisten und Kartons zusammen, fegen noch einmal durch. „Das ist mal etwas anderes“, findet Tanja. Spaß hat es allen drei gemacht, auch wenn die Arbeit gerade am Anfang körperlich anstrengend war. „Das macht nichts“, sagt Tom. Sie sind stolz, dass ihnen vonseiten des Metropolitankapitels so viel Anerkennung und Vertrauen entgegengebracht wurde. Auch Frank Plempel und Heike Hofmann sind zufrieden. Sie haben die drei JVA-­Insassen ausgesucht und dabei auch berücksichtigt, wie motiviert sie sind.

Später kommen dann noch die Figuren in die Szenerie. „Unsere Krippe zeigt Menschen, nicht nur Heilige“, betont Kira Niehues. So ist ein Rettungssanitäter zu sehen, den die Feuerwehr Paderborn gestiftet hat, ebenso wie ein Obdachloser oder eine Darstellung eines Libori-­Schreinträgers. Auch historische Persönlichkeiten wie der Widerstandskämpfer Nikolaus Groß gehören dazu.

Und die „Fahndung“ nach dem verschwundenen Gefangenen war erfolgreich. Die Figur, die 2020 von Künstlern der Holzbildhauerei Vielstädte geschaffen wurde, wurde von der Dommusik ausgeliehen. Dort diente sie als Vorlage für neue Figuren von Sängern.

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