Warum Papst Franziskus einen Nerv getroffen hat
Während der Amazonas-Synode in Rom: Ein Vertreter der Indigenen sagte damals über die Enzyklika: „Der Papst hat zwar eine andere Hautfarbe als wir, aber er ist einer von uns, er versteht uns.“ Foto: MISEREOR
Vor fünf Jahren erschien die Enzyklika „Laudato si“. Papst Franziskus datierte sie auf den 24.Mai 2015, damals Pfingstsonntag, vorgestellt wurde sie am 18.Juni. Was die Enzyklika in diesen fünf Jahren bewirkt hat und wie aktuell ihr Inhalt immer noch ist, darüber sprach Almud Schricke mit Monsignore Pirmin Spiegel, dem Hauptgeschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerkes MISEREOR.
Papst Franziskus bringt in der Enzyklika die „Sorge für das gemeinsame Haus“ zum Ausdruck. Wie steht es derzeit um dieses gemeinsame Haus?
Die Erde hat Fieber, das gemeinsame Haus ist krank. Die Corona-Krise zeigt noch einmal deutlich, dass es weltweit eine große soziale Ungleichheit gibt– sowohl in einzelnen Ländern als auch zwischen Ländern. Dort, wo Menschen prekäre Gesundheitssysteme antreffen, wo Krankenhäuser zerbombt sind, wo Menschen in Slums keinen räumlichen Abstand halten können, trifft das gleiche Virus die Menschen ganz anders als bei uns in Deutschland. Die Enzyklika ist aber nicht nur ein starker Schrei nach sozialer Gerechtigkeit, sondern auch ein Schrei nach ökologischer Gerechtigkeit. Beides gilt es zusammenzudenken. Indigene in Amazonien sind als Erste betroffen, wenn Holzfäller in dieses für die gesamte Welt wichtige Depot vordringen– obwohl dort Schutzgebiete ausgewiesen sind. Ähnliches geschieht im Kongobecken in Afrika oder in Indonesien. Der Vorschlag von Papst Franziskus nach einer integralen Ökologie hat nach wie vor hohe Aktualität.
Was hat die Enzyklika seit ihrem Erscheinen in den vergangenen fünf Jahren bewirken können?
„Laudato si“ hat in einem historischen Moment in die internationale Politik und in soziale Bewegungen hineingewirkt. Im September 2015 wurden in New York die 17 Nachhaltigkeitsziele verabschiedet. Im Dezember gab es den Klimagipfel in Paris, um die Erderwärmung unter zwei Grad zurückzuhalten. Und es gab das Divestment: Große internationale Organisationen haben ihre Finanzanlagen aus fossilen Energien herausgenommen. Im kirchlichen Raum hat „Laudato si“ in alle kontinentalen Bischofskonferenzen gewirkt; Papst Franziskus nennt die Amazonien-Synode eine Tochter von „Laudato si“. Die Deutsche Bischofskonferenz hat zehn Thesen zum Respekt gegenüber dem gemeinsamen Haus und der Schöpfung erarbeitet, viele Diözesen engagieren sich in der Gebäudedämmung. Sowohl lokal als auch national, international und global war und ist diese Enzyklika eine Art Sauerteig, um die großen Zukunftsfragen– die Überwindung der weltweiten Armut, Gerechtigkeit und den Respekt im Umgang mit der Schöpfung– mit Engagement anzugehen.
Wie erklären Sie sich, dass die Enzyklika nicht nur innerkirchlich, sondern auch im nicht kirchlichen Bereich so viel Zuspruch erfahren hat?
Wir merken, dass Papst Franziskus mit dieser Enzyklika einen Nerv getroffen hat. Umkehr, Wandel und Transformationsprozesse müssen inspiriert werden. Der Papst hat in der Enzyklika deutlich gemacht, dass es nicht allein um technische und wissenschaftliche Lösungen geht, sondern dass auch Haltungen, Entscheidungen und Optionen dazugehören– und das tut er in einer Sprache, die Verständnis erzeugt, die einlädt, herausfordert, provoziert und Hoffnung macht. Er schreibt, dass wir als Menschheit die Fähigkeiten haben zusammenzuarbeiten, um unser gemeinsames Haus aufzubauen. Damit ist jede und jeder eingeladen, einen Beitrag dazu zu leisten.
Welchen Einfluss hat das Dokument auf die Arbeit von MISEREOR?
Die Thematik gehört schon lange zur DNA von MISEREOR. Wir haben 1995 eine Studie mit dem Namen „Zukunftsfähiges Deutschland“ herausgegeben, in der es darum ging, wie wir in verschiedensten Bereichen einen Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung leisten können. 15 Jahre später haben wir mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Münchener Rück-Stiftung ein Buch herausgegeben mit dem Titel „Global, aber gerecht“. Darin ging es darum, wie man den Klimawandel bekämpfen kann und wie Klimawandel und Klimaschutz auch als eine Frage der Gerechtigkeit angesehen werden können. In vielen von unseren mehr als 2800 Projekten in 86 Ländern geht es um den sozial-ökologischen Wandel. Für MISEREOR ist die Enzyklika eine Bestärkung, im Verbund mit anderen zivilen, gesellschaftlichen und kirchlichen Organisationen um unseres Glaubens und um der Schöpfung willen an diesem Thema dranzubleiben.
Das ganze Interview gibt es im Dom 23 zu lesen.
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