Leichtigkeit und Genialität – Elisabeth Jünemann erzählt, wie sie Papst Benedikt erlebt hat
Zu denen, die Joseph Ratzinger persönlich gekannt haben, gehört Prof. Dr. Elisabeth Jünemann, bis 2021 Professorin für Sozialwesen an der Katholischen Hochschule KatHo NRW in Paderborn. Der Dom hat mir ihr darüber gesprochen, wie sie Papst Benedikt kennen gelernt und erlebt hat.
Frau Prof.’in Jünemann, wie haben Sie Papst Benedikt / Joseph Ratzinger kennen gelernt?
Prof. Dr. Elisabeth Jünemann: „In einer für mich nicht so angenehmen Situation: Ein Freund, der begonnen hatte, bei Professor Dr. Josef Ratzinger zu promovieren, hatte beschlossen, das Zölibat und damit das Priesteramt aufzugeben. Ich hatte die Aufgabe, das dem Professor aus Regensburg beizubringen. Möglichst schonend. Nach meinen ersten, vorsichtshalber schon defensiv formulierten Sätzen hat mich mein Gegenüber völlig verwirrt: Auf alles war ich gefasst, bloß nicht auf Offenheit, Sorge um den Freund und seine Zukunft.Wenn ich ihn später traf, kam immer irgendwann die Frage nach diesem Freund. Ein sympathisches Elefantengedächtnis.“
Was für ein Mensch war er?
Prof. Dr. Elisabeth Jünemann: „Der erste Eindruck ist geblieben. In der Sache blieb Papst Benedikt immer deutlich, manchmal nervenaufreibend hartnäckig. Dem Menschen gegenüber blieb er zugewandt. Manchmal oder manchen Menschen gegenüber war er geradezu arglos. Das machte ihn verletzbar.Vermutlich kann man ihn sozial nicht unbedingt virtuos nennen. Er war eher introvertiert. Keiner, der sich in der Menge wohlfühlte. Deshalb liebte er seinen (Elfenbein-) Turm der Wissenschaft, wo er für sich studieren, lesen, schreiben konnte. Seine Lebensfreude war es sicherlich, tiefer in die Geheimnisse der Theologie eindringen zu können. Der Privatgelehrte wäre sicher seine Lieblingsgestalt gewesen.“
Konnte er wirklich kein Auto fahren?
Prof. Dr. Elisabeth Jünemann: „Er hatte keinen Führerschein. Und das passte zu ihm.“
Was bedeutete das Papstamt für ihn?
Prof. Dr. Elisabeth Jünemann: „Seine vor allem kirchlichen Ämter hat er unter Pflichterfüllung verbucht. Ich kann mir daher vorstellen, dass er selber schon recht früh entschieden hat, nach zweimal vier Jahren das Papstamt nieder zu legen. Ein Machtmensch war er, denke ich, nicht. Aber er hat sicherlich die Chance erkannt, durch sein Amt Einfluss auf die Richtung zu nehmen, die die Kirche geht.Im Kern ging es Ihm in seinem Amt aber, glaube ich, weniger um den Theologenstreit, weniger um die zahlreichen Diskussionen mit den Bischöfen. Es ging ihm besonders um den „schlichten“ Glauben der einfachen Gläubigen. Gerade das Schlichte ist aber oft recht kompliziert in der Tiefe auszuloten.“
Wie war aus Ihrer Sicht sein Verhältnis zu den deutschen Katholiken?
Prof. Dr. Elisabeth Jünemann: „Das Verhältnis zur deutschen Kirche war angespannt. Die deutsche Kirche war Papst Benedikt zu progressiv ausgerichtet. Umgekehrt war er für die deutsche Kirche oft unverständlich kritisch ihren innovativen pastoralen Ansätzen, zum Beispiel in der Ehe- und Familienpastoral, gegenüber. Da fühlte er sich manchmal von seiner Heimatkirche im Stich gelassen. Aber er hatte ja die Bayern. Das Verhältnis zwischen ihnen und Papst Benedikt blieb lange gut. Zahllose Privataudienzen für seine Landsleute sprechen davon. Die verlässlichen bajuwarischen Streicheleinheiten waren für Papst Benedikt Balsam. Bis auch darauf in seinem letzten Lebensjahr der Schatten fiel: Da holten ihn seine Fehl-Reaktionen als Erzbischof auf die Fälle sexuellen Missbrauchs im Erzbistum München ein.Die berechtigt heftige Kritik, die ihn deswegen in seinem letzten Lebensjahr traf, überforderte den emeritierten Papst komplett. Falsch beraten und hilflos gelang es ihm nicht einmal, seine Empathie mit den von Priestern missbrauchten Menschen zu zeigen. Sicherlich zu seinem eigenen Leidwesen.“
Wie ging er mit der Kritik aus der Heimat um?
Prof. Dr. Elisabeth Jünemann: „Kritik aus Deutschland hat ihn kaum verwundert, aber oft verletzt. Freundschaftliches aus Deutschland hat ihn umso mehr gefreut. Als Reaktion auf eine Festschrift zu seinem Geburtstag schrieb er einmal dem Initiator postwendend, es dränge ihn, ihm „unmittelbar ein herzliches Vergelt´s Gott zuzurufen.“ Vor allem hatte es ihm dabei die Auslegung der Geschichte vom Froschkönig angetan. Die fand er „so wunderbar Herz und Verstand gleichermaßen anrührend, daß ich einfach meine Freude daran mitteilen muß“. Da entsprach etwas ganz seiner eigenen theologischen, oder besser Glaubens – Sprache. Und das tat gut.“
Was ist sein Vermächtnis an die Kirche?
Prof. Dr. Elisabeth Jünemann: „Was bleibt ist eine Theologie der schönen Sprache und Bilder. Komplizierte Theologie in schlichten tiefen Sätzen. Bücher und Texte, die nicht nur von Theologen gelesen werden. Die Charakterisierung als „Mozart des Glaubens“ ist durchaus treffend, da schwingt Leichtigkeit und Genialität, Verspieltheit und Meisterschaft mit.“