Alle Seiten fair und gründlich hören – Interview mit Thomas Dornseifer
In die Hand verspricht ein Priester bei seiner Weihe dem Bischof Ehrfurcht und Gehorsam. (Symbolfoto: Pressestelle Erzbistum Paderborn)
Seit einem Jahr ist Thomas Dornseifer Personalchef des Erzbistums Paderborn. Aktuell steht ein Priester aus dem Sauerland im Fokus der Öffentlichkeit, der seit Jahren über einen Priesterkreis gegen den Erzbischof, den Papst und den Synodalen Weg agitiert und jetzt auch noch als Impfgegner auftritt.
Herr Dornseifer, bei seiner Weihe verspricht ein Priester dem Erzbischof und allen seinen Nachfolgern „Ehrfurcht und Gehorsam“. Was bedeutet dieses Versprechen?
Thomas Dornseifer: „Als Priester haben wir keinen Arbeitsvertrag wie Sie, unser Dienstverhältnis beruht auf dem besonderen Loyalitätsversprechen gegenüber dem Bischof und des Bischofs gegenüber uns. Als Priester verspreche ich, dass ich nicht in meinem Auftrag, sondern im Auftrag des Bischofs unterwegs bin. Er sendet mich und ich verspreche, in seinem Sinn zu arbeiten. Dafür verspricht der Bischof mir, für mich zu sorgen, solange ich lebe.“
Welche Durchgriffsmöglichkeiten hat ein Bischof, wie kann er Gehorsam einfordern?
Thomas Dornseifer: „Das ist im Kirchenrecht geregelt. Mit dem Gehorsam ist kein Kadavergehorsam gemeint. Der Bischof gesteht jedem Priester zu, eine eigene Meinung zu haben – solange sie sich im Rahmen der Lehre der katholischen Kirche bewegt. Der Bischof ist der Einheit der Kirche verpflichtet. Im festgelegten Rahmen kann er schon Einfluss nehmen, wenn er meint, dass der Dienst eines Priesters sich nicht mehr innerhalb der vorgegebenen Grenzen bewegt.“
Nun gibt es aber Priester, die nicht für Einheit sorgen, sondern ihre Gemeinden spalten.
Thomas Dornseifer: „Auch wir Priester sind ja nur Menschen, wir kommen unterschiedlich tradiert und sozialisiert in unseren Glauben hinein. Priester haben unterschiedliche Kirchenbilder, die man gemeinhin konservativ oder liberal, links oder rechts nennt. Ich gebrauche diese Begriffe nur sehr ungern, weil sie sehr pauschalierend sind. Ein Bischof bzw. ein Personalchef muss darauf achten, dass bestimmte Grenzen nicht überschritten werden. Uns erreichen sehr unterschiedliche Hinweise: auf Predigten, auf das Verhalten eines Priesters, auf seine Pastoral. Deswegen gibt es in meinem Bereich eine Beschwerdestelle. Dort werden solche Meldungen aufgenommen und mögliche Wege geklärt. Mein Ziel ist, dass bei unterschiedlichen Auffassungen bestimmte Grenzen nicht überschritten werden. Ich kann als Priester nicht öffentlich meinen Bischof beschimpfen oder bewusst gegen die Lehre der Kirche handeln.“
Und welche Sanktionsmöglichkeiten haben Sie?
Thomas Dornseifer: „Auch das ist im Kirchenrecht genau festgelegt. Es gibt zunächst eine Ermahnung, dann gibt es das so genannte kanonische Monitum, vergleichbar mit einer Abmahnung im normalen Arbeitsvertrag. Wir haben die Möglichkeit eines Verwaltungsstrafverfahrens innerhalb des Generalvikariats bei bestimmten Verhaltensweisen. Je nach Schwere des Vergehens gibt es auch die Möglichkeit eines gerichtlichen Strafverfahrens, das im Offizialat geführt wird. Der Betroffene hat dabei immer die Möglichkeit, sich zu äußern. Wie jeder andere Arbeitnehmer kann er sich gegen die Sanktionen wehren und letztlich kann er auch die römischen Behörden einschalten.“
Anlass unseres Gesprächs ist die öffentliche Aufmerksamkeit für einen schon länger bekannten Priesterkreis. Diese Gruppe kann anscheinend unbehelligt agieren, auch den Bischof beschimpfen, während andere – Stichwort „outinchurch“ – seit Jahrzehnten Angst haben. Gibt es mehr Toleranz gegenüber den einen und weniger gegenüber den anderen?
Thomas Dornseifer: „Viele meinen, der Bischof müsse schnell handeln, aber der Bischof muss auch sorgfältig prüfen. Man muss sehr sauber abwägen: Ist ein Vorwurf gegenüber einem Mitbruder begründet und haltbar? Das Kirchenrecht ist dort oft sehr weit formuliert. Derzeit wird in einer Arbeitsgruppe der deutschen Bischofskonferenz unter Leitung von Erzbischof Schick eine Disziplinarordnung erarbeitet.“
Und wer kontrolliert die Priester vor Ort?
Thomas Dornseifer: „Unsere Kirche ist ein hierarchisches System. Vor Ort ist erst einmal der leitende Pfarrer für das pastorale Personal verantwortlich, also auch für Laien im pastoralen Dienst. Er ist der Dienstvorgesetzte für das Team eines pastoralen Raums. Der eigentliche Vorgesetzte ist natürlich immer der Bischof. Die Teams vor Ort sind teils sehr groß und sehr vielfältig. Da treffen die unterschiedlichen Kirchenbilder, Einstellungen, Theologien zusammen. In vielen Räumen klappt es gut, in anderen klappt es mäßig und es gibt Räume mit Konflikten. Der erste Schritt muss sein, diese vor Ort zu regeln, dafür haben wir Beratungsangebote. Wenn das nicht möglich ist, gibt es im Beschwerdemanagement Eskalationsstufen und irgendwann landet es bei mir.“
Welche Möglichkeiten hat eine Gemeinde, die möglicherweise involviert ist?
Thomas Dornseifer: „Ein Pfarrgemeinderat oder ein einzelnes Gemeindemitglied wird sich sicher zunächst an den leitenden Pfarrer wenden oder wenn der die Ursache des Konfliktes ist, an den Dechanten. Wenn es nicht möglich ist, die Sache vor Ort zu regeln, gibt es die Beschwerdestelle, an der jeder Katholik und jede Katholikin seine und ihre Beschwerde loswerden kann. Unser Ziel ist, die Konflikte zu lösen. Das gelingt nicht immer. Manchmal kriegt man wenigstens das notwendige Miteinander hin. Meine Rolle ist es übrigens nicht, mich auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Ich weiß, dass es manchen zu lange dauert, aber wir müssen mit einer gewissen Sorgfalt prüfen, was die Ursachen sind. Wenn man das fair für beide Seiten machen will, braucht es Zeit.“
Kann so etwas überhaupt fair laufen: hier die ehrenamtlich Engagierten und da der hauptamtliche Priester? Wer steht der Gemeinde bei?
Thomas Dornseifer: „Wir handeln nicht nach dem Prinzip: „Der Priester hat immer Recht – und die Gemeinde nicht“. In vielen Konflikten haben wir uns Zeit genommen für Gespräche mit den Gremien vor Ort. Bei den bischöflichen Visitationen ist es üblich, dass zunächst mit dem Pfarrgemeinderat ohne den Pfarrer gesprochen wird – auch wenn es keinen Konflikt gibt. Der PGR kann da völlig frei sprechen und wenn es doch einen Konflikt gibt, sagen, wie er ihn beurteilt. Dann hört man den Priester an und idealerweise führt man das zusammen, wenn es möglich ist und der Konflikt nicht schon so lange schwelt, dass die Lage total verfahren ist. Eine Gesprächsatmosphäre zu schaffen, ist oft schon ein sehr mühsames Geschäft: einander erstmal zuhören, den anderen aussprechen lassen.“
Gibt es eine Art Hitliste für Themen, die zu Konflikten führen?
Thomas Dornseifer: „Ein „beliebtes“ Konfliktfeld sind die Gottesdienstordnungen, über die man sich herrlich streiten kann. Das wird sich noch verschärfen, da die Zahl der Priester ja massiv in den Keller geht.“
Beim Synodalen Weg hat das Priesterforum einen Handlungstext vorgelegt, der ein „transparentes Einsetzungs- und Versetzungsverfahren“ fordert. Offenbar gibt es so etwas nicht. Nach welchen Kriterien versetzen Sie?
Thomas Dornseifer: „Ein klares Verfahren gibt es nur für die Priester, die nach fünf Jahren von der ersten auf die zweite Stelle wechseln. Alle anderen Versetzungen geschehen in der Regel auf eigenen Wunsch, weil sich jemand verändern will, räumlich oder inhaltlich, also etwa in die Krankenhausseelsorge einsteigen möchte. Dann schauen wir, wo ein solcher Einsatz möglich ist. Einmal im Jahr gibt es eine Personaleinsatzkonferenz, ich setze mich mit den Dechanten zusammen und wir schauen jeden Pastoralen Raum an: Wo stehen Veränderungen an? Die spannende Frage wird zukünftig sein: Wie kann man daran die Gemeinde stärker beteiligen? Im vergangenen Jahr habe ich einmal erlebt, dass eine Gemeinde eine Art Anforderungsprofil erarbeitet hat. Das kann man möglichen Bewerbern übermitteln, um vorab mit ihnen zu klären, ob das passt.“
Mal böse spekuliert: Wenn das jetzt jede Gemeinde macht, gibt es dann Priester, die Sie nicht mehr unterbringen?
Thomas Dornseifer: „Das kann sein! Wir werden uns losgelöst von solch einem Verfahren mit anderen Leitungsformen beschäftigten, das formuliert der Erzbischof ja immer auch sehr deutlich. Denn es wird in den nächsten Jahren nicht mehr möglich sein, alle 87 Pastoralen Räume, die es am Ende sein werden, mit einem leitenden Pfarrer zu besetzen.“
Warum nicht?
Thomas Dornseifer: „Weil wir nicht genug Priester haben, die sich das zutrauen. In der Priesterfortbildung gibt es ein ausgesprochen gutes Modul, eine mehrjährige Weiterbildung zu den Fragen „Will ich leiten?“ und „Kann ich leiten?“ Wir machen das mit einem Institut von außen, der Mitbruder bekommt auch ein Feedback von außen. Alle, mit denen ich bislang darüber gesprochen habe, haben es als außerordentlich hilfreich empfunden, für sich zu klären, ob sie das wollen.“
Gibt es auch Versetzungen, die auf Bitten einer Gemeinde erfolgen?
Thomas Dornseifer: „Das kommt vor. Nicht sehr häufig, aber schon als Seelsorgeamtsleiter habe ich an der einen oder anderen Stelle erlebt, dass Gemeinden sagen: Das geht einfach nicht mehr. Nochmal: Von der Haltung „Der Priester hat immer recht“ sind wir weit, weit weg. Aber es kostet eben Zeit, denn wir wollen alle Seiten fair und gründlich hören. Wir fragen: Gibt es noch eine Möglichkeit, den Konflikt vor Ort zu lösen? Wenn das nicht der Fall ist, hat der Bischof keine Scheu, eine Entscheidung zu treffen.“
Aber im Falle eines Pfarrers ist das doch nicht so einfach.
Thomas Dornseifer: „Richtig. Es braucht schon schwerwiegende Gründe, um einen Pfarrer seines Amtes zu entheben, etwa: Vermögensuntreue oder eine Verkündigung gegen die Lehre der Kirche. Selbst dann kann der Bischof nicht mit dem Finger schnipsen, sondern es gibt ein mehrstufiges Verfahren. Ein Pfarrer, der enthoben werden soll, hat immer auch die Möglichkeit, Beschwerde beim Heiligen Stuhl einzulegen. Dann entscheidet dieser. Ich bevorzuge aber das Gespräch mit dem Priester, um ihn zur Einsicht zu führen, dass sein Wirken so keinen Sinn mehr macht, und ihn zu motivieren, die Stelle von sich aus aufzugeben.“
Wie gehen Sie mit Priestern um, von denen Sie schon im Vorfeld ahnen, dass es Probleme geben wird?
Thomas Dornseifer: „Da sind wir sehr transparent. Ich schicke niemanden irgendwo hin und lasse den Leitenden Pfarrer, also den Dienstvorgesetzten, im „Tal der Ahnungslosen“. Ich bin sehr ehrlich und sage ihm: Da kommt ein Mitbruder, der hat diese oder jene Sorgen und Probleme.“
Sie haben jetzt mehrfach auf die Teamfähigkeit abgehoben. Sind Priester teamfähig?
Thomas Dornseifer: „Sie müssen teamfähig sein! Wenn ein Priester glaubt, dass er in einem Pastoralen Raum alles im Griff habe, dann sage ich ihm: Du machst dir was vor. Ich will die Pastoralen Räume jetzt nicht als Weisheit letzter Schluss sehen, aber die Teamarbeit ermöglicht auch, den Begabungen der einzelnen Teammitglieder besser gerecht zu werden.“
Aber bedeutet die Arbeit im Team nicht weniger Zeit für die Menschen in der Gemeinde?
Thomas Dornseifer: „Nein, da ist eher die Größe des Raumes das Problem. Seelsorge ist ein personales Angebot und da müssen wir gucken, wie wir das hinbekommen. Für den Leitenden Pfarrer heißt das, zu delegieren, Verantwortung konsequent zu übertragen.“
Zum Abschluss eine persönliche Frage: Die Priester sind oft die, die im Zentrum eines Konflikts und im Zentrum der Kritik stehen. Sind Sie selbst noch gern Priester?
Thomas Dornseifer: „Oh, das ist eine gute und auch eine schwierige Frage. Als ich vor einem Jahr Personalchef wurde, haben mich Mitbrüder gefragt: Warum tust du dir das an? Denn in der Regel kommen Mitbrüder ja nicht zu mir, um zu sagen, wie zufrieden sie in ihrer Stelle sind. Solche Gespräche berühren mich immer wieder, weil mir Mitbrüder erzählen, warum sie Priester geworden sind und was sie motiviert. Ich bin jetzt 35 Jahre Priester, ich hatte verschiedene Aufgaben und ja, ich bin es immer noch gern.“
Zur Person
Thomas Dornseifer (60) ist seit einem Jahr Personalchef des Erzbistums, davor leitete er 16 Jahre den Bereich Pastorale Dienste im Generalvikariat. Von 1996 bis 2001 war er Diözesanpräses der kfd. Er ist Mitglied des Domkapitels und stellvertretender Generalvikar.
Die Gruppe „Communio veritatis“ ist im Bistum lange bekannt, aktuell werden die Ausführungen geprüft. Sollten sich daraus Handlungsbedarfe – auch hinsichtlich des Vorwurfes antisemitischer Haltungen der Gruppierung – ergeben, werden diese Gegenstand einer rechtlichen Prüfung sein, so das Erzbistum.