St. Marien Salzkotten – Ein Modellkonflikt für das Bistum

Die Kirche St. Marien. (Foto: PR Salzkotten)

In der Kirchengemeinde St. Marien Salzkotten hat Ende März eine lange Auseinandersetzung um die Zukunft von Kirche und Kirchengelände ein vorläufiges Ende gefunden. Der Konflikt wirft die Frage auf, wie die Diskussion um kirchliche Immobilien in Zukunft moderiert werden kann.  

Salzkotten. Einige Wochen nach der Entscheidung über die weitere Nutzung von Kirche und Grundstück der Gemeinde St. Marien in Salzkotten sind die Wunden noch nicht vernarbt. Zu groß war der Eklat, nachdem der Kirchenvorstand Ende März mitgeteilt hatte, man habe sich für den Caritasverband Büren als Träger eines neuen Nutzungskonzepts entschieden. 

Daraufhin hatte Tim Leiwesmeier, einer der Mitbewerber, nicht nur das Auswahlverfahren massiv kritisiert, sondern seinen Austritt aus der katholischen Kirche angekündigt, den er mittlerweile nach eigenen Angaben vollzogen hat. Das Binnenverhältnis zwischen den Gemeindegremien Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderat dürfte gelitten haben. Christian Bambeck, Vorstand des Caritasverbandes Büren und zurzeit mit der Detailplanung für das Projekt beschäftigt, hält sich mit öffentlichen Statements nach den bisherigen Erfahrungen völlig zurück. 

Die Kirche St. Marien ist mit 400 Sitzplätzen viel zu groß

Pfarrer Martin Beisler, Leiter des Pastoralen Raums Salzkotten, ist zufrieden mit dem Ergebnis, auch wenn ihm der Weg dahin nicht gefallen konnte. Auch wenn die endgültige Entscheidung im Finanzausschuss des pastoralen Raums noch aussteht, habe man mit dem Caritasverband einen „soliden“ und „auf lange Sicht zuverlässigen Partner“ gefunden, ist er überzeugt. 

Die Suche nach Lösungen für St. Marien prägt die gesamte Amtszeit von Martin Beisler in Salzkotten. Schon vor 2014, als er als Leiter des neu gegründeten pastoralen Raums nach Salzkotten kam, war die Zukunft des Areals an der Upsprunger Straße Thema in der Gemeinde St. Marien. 

Das Problem, das Beisler erbte, war bekannt. Die Kirche mit 400 Sitzplätzen ist viel zu groß. Nur noch durchschnittlich 70 Kirchgänger besuchen die seltenen Gottesdienste in St. Marien. Schon vor der Corona-Pandemie waren verschiedene Lösungskonzepte bekannt geworden. Seitdem wurde lebhaft diskutiert. Die Streitlinien verliefen mitten durch die Pfarrgemeinde. Im  Kirchenvorstand, zuständig für finanzielle, juristische und administrative Aufgaben, überwog die Offenheit für neue Ideen. 

Die Kirche St. Marien bleibt von Planungen ausgeschlossen

Aus dem Pfarrgemeinderat (PGR), zentrales Gremium für das religiöse und soziale Leben in der Pfarrgemeinde, kam weitgehende Ablehnung – und das erfolgreich. Die Vertreterinnen und Vertreter des PGR haben durchgesetzt, dass die Kirche von den aktuellen Planungen ausgenommen wird und sie  nur das Pfarrheim und Teile des Geländes betreffen. Ein Umbau oder sogar ein Abriss der Kirche St. Marien bleibt vorerst ausgeschlossen. 

Pfarrer Martin Beisler (Foto: PR Salzkotten)
Caritasvorstand Christian Bambeck (Foto: Flüter)
Caritasvorstand Christian Bambeck (Foto: Flüter)

„Verständlich“ findet Martin Beisler den Widerstand. St. Marien ist eine typische Gemeinde aus den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals wuchsen die Pfarrgemeinden, die Kirchen waren gefüllt, katholische Pfarrheime waren Zentren des Lebens in der Nachbarschaft. Viele Menschen aus der Gemeinde haben den Bau von Kirche und Pfarrheim erlebt, sie sind hier getauft worden, gingen zur Erstkommunion und zur Firmung. Sie heirateten in St. Marien und wollen, dass das Seelenamt hier stattfindet, wenn sie sterben. Aus dieser tiefen Identifikation rührt der teilweise erbitterte Widerstand. 

Martin Beisler ist diese Motiv­lage bewusst. Aber er kennt die aktuelle Immobilienstrategie des Erzbistums, das den Rückbau von Immobilien zur Voraussetzung weiterer Förderungen macht. Wie lange die Kirche im Westen von Salzkotten dieser Entwicklung standhält, bleibt eine offene Frage. Auch Beisler geht davon aus, dass die Fusion zu einer Großgemeinde mit nur einer Kirche für Salzkotten langfristig eigentlich unumgänglich ist. 

Nicht nur die Kirche St. Marien ist ein Sanierungsfall. Für das Pfarrheim, das die Salzkottener Industriellenfamilie Kleine der Kirchengemeinde 1964 geschenkt hatte, gilt das nicht minder. Zudem sei das Gebäude als Pfarrheim heute denkbar ungeeignet, moniert der Pfarrer. Eingeschobene Stockwerke würden den Umbau zu einem barrierefreien Gebäude und die multifunktionale Nutzung sehr teuer machen. 

Lässt sich die Eskalation mit alten Traumata erklären?

Der Theologe Oliver Reis findet es nicht schlimm, dass Konflikte wie in Salzkotten aufbrechen „Ich bin froh, dass es so läuft“, sagt der Professor an der Universität Paderborn, „noch vor 10, 15 Jahren hätten die Gemeindemitglieder die Planung mit der Faust in der Tasche hingenommen.“ Widerstand als Zeichen zunehmender Partizipation, auch so kann man die Salzkottener Ereignisse verstehen. Bis vor wenigen Jahrzehnten habe die kirchliche Hierarchie ihr Vorhaben ohne Abstimmung durchgesetzt, meint Oliver Reis. Dieses Durchregieren habe bei den Betroffenen bis heute Spuren hinterlassen und verrate sich in dem angespannten Diskussionsklima. „Es ist nie gut, wenn ein Interesse dominiert“, sagt Oliver Reis.

Die Konflikte werden überall zunehmen

Die Gemeindemitglieder in Salzkotten seien vom Verlust ihrer Identität bedroht, so Reis, und man dürfe nicht vergessen, dass Kirchen „materieller Ausdruck“ der katholischen Kirche sind. Ihre Türme überragen die Orte, ihre Gebäude und Denkmale prägen das Bild der Städte und Dörfer, auch wenn es immer weniger Mitglieder der Kirche gibt – und vielerorts kaum noch jemand, der oder die sich kirchlich engagiert. 

Der Caritasverband Büren hat frühzeitig Schlüsse aus der religiösen, sozialen und demografischen Krise gezogen und dabei auf die Gesamtgesellschaft geschaut. Im Kern geht es dem Caritasverband darum, Kirche und Quartiersarbeit zusammenzuführen. Quartiersarbeit ist ein neuer sozialer Begriff, den man grob mit „Nachbarschaftshilfe“ übersetzen kann. 

Kirche und soziale Arbeit zusammen denken

Die Bürener Caritas plant soziale Zentren mit Wohnungen, Treffs und Pflegestützpunkten in den Orten und Stadtteilen – alles für mehrere Generationen ausgerichtet, nicht nur für ältere Menschen. Ein solches Zentrum, wie immer es auch konkret aussehen wird, soll auch in St. Marien in Salzkotten entstehen.

Mit diesem Konzept könnte der Caritasverband das Problembündel durchschlagen, das Dörfern und mittleren Städten wie Salzkotten droht oder schon besteht: Überalterung, Wohnungsnot, Einsamkeit und mangelnde Betreuung. 

Überdies würde das Konzept die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Caritas stärken. Die Caritas könnte mit diesen Projekten nicht nur das soziale Leben in den Quartieren zusammenhalten, sondern den kirchlichen Orten neue Bedeutung zuweisen – und nebenbei einige Sorgen der schrumpfenden Kirche lösen. 

Auch im anderen Konzept, über das der Kirchenvorstand in St. Marien entscheiden musste, geht es darum, Kirche mit neuen, zeitgemäßen Innovationen aufzuwerten. In dieser Planung verbindet sich die Reaktion auf den Klimawandel mit einem ebenfalls quartiersorientierten Ansatz. 

Eine „Klimakirche“ für Salzkotten

Der Salzkottener Tim Leiwesmeier vertritt eine einheimische Investorengruppe, die am Standort an der Upsprunger Straße eine „Klimakirche“ schaffen wollte. Die Pläne, die er dem Kirchenvorstand vorlegte, sehen große Flächen für Fotovoltaik und eine Strom-Tankstelle auf dem Gelände vor. Es hätte sogar eine große Batterie platziert werden können, die auch der örtliche Stromversorger hätte nutzen können. 

Die zweite Schiene, auf der dieses Investorenkonzept fährt, ist die Jugendarbeit und die soziale Funktion des Geländes. Für die Kinder aus dem Quartier hätte es ein großes „Kinder-Abenteuerland“ gegeben, Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen aller Altersgruppen hätten hier ihren Platz gefunden. Tagungs- und Gruppenräume sowie Räume für lockere Treffs waren geplant. Er habe bereits Gespräche mit Schulen geführt, sagt Leiwesmeier, deren Schüler Gebäude und Areal hätten nutzen können.

Trotz der für sie negativen Entscheidung will die sechsköpfige Investorengruppe die Pläne nicht ad acta legen, weil man, so Tim Leiwesmeier, immer noch einen Teilbereich des Geländes eventuell nutzen könne. 

Das Klima zwischen den Parteien ist jedoch so schlecht, dass eine weitere Zusammenarbeit behindert werden könnte. Pfarrer Martin Beisler kritisiert die Konzepte von Tim Leiwesmeier als „unausgegoren“. Diesen Eindruck habe man auch im erzbischöflichen Generalvikariat gehabt. Tim Leiwesmeier hat aus diesem Gespräch in Paderborn den Eindruck mitgenommen, dass man dort sehr interessiert an einer weiteren Zusammenarbeit sei, weil man das Konzept der Klimakirche für zukunftsweisend halte.

Konflikte sind unvermeidlich. Es kommt auf die Lösung an

Professor Oliver Reis hat in Zusammenarbeit mit dem Generalvikariat in Paderborn die Situation, Stimmung und die Meinungen an der Basis untersucht. Das Modellprojekt mit dem Titel „Entwicklung der ehrenamtlichen Mitverantwortung“ hat in verschiedenen anonymen Orten im Erzbistum empirisch ermittelt, wie entsprechende Entscheidungen ablaufen können. 

Man könne die Gesprächsverläufe und die Moderation solcher Diskussionen verbessern, meint Ries. Alle Beteiligten in Erzbistum und Gemeinden müssten daran arbeiten, wie solche Konflikte in Zukunft vernünftig zu lösen seien. Salzkotten ist ein Modell, dessen Wiederholung droht, weil die Anlässe für Auseinandersetzungen häufiger werden. Allein die Immobilienstrategie des Erzbistums, die von den pastoralen Räumen Reduzierungen bei den Immobilien fordert, werde auf viel Widerstand stoßen, sagt Reis voraus. Salzkotten ist schon bald überall.

Nach dem gegenwärtigen Kompromiss, der keine Seite richtig zufriedenstellt, aber eine Grundlage für eine Weiterarbeit bildet, kehren die Akteure in Salzkotten zur Detailarbeit zurück. Die Caritas Büren will erste Pläne im Sommer vorstellen, Pfarrer Martin Beisler muss dafür sorgen, den Konflikt im pastoralen Raum zu befrieden. Nichts, was bislang entschieden ist, wird schnell kommen. Zuerst muss die Stadt Salzkotten den Bebauungs- und Flächennutzungsplan ändern. Christian Bambeck schätzt, dass die Realisierung bis 2026 oder 2027 dauert. Genug Zeit für eine Verständigung der Interessenlager – aber auch für ein Aufflammen der Diskussion.

Karl-Martin Flüter

Was mit dem ehemaligen Franziskanerkloster in Wiedenbrück passiert: https://www.derdom.de/?p=38352

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