Christian Städter: „Wie leben wir als Priester?“

Christian Städter ist seit 2016 Spiritual des Paderborner Priesterseminars und als solcher verantwortlich für die geistliche Ausbildung der Seminaristen. Städter ist auch regelmäßiger Autor der „Gedanken zum Evangelium“ in diesem Magazin. (Foto: Auffenberg)

Die Situation der Kirche trifft die Priester existenziell. Um neue Impulse für den zukünftigen priesterlichen Dienst ging es bei einer Konferenz, zu der sich Spirituale der Priesterseminare aus den deutschsprachigen (Erz-)Bistümern in Paderborn getroffen haben. Ein Gespräch mit dem Paderborner Spiritual Christian Städter. 

Herr Städter, Sie haben sich mit den anderen Spiritualen hier in Paderborn unter dem Motto „Zurück in die Zukunft“ getroffen. Was bedeutet dieses ­Motto?

Christian Städter: Wir hatten zu Beginn zwei Studientage, an denen wir mit dem Neutestamentler Prof. Hans-­Georg Gradl aus Trier gefragt haben: Welche Impulse liegen in den biblischen Schriften für uns bereit, mit denen wir – also gewissermaßen vom Ursprung her – die Herausforderungen, die wir heute haben, angehen können? In der Bibel gibt es keine Kopiervorlagen, die wir einfach in die Gegenwart übertragen können, denn das Neue Testament kennt noch nicht die konkreten Ausformungen des priesterlichen Amtes, wie wir sie heute haben. Die sind im Laufe der „Tradition“, so der theologische Fachbegriff, entstanden. Aber es gibt doch Impulse oder Aufträge Jesu an seine Jünger, bei denen priesterlicher Dienst spürbar ist. Da haben wir uns gefragt, wie wir das heute umsetzen können. 

Welche Impulse waren das?

Christian Städter: Wir haben uns zum Beispiel die Erzählung aus der Apostelgeschichte näher angeschaut, in der Philippus einen Äthiopier trifft, der im Buch Jesaja liest und nichts versteht. Philippus erläutert es ihm und bringt ihm den Glauben nahe. Er ist ein Wegweiser: Er spricht mit ihm und verschwindet dann auch wieder. Das ähnelt vielleicht unserer Situation: Wir sind Wegweiser, denn wir begleiten Menschen oft ein Stück weit, nicht mehr ein Leben lang, wie es früher in den volkskirchlichen Strukturen üblich war.

Wegweiser kann man auch ohne Weihe sein.

Christian Städter: Ja, klar! Wegweiser sein trifft nicht nur für das Amtspriestertum zu. Das ist eine priesterliche Aufgabe, die auch Eltern etwa erfüllen, wenn sie ihre Kinder in den Glauben einweisen. Die geweihten Priester verweisen auf eine andere Art auf Jesus Christus, indem sie der Eucharistiefeier vorstehen, die Sakramente spenden und das Evangelium verkünden. Das ist das Proprium, das Eigene, des Priesters, das aber in den biblischen Texten so nicht auszumachen ist, weil es sich im Laufe der Geschichte entwickelt hat. 

Und trotzdem war der Blick in die Bibel wichtig?

Christian Städter: Ja, weil es gar nicht so sehr um das Was, sondern um das Wie ging: Wie leben wir als Priester? Wie üben wir unser priesterliches Amt aus? 

Bei der Tagung hat Diözesan­administrator Michael Bredeck von Verunsicherungen der Priester gesprochen, von deren Sorgen, überflüssig zu werden. Woher kommt diese Sorge, die von außen etwas überraschend erscheint?

Christian Städter: Viele Priester merken, dass das, was sie früher als Priester ausgemacht hat, was sie in den vergangenen 10, 20, 30 Jahren praktiziert haben, immer weniger nachgefragt wird. Wir erreichen immer weniger Menschen. Es gibt zwar noch einen kleinen Kern, der unseren klassisch verstandenen priesterlichen Dienst wie Eucharistiefeiern nachfragt, aber der wird kleiner. Hinzu kommt der massive Vertrauensverlust der Kirche, besonders der Priester und des Klerus. Auch im innerkirchlichen Diskurs wird ja gefragt: Wofür brauchen wir noch Priester? Das kann schon verunsichern, vor allen Dingen, wenn man diese Frage nicht nur allgemein versteht, sondern persönlich: Braucht es dich noch in unserer Gemeinde, in unserer Kirche? Das kann schon in eine Sinnkrise führen. Michael Bredeck hat in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen: Wie können wir, die wir in volkskirchlichen Strukturen groß geworden sind, heute in anderen Strukturen missionarisch tätig sein? 

Aber wir reden doch immer vom Priestermangel …

Christian Städter: … und zugleich bekommen wir mit, dass für die Gläubigen allein das Amt nicht mehr das Vertrauenserweckende ist, sondern die Person dahinter. Das war früher anders und es war dann kein allzu großes Problem, wenn ein Priester sich schwer damit tat, auf Menschen zuzugehen oder vielleicht nicht so sympathisch war. Das Vertrauen in das Amt hat das überlagert. Das hat sich heute geändert. Heute kommt es viel mehr auf die Person an.  

Kann man daraus schließen, dass Priester keine wirkliche Vorstellung davon haben, wie Seelsorge heute sein muss? Die Wartezimmer der Therapeuten sind ja voll. 

Christian Städter: Doch natürlich haben sie eine Vorstellung davon! Was im Moment ansteht, ist, sich da­rauf einzustellen, in einer säkularen Welt als Seelsorger zur Verfügung zu stehen. Wir denken oft noch in diesen volkskirchlich geprägten Strukturen. Die Herausforderung ist es, das, was für uns Seelsorge ausmacht und was wir gelernt haben und was wir tun, in einem Milieu anzubieten, das nicht mehr kirchlich geprägt ist. 

Was ist denn aus Ihrer Sicht Seelsorge?

Christian Städter: Menschen helfen, einen Sinn in ihrem Leben zu finden und die Herausforderungen des Lebens zu bestehen und – für den Priester und Christen als Seelsorger – das vor dem Hintergrund der Botschaft Jesu. Da unterscheidet sich der Priester von einem säkularen Coach, der einen anderen Inhalt bringt. Der Priester verweist auf Gott und sagt: „Ich selbst finde da meinen Lebensinhalt, mein Lebensziel und kann so Begleitung, Hilfe und Impulse geben, sodass auch andere Menschen es da finden können.“

Und da kann man den Eindruck bekommen, man sei überflüssig? Auch Seelsorge ist doch gefragt wie nie.

Christian Städter: Wir sind in einer Übergangszeit. Wenn man merkt, dass die alten Methoden nicht mehr gefragt sind und man selbst gerade dabei ist, sich etwas Neues zu suchen, dann fragt man sich schon: Bin ich mit meiner Botschaft noch gefragt?

Gab es bei der Tagung eine Antwort auf diese Frage?

Christian Städter: Das ist ja eine rhetorische Frage, dahinter steht die Frage: Wie kann ich meinen Dienst heute so tun, wie kann ich mich ausrichten, damit wir von außen wieder erfahren: „Ja, es ist gut und wichtig und richtig, dass es Seelsorgerinnen und Seelsorger und Priester gibt.“? 

Könnten Gemeinden Priestern helfen, um ihnen diese Erfahrung zu vermitteln?

Christian Städter: Was heißt heute noch „Gemeinde“ in den großen pastoralen Strukturen? Ich will jetzt keinen Forderungskatalog an Gemeinden aufstellen. Die Lage ist halt die: Einerseits hören wir vom Bedeutungsverlust, den die Kirche erleidet, andererseits wird die Arbeit immer mehr – auch weil wir weniger werden. Und zugleich werden unsere klassischen Angebote weniger nachgefragt. 

Sie haben die pastoralen Strukturen angesprochen: Ist es nicht auch ein Problem, dass die Priester da heimatlos ­werden?

Christian Städter: Ich glaube, es ist wichtig, dass ein Priester auch in den großen Räumen eine Heimatgemeinde hat. Wenn ich für zehn Gemeinden verantwortlich bin oder seelsorglich mitarbeite, dann muss ich sagen können: Dies ist meine Heimat und in den anderen neun bin ich auch präsent. Das stößt manchmal in den anderen Gemeinden auf Widerstand. Das ist genau der Umstrukturierungsprozess, den wir gerade erleben. Ich habe vor meinem Studium zwei Jahre in Lateinamerika gelebt. Dort war klar, dass der Pfarrer nicht überall gleich stark präsent sein konnte. Dahin werden wir auch kommen. Die Frage ist, ob da auch Gemeindeleben ohne Priester, ohne die ständige Präsenz eines Priesters stattfindet. 

Ist das denn gewünscht?

Christian Städter: Das ist doch alternativlos! 

Sie selbst sind seit 16 Jahren Priester. Wie geht es Ihnen ganz persönlich in dieser Zeit?

Christian Städter: Mich machen die Herausforderungen jedenfalls nicht depressiv. Der Vertrauensverlust ist natürlich sehr schmerzhaft, aber ich mache immer noch die Erfahrung, dass ich viel Gutes tun kann – in meinem Beruf und meiner Berufung. Das gibt mir sehr viel Kraft und Zuversicht und den Mut, das in Angriff zu nehmen, was in Zukunft kommen wird.

Mit Christian Städter sprach Claudia Auffenberg

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