Wozu sind Sie da, Nadine Gebauer?

Für den Beruf einer Krankenschwester oder Pflegerin spielt die eigene Leidenschaft eine große Rolle. Es braucht einen inneren Antrieb, der tief aus dem Herzen kommt. Bei mir war das immer so. Bereits als Kind wollte ich Krankenschwester werden. Und mein Herz hängt nach wie vor an dieser Arbeit. Ich möchte dazu beitragen, dass sich unsere Bewohnerinnen und Bewohner mit ihren jeweiligen körperlichen und geistigen Behinderungen geborgen fühlen. Ich möchte eine Unterstützerin und ein Sprachrohr für diejenigen sein, die selbst nicht für sich einstehen können.

Eines meiner Herzensprojekte ist das Wohnhaus St. Michael in Brilon. Seit einem Jahr leben dort 18 ukrai­nische Frauen mit Behinderungen, die aufgrund des Krieges in ihrer Heimat flüchten mussten. Jeder Tag in St. Michael ist anders: mal spannend, mal abwechslungsreich, mal herausfordernd, mal anstrengend. In der Betreuung gilt es viele Hürden zu überwinden, seien es Sprachbarrieren, den Fachkräftemangel oder die völlig verschiedenen Pflegesysteme, die im täglichen Miteinander sichtbar werden.

Das fängt damit an, dass die Menschen mit Behinderungen in der Ukrai­ne weit isolierter leben als bei uns. Sie kennen keine gemischten Wohngruppen und besuchen kaum öffentliche Veranstaltungen. In den Wohngruppen dort leben nur Männer oder nur Frauen zusammen. Als die Bewohnerinnen und ihre mitgereisten Betreuerinnen hier ankamen, waren sie zunächst geschockt. Mit gegenseitigem Vertrauen, Sensibilität und Kompromissbereitschaft haben wir im vergangenen Jahr ein gutes Miteinander geschaffen und wachsen als Team immer mehr zusammen.

Nadine Gebauer: „Als Pflegekraft geht es nicht um mich.“

Wie lange die Bewohnerinnen bei uns bleiben, kann niemand abschätzen. Der Wunsch, zurück nach Hause zu kommen, ist schon da. Doch bis es so weit ist, sollen sie sich bei uns möglichst gut einleben und wohlfühlen. Wichtig ist auch, dass wir ihnen den Weg zurück nicht erschweren. Dabei nehmen die ukrai­nischen Betreuerinnen, die die Bewohnerinnen sehr gut kennen, eine wichtige Rolle ein. Es ist wichtig, gegenseitige Wünsche zu respektieren, dazu gehört auch, dass die Frauen nur von Frauen betreut werden, auch wenn das für uns in Deutschland untypisch ist. Als Pflegekraft geht es nicht um mich. Es muss immer zuerst um den pflegebedürftigen Menschen gehen.

Sehr bereichernd empfinde ich derzeit, dass mein täglicher Umgang mit den Flüchtlingen meinen Blick auf mein eigenes Leben weitet. Ich erkenne, dass es so viel gibt, wofür ich dankbar sein kann. Bewusst wird mir das immer dann, wenn ich miterlebe, dass unsere Bewohnerinnen und Betreuungskräfte ihre Lieben in der Ukrai­ne nicht erreichen, geschweige denn umarmen können. So etwas möchte ich niemals erleben. Und wenn ich dann im Alltag die Herzlichkeit und Dankbarkeit unserer Bewohnerinnen und ihrer Betreuungskräfte spüren darf, so bestärkt mich das immer wieder in dem, was ich beruflich mache und wofür ich da bin.

Zur Person

Nadine Gebauer (35) ist Krankenschwester und hat Pflege­management studiert. Als Sozial­arbeiterin arbeitet sie seit 2016 beim Caritasverband Brilon. Sie ist Caritas-­Koordinatorin im Dekanat Waldeck, koordiniert Projekte der ­youngcaritas Brilon und Waldeck und leitet das Wohnhaus St. Michael in Brilon.

Aufgezeichnet und fotografiert von Patrick Kleibold

Unsere Reihe Menschen im Erzbistum

Wozu bist du da, Kirche von Paderborn? Diese Frage stellte der emeritierte Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker dem Zukunftsbild voran, auf dessen Basis das Erzbistum entwickelt wird. Wozu bist du da? Diese Frage kann sich auch jeder Einzelne stellen. Denn die Grundannahme des Zukunftsbildes ist eine biblische, dass nämlich jeder Mensch berufen ist, dass jede und jeder das eigene Leben als von Gott angenommen betrachten darf, dass es einen Sinn dieses Lebens gibt. Die Aufgabe des Menschen besteht darin, die Frage für sich zu beantworten.

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