Forum Weltkirche – Lernen, mit Wunden zu leben

Rosenkranzgebet im Armenviertel Imperial in Leme/Brasilien, wo sich die Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel engagieren: Auch spirituelle Begleitung ist Friedensarbeit. (Fotos: SMMP/Florian Kopp)

Das Forum Weltkirche im Bergkloster in Bestwig befasst sich mit der Gestaltung von ­Friedensprozessen in Ländern, die von Gewalt und Krieg betroffen sind. Dabei können Texte aus der heiligen Schrift helfen, Heilung und Versöhnung voranzubringen.

Bestwig. Friedensarbeit braucht ganz viel „aktive Geduld“. So formulierte es Friederike Repnik vom katholischen Entwicklungsdienst Agiamondo in ihrem Vortrag beim Forum Weltkirche im Bergkloster Bestwig. Der lange Atem sei dabei in Ländern, in denen zwischen lange verfeindeten Gruppen moderiert werden muss, genauso notwendig wie in Deutschland beim interreligiösen oder interkulturellen Dialog. Die Veranstaltung mit 50 Besucherinnen und Besuchern zeigte, wie kompliziert, aber auch wie unverzichtbar Friedensprozesse sind.

Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit und Versöhnung

„Man muss sich die Erfolge immer wieder an ganz kleinen Schritten bewusst machen“, so Friederike Repnik. Sie ist bei Agia­mondo Beraterin für den Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit und Versöhnung. Diese Organisation vermittelt qualifizierte Entwicklungshelferinnen und -helfer für die internationale Zusammenarbeit von kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Regelmäßig ist Friederike Repnik in den Einsatzländern unterwegs. Daher kennt die promovierte Religionswissenschaftlerin viele mühsame Friedensprozesse: zum Beispiel im Südsudan, der seit dem Ende des Bürgerkrieges 2018 unabhängig ist. Regierungsorganisationen hätten ihre Arbeit oft schnell beendet. „Doch herrscht nach dem Ende eines Krieges noch lange kein Frieden. Da gibt es vieles aufzuarbeiten“, so die Referentin. Nichtregierungsorganisationen und ­kirchliche Akteure seien daher geblieben. „Sie gewinnen dadurch in der Bevölkerung nachhaltiges Vertrauen“, so Friederike Repnik.

Jeder Friedensprozess braucht Multiperspektivität

Jeder Friedensprozess brauche Multiperspektivität. Dies bedeute die Einbeziehung von Täter-, Opfer- und Zuschauerperspektive, aber auch von Politik und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die mit den Menschen leben und deren Alltag kennen. Ebenso wichtig sei es, mit allen Generationen ins Gespräch zu kommen: „Der Handlungshorizont ist dabei immer die Versöhnung.“

Martina Richard, Koordinatorin der Projekte für Agiamondo in Zentralamerika, berichtete dazu in dem anschließenden Podiumsgespräch über ihre Erfahrungen aus Guatemala: „Der Genozid im eigenen Land liegt dort schon Jahrzehnte zurück. Doch er traumatisiert die Menschen bis heute.“ Die Folge sei Sprachlosigkeit, ähnlich wie es sie im Nachkriegsdeutschland gegeben habe. In den Familien werde das Thema tabuisiert. „So müssen die Jugendlichen mit dem Schweigen ihrer Eltern leben.“ Pädagogisch und psychologisch begleitet versuche man dieses Schweigen zu brechen. Auch durch einen „virtuellen Platz des Gedenkens“, einem ­Internetforum, in dem Betroffene ihre Erfahrungen austauschen.

Das Forum Weltkirche im Bergkloster in Bestwig befasst sich mit der Gestaltung von ­Friedensprozessen in Ländern, die von Gewalt und Krieg betroffen sind.
Dr. Friederike Repnik schildert beim Forum Weltkirche, was in einem Friedensprozess unabdingbar ist: Erfahrungen, Vielfalt, Dialog und Beziehung.

Zeit heilt nicht alle Wunden

Wichtig sei es, diese Prozesse nie aufzugeben, selbst wenn es Rückschritte gebe. Friederike Repnik erklärte: „Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Aber Heilung braucht Zeit. Und nicht alles kann geheilt werden. Aber wir können dann lernen, mit Wunden zu leben.“ Die Bibel könne dabei helfen: „Viele Schrifttexte laden uns dazu ein, über Gewalt ins Gespräch zu kommen, ohne auf eigene Gewalterfahrungen zurückzugreifen. Das ist ein guter Weg, Sprachlosigkeit zu überwinden.“

Bruder Augustinus Diekmann, lange in Brasilien tätig und heute Leiter der Franziskanermission in Dortmund, nannte Beispiele der Ermutigung: „Wenn ich etwa am Berufskolleg in Dortmund unterrichte, erfahre ich, dass sich viele junge Menschen für solche Erinnerungsarbeit und -kultur begeistern lassen.“ Dafür finden sich ebenso Beispiele in den sieben deutschen Schulen der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel: Der „SMMP-­Schulpreis für Engagement“ ging in diesem Jahr an Schülerinnen und Schüler des Placida-Viel-­Berufskollegs in Menden für ihren Einsatz bei der jährlich am 9. November ausgerichteten Gedenkveranstaltung „Augen auf“.

Forum Weltkirche: Friedensarbeit beginnt, wenn das Blutvergießen noch anhält

Friedensarbeit beginne schon dann, wenn das Blutvergießen noch anhält, betonte Friederike Repnik. So sei es jetzt in der Ukrai­ne: „Denn schon während der Kämpfe ist es wichtig, die Gewalt zu dokumentieren.“ Dieser Krieg – gab die Referentin zu – berühre sie tief: „Auch weil es mein eigenes Verhältnis zur Gewalt erschüttert.“ Und die Missionsprokuratorin der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel, Schwester Klara Maria Breuer, machte deutlich: „Das Geschehen in der Ukrai­ne zeigt uns, wie fragil der Frieden ist. Aber wir dürfen nicht aus dem Blick verlieren, in wie viel anderen Ländern Krieg, Gewalt, Flucht und Vertreibung im Alltag Realität sind, aus denen die Medien weniger berichten.“

Ulrich Bock

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